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Utopie der bescheidenen Geldhäuser

Begrenzte Boni, Trennbankensystem, bessere Aufsicht – das sind nur ein paar Maßnahmen, durch die der Finanzsektor gezähmt werden soll. Aber reicht das? Nein, meint der Journalist Thomas Fricke. Der frühere Chefökonom der "Financial Times Deutschland" plädiert für ein "Raus aus der verrückten Finanzwelt".

Von Sina Fröhndrich | 03.06.2013
    Die Skyline in Frankfurt am Main: Aneinandergereihte Bankenhochhäuser, die in den Himmel ragen. Eine Stadtansicht, die es künftig nur noch auf Postkarten geben sollte, ginge es nach dem Buchautor Thomas Fricke.

    "März 2023. Vor drei Tagen ist auch die letzte große Bank aus der Frankfurter City weggezogen, aus diesen Türmen, deren verglaste Fronten dafür standen, wie reich und wichtig die Geldhäuser mal waren. Verflogen ist das Flair, das Banker mal umgab, als in den Schalterräumen feiner Teppich lag ... .[ ... ] Vielleicht werden sich unsere Kinder mal wundern, in was für einer verrückten Welt wir groß wurden. Dass wir so lang hingenommen haben, wie irgendwelche Finanzingenieure per Mausklick Milliarden mal von hier nach da schoben."

    Das ist Thomas Frickes Utopie, etwas romantisch vielleicht, aber irgendwie auch nachvollziehbar, weil der Journalist gut argumentiert. Damit erscheint sie manchmal sogar etwas realistisch - seine Vorstellung einer "schönen neuen Welt" mit zurechtgestutzten, soliden und bescheidenen Banken, die sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren – nämlich zum Beispiel Ersparnisse anlegen oder Kredite vergeben. Langweiliges Bankschaltergeschäft statt Zockermentalität. Fricke sieht darin nicht nur eine Chance für Banken und Banker, sondern auch für die Realwirtschaft. Kapital für neue Maschinen statt Nahrungsmittelspekulationen.

    "Da bietet sich natürlich wieder Potenzial, was auch Banken nutzen können. Das ist dann nicht mehr Derivate und Hedgefonds, sondern die Finanzierung von Start-Ups, die Finanzierung des Mittelstands, die durch das Freiwerden von Mitteln aus diesem aufgeblähten Finanzsektor erst wieder möglich werden. Und da gibt's dann aber wieder neue Möglichkeiten, auch das sollte dann helfen, diese Umstrukturierung aufzufangen und möglichst vielen Beschäftigten in der Bankenbranche auch wieder eine neue Arbeit zu ermöglichen."

    Kein Zweifel: Es brauche Banken, schreibt Fricke. Aber Bankenrettung, Finanzkrise oder Blasen – das sollten Schlagworte der Vergangenheit sein. Soweit der Wunsch. Den Fricke zwar bereits mit dem fragenden Buchtitel "Wie viel Bank braucht der Mensch?" impliziert, aber erst auf den letzten Seiten konkreter wird. Zunächst verwendet er viel Zeit für die Rückschau, betreibt Fehleranalyse. Und zieht den Schluss: Es waren nicht unmoralische Banker, die die Krise verursacht hätten. Sondern: Die Finanzglobalisierung sei krachend gescheitert, weil die Politik alles durchgewunken habe, was den Banken noch mehr Freiheit gebracht habe.

    "Nach drei Jahrzehnten Finanzglobalisierung scheint die Frage legitim, welchen gesellschaftlichen Mehrwert das Bankentreiben bringt, all die Derivate, Hedgefonds und das Hin- und Herschieben von virtuellem Geld, von Öl oder Devisen in Mikrosekunden – und ob das den Schaden aufwiegt, der durch Blasen und Krisen entsteht, durch steigende Verschuldung und wachsendes Vermögensgefälle. Wenn Banken am Ende mit Hundertmilliarden Steuergeldern gerettet werden müssen."

    Soweit also die Abrechnung, die wenig Neues enthält. Bis zum zweiten und wesentlichen Teil des Buches durchzuhalten, fällt dennoch nicht schwer: Fricke formuliert leichtfüßig, verständlich, exemplarisch, manchmal etwas zu flapsig und fast schon polemisch. Für seine Argumentation nimmt er immer wieder auf Schriften und Untersuchungen prominenter Ökonomen Bezug - vor allem aus den USA. Doch wie also nun raus aus der verrückten Finanzwelt?

    "Mit ein paar Korrekturen an Bonuszahlungen und stärkerer Aufsicht ist es nicht getan."

    Frickes Formel für einen Bankenausstieg lautet stattdessen:

    "Fünf Säulen und eine Bonusreform."

    Beispiel: Säule Eins - die Finanztransaktionssteuer. Lange umstritten, haben sich jetzt doch einige EU-Staaten darauf verständigt. Sie könne, so schreibt Fricke, das Markttreiben bremsen.

    "Es dürfte kaum eine einzelne Maßnahme geben, die so einfach umsetzbar ist und so viele Kernursachen der Finanzwirren trifft wie die Transaktionssteuer. Schon ein bisschen Sand im Getriebe würde die aufgeblähten Handelsvolumen reduzieren und angesichts der breiten Wirkung auf alle Finanzmärkte die Wucht der Herdenschübe dämpfen."

    Kritiker dieser Steuer monieren jedoch: Sie würde auch den Kleinsparer treffen. Ein Argument, das Thomas Fricke wegwischt:

    "Es ist vielen Menschen, die auf ihre Rente gespart haben, suggeriert worden, man könne auf Dauer sieben, acht Prozent Rendite machen, wenn man nur ordentlich Aktien kauft, wenn man den Kapitalmarkt spielen lässt. Da muss man sagen, das werden wir auch nicht wiederkriegen, und das sollte man auch nicht wünschen, weil ein Finanzmarkt und die Vermögen, die es da gibt, können nicht auf Dauer deutlich stärker wachsen als die Wirtschaft, die sie ja repräsentieren sollen. Von daher muss man den Menschen auch sagen, ja, wir können diese Illusion nicht aufrechterhalten, wir wollen aber, wenn wir diesen Finanzsektor zurück schrumpfen lassen, ein insgesamt doch viel stabileres wirtschaftliches Umfeld bekommen."

    Aber, so schreibt Fricke, die Finanztransaktionssteuer sei keine Allzweckwaffe. Deswegen die anderen Säulen: Keine Spekulation auf Nahrungsmittel etwa. Und: Die Einführung eines neuen Währungssystems, in dem die Kurse weniger stark schwanken.

    "Bei der EZB und bei den Amerikanern, da ist in den Zentralbankräten schon sehr viel mehr Erkenntnis in die Richtung, dass man den Märkten das nicht komplett überlassen darf, die Wechselkurse zu bestimmen. Auch das ist schon auf dem Weg zu einer Steuerung der Wechselkurse, die sicherlich nicht dem Idealbild der liberalen Märkte entspricht, aber wenn die liberalen Märkte einfach nicht funktionieren, so wie das jetzt in den letzten Jahrzehnten offenbar in diesen Bereichen der Fall war, ist das eine Alternative und die wird, glaube ich, immer realistischer."

    Fricke ist Optimist. Zweifel versucht er zu entkräften. Dass sein skizzierter Bankenausstieg realistisch und zeitnah erfolgen könnte, wirkt aber im Ganzen dann doch unwahrscheinlich angesichts des politischen Umfelds: Wenn beispielsweise gerade mal eine Handvoll Länder bei der Finanztransaktionssteuer mitmacht und sich Großbritannien vehement dagegen wehrt. Ein lesenswerter, weil verständlicher Beitrag – auch im Jahr der Bundestagswahl - ist Frickes Buch dennoch.

    Thomas Fricke: "Wie viel Bank braucht der Mensch? Raus aus der verrückten Finanzwelt."
    Westend-Verlag,
    256 Seiten, 19,99 Euro
    ISBN: 978-3-864-89-036-9