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Väter setzen sich durch

Genetik. - Die Mendelschen Gesetze regeln die Weitergabe von Erbgut an die nächsten Generationen. Doch so ehern, wie es scheint, sind die Vererbungsgesetze nicht. 1936 entdeckten Genetiker ein Stück Erbsubstanz, das den Sprung in die nächste Generation häufiger schaffte, als es die Regeln erlauben. Berliner Wissenschaftler sind der Lösung dieses Rätsels jetzt einen guten Schritt näher gekommen.

Von Volkart Wildermuth | 17.08.2005
    Die Geschichte beginnt im Paris der Dreißiger mit einer Maus mit kurzem Schwanz. Diese Maus verwirrte die Forscher. Eigentlich sollten sich unter den Enkeln einer solchen Maus mit Stummelschwanz immer einige Nager finden, die ebenfalls einen kurzen Schwanz tragen. Als die Forscher die Stummelmäuse aber mit wilden Mäusen paarten, verschwand das Merkmal kurzer Schwanz bei den Enkeln fast vollständig. Ein klarer Widerspruch zu Mendels Gesetzen der Vererbung. Nach vielen Experimenten stellt sich heraus, dass manche wilden Mäuse über ein Chromosomen verfügen, dass sich sozusagen selbstständig in die nächste Generation drängelt und dabei das Merkmal kurzer Schwanz einfach verdrängt. Ein egoistisches Verhalten, das seit Jahrzehnten Genetiker fasziniert, so auch Professor Bernhard Herrmann vom Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik:

    " Das Chromosom sorgt dafür, dass es selbst auf Kosten des Geschwisterchromosoms fast ausschließlich weitervererbt wird, das ist doch selbstsüchtig. Die Genetiker hat natürlich interessiert, wie es möglich ist , dass ein Chromosom die Gesetze der Vererbung, also die Mendelschen Gesetze, außer Kraft setzen kann."

    Das allerdings blieb lange ein Geheimnis. Inzwischen ist klar, dass für das seltsame Verhalten des Chromosoms eine Region namens t-Komplex verantwortlich ist. T steht für tail, Schwanz. Im t-Komplex sitzen viele Erbanlagen, die meisten sind aber nur blinde Passagiere im Schnellzug in die nächste Generation. Für die Genetiker war es eine harte Nuss, herauszufinden, welche Gene tatsächlich für die egoistische Vererbung verantwortlich sind. Bernhard Herrmann hat in den letzen Jahren die Nuss geknackt und zwei entscheidende Faktoren im t-Komplex dingfest gemacht. Beide beeinflussen die Spermien. Der eine wirkt in allen Samenfäden einer Maus auch bei solchen ohne t-Komplex. Er sorgt dafür, dass die Spermien die Orientierung verlieren. Dieser Faktor tritt also sozusagen auf die Vererbungsbremse. Der Zweite Faktor ist nur in der Hälfte der Spermien aktiv, die den t-Komplex tatsächlich enthalten. Er löst die Blockade des ersten Faktors und so ist für diese Samenfäden der Weg wieder frei.

    " Nur die Spermien, die einen bestimmten Faktor beinhalten, nur diese Zellen werden gerettet und haben dadurch einen Vorteil. Das heißt, sie können sich besser zielgerichtet auf die Eizelle zu bewegen, während alle anderen Spermien beeinträchtigt werden und dadurch den Wettlauf um das Ei sozusagen verlieren."

    Die Hälfte der Spermien irrt mit gezogener Bremse herum und ist keine Konkurrenz für die flotten Samenfäden mit t-Komplex. So wird Mendel ausgetrickst und der t-Komplex zu 99 Prozent an die Nachkommen weitergegeben. Das Gen-Doping hat allerdings seinen Preis. Enthält ein Mäuseembryo zufällig zwei Kopien des t-Komplexes, stirbt er schnell ab. Deshalb findet sich das selbstsüchtige Chromosom auch nur bei etwa einem Viertel der Mäuse in Wald und Speisekammer. Bernhard Herrmann hat jetzt die entscheidenden Komponenten des t-Komplexes isoliert. Per Gentechnik kann er sie in geeigneter Kombination in verschiedene Mäusechromsomen einbauen, und so deren Vererbung ganz nach Wunsch steuern. Das ist nicht nur ein akademisches Vergnügen.

    " Interessant ist das vor allen Dingen für die Nutztierzucht der Zukunft. Das heißt, man kann versuchen, durch die Kombination dieser Faktoren zum Beispiel Merkmale wie das Geschlecht zu beeinflussen. Bei Rindern, wenn es um Milch-Produktion geht, möchte man natürlich weibliche Nachkommen haben, da gibt es auch spezialisierte Rassen dafür. Für die Fleischproduktion möchte man hauptsächlich männliche Nachkommen haben, weil die besonders bei Rindern sehr viel mehr Fleisch zulegen als die weiblichen Tiere."

    Per Gentechnik sollten sich die Eigenschaften des t-Komplexes auch auf die Geschlechtschromosomen des Rindes übertragen lassen. So manipulierte Stiere würden dann zu 99 Prozent entweder nur Milchkühe oder nur Mastbullen zeugen. Für die Bauern eine profitable Perspektive. Noch ist Geschlechtswahl für Rinder allerdings Zukunftsmusik. Für den Augenblick ist Bernhard Herrmann zufrieden, verstanden zu haben, wie es der t-Komplex schafft, Mendel ein Schnippchen zu schlagen.