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Van Aken: Begründung für Patriot-Einsatz in der Türkei "absolute Lüge"

Die vom Bundeskabinett beschlossene Entsendung von Flugabwehrrakten in die Türkei mit einer Bedrohung durch Syrien zu begründen, sei "ganz klar" gelogen, sagt Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion. Das syrische Regime werde keinen Nato-Bündnisfall riskieren. Durch die Patriot-Raketen drohe dagegen eine militärische Eskalation.

Jan van Aken im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 06.12.2012
    Tobias Armbrüster: Seit Wochen wird über eine mögliche Bundeswehrmission an der türkisch-syrischen Grenze gesprochen. Heute hat das Bundeskabinett in Berlin nun einen Beschluss gefasst: Die Bundeswehr soll demnach mit Hilfe von Patriot-Luftabwehrraketen die Grenze des NATO-Partners Türkei vor Angriffen aus Syrien schützen. Natürlich muss vorher noch der Bundestag gefragt werden.
    Am Telefon ist jetzt Jan van Aken, er ist außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Schönen guten Tag, Herr van Aken.

    Jan van Aken: Einen schönen guten Tag.

    Armbrüster: Herr van Aken, diese Mission in der Türkei wird einen rein defensiven Charakter haben. Kann die Linkspartei unter diesen Umständen zustimmen?

    van Aken: Na ja, ich sage mal so: Das wird wahrscheinlich so defensiv, wie es in Afghanistan angefangen hat. Wer jetzt Patriot-Raketen und Soldaten da hinschickt, der macht das nur, wenn er am Ende auch fest entschlossen ist, wenn denn was passiert, dann auch die Patriots abzuschießen, und dann ist plötzlich die Bundeswehr mitten in einem Nahostkonflikt drin. Das wollen wir nicht, deswegen werden wir nicht zustimmen.

    Armbrüster: Das heißt, Sie würden die Türkei in diesem Fall mit Afghanistan vergleichen?

    van Aken: Nicht die Türkei! Den Syrien-Konflikt, den ganzen Nahost-Konflikt! Wir hatten vor wenigen Tagen erst die militärische Eskalation in Gaza, wir haben immer noch die Kriegsgefahr zwischen Israel und Iran, der Bürgerkrieg in Syrien droht, sich auch auszuweiten. Wer weiß denn, was dort in den nächsten Wochen passiert, und dann wäre die Bundeswehr mitten drin. Also ich würde die Türkei nie alleine lassen, aber dort jetzt Militär hinzuschicken, hat nichts mit Unterstützung der Türkei zu tun.

    Armbrüster: Aber von "mitten drin" kann ja keine Rede sein. Die Bundeswehr wird weit hinter der Grenze Stellung beziehen.

    van Aken: Ja aber jetzt denken Sie es mal wirklich zum Ende durch. Jetzt fliegt irgendetwas in Richtung türkischer Grenze, dann werden die Patriots von deutschen Bundeswehrsoldaten abgeschossen, dann haben Sie eine militärische Eskalation, da wird ein Bürgerkrieg zum internationalen Konflikt und Deutschland steht mitten drin.

    Armbrüster: Man könnte auch sagen, dadurch wird der syrischen Regierung gezeigt, bis hierher zu unserem NATO-Partner Türkei und nicht weiter.

    van Aken: Ich glaube, da gibt es überhaupt gar kein Vertun in Damaskus bei der syrischen Regierung, denn es gibt die NATO, es gibt den Paragraf fünf der NATO, Beistandsverpflichtung, Assad weiß ganz genau: Er braucht nur einen Fuß mit einem Soldaten über die türkische Grenze zu setzen, dann gibt es den Bündnisfall der NATO und sein Regime wird in null Komma nichts vorbei sein. Das heißt, wenn er überleben will, Assad, dann wird er niemals angreifen, egal ob da jetzt Patriots stationiert werden oder nicht.

    Armbrüster: Das heißt, Herr van Aken, die Linkspartei würde der Türkei in diesem Fall sagen, tut uns leid, aber NATO-Partner Deutschland kann euch hier leider nicht helfen?

    van Aken: Nein, anders herum. Ich würde sagen, auf jeden Fall helfen wir. Aber wo liegt das Problem? Ein ganz großes Problem sind zum Beispiel die vielen, vielen Tausend Flüchtlinge. Und wir als Bundesrepublik Deutschland können jetzt sagen, wir nehmen einen Teil dieser Flüchtlinge hier in Deutschland auf, wir lassen die Türkei nicht allein mit dem Flüchtlingsproblem, wir lassen auch die syrischen Menschen nicht allein, sondern wir gewähren ihnen hier politisches Asyl. Das wäre eine echte Hilfe für die Syrer und für die Türkei.

    Armbrüster: Aber die türkische Regierung sagt doch etwas anderes. Sie sagt, sie fühlt sich bedroht durch diesen Krieg und braucht Hilfe und Unterstützung.

    van Aken: Na ja, da sind wir wieder bei der Parallele zu Afghanistan. Auch der Krieg damals fing mit einer Lüge an, und diese Bedrohung, oder diese Bedrohungswahrnehmung, ist eine absolute Lüge. Das wissen alle, das weiß auch Frau Merkel, dass natürlich die Türkei überhaupt nicht durch Syrien bedroht ist, und dass die Türkei das jetzt behauptet, ist, ich sage mal, ein extrem geschickter politischer Schachzug, aber auch ein schäbiger, denn sich jetzt sozusagen den Beistand der NATO zu holen, während sie selbst ja schon aktiv eingreift in den syrischen Bürgerkrieg, mit Unterstützung der bewaffneten Rebellen, ist schlau von Seiten der Türken, aber es wäre völlig falsch, darauf einzugehen.

    Armbrüster: Das heißt, Frau Merkel lügt die deutsche Öffentlichkeit an?

    van Aken: In diesem Punkt, wenn Frau Merkel sagt, es gibt eine Bedrohung der Türkei, dann ist das gelogen – ganz klar!

    Armbrüster: Sagt Jan van Aken, der außenpolitische Sprecher der Partei Die Linke im Deutschen Bundestag. Besten Dank für das Gespräch, Herr van Aken.

    van Aken: Ich bedanke mich bei Ihnen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.