Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Van Dyck in München
Ein Künstler im Ringen mit sich selbst

Anthonis van Dyck wurde für seine brillanten Porträts in ganz Europa gefeiert. Die Alte Pinakothek spiegelt sein Werk nun im Licht großer Zeitgenossen wie Rubens oder Tizian und zeigt van Dyck als einen ebenso experimentellen wie perfektionistischen Maler.

Von Barbara Bogen | 27.10.2019
24.10.2019, Bayern, München: Eine Journalistin steht bei der Begehung der Ausstellung «Anthonis van Dyck (1599-1641)» in der Alten Pinakothek vor Heiligendarstellungen von Anthonis van Dyck.
Die Ausstellung präsentiert die Ergebnisse eines mehrjährigen Forschungsprojektes, das sich u.a. Fragen der Bildgenese und der Werkstattpraxis widmete (Lino Mirgeler/dpa)
Man kommt schwer umhin festzustellen: Anthonis van Dycks Selbstporträt von 1615 gehört zu den faszinierendsten Werken der Ausstellung. Faszinierend allein deshalb, weil van Dyck zu diesem Zeitpunkt erst etwa sechzehn Jahre alt war.
Ein helles Gesicht leuchtet heraus aus dem Dunkel. Den Oberkörper zur Seite geneigt, blickt sich der junge Mann scheinbar nach dem Betrachter um. Der Blick ist wach, klug, entschlossen und zugleich fragend - auch sich selbst befragend, denn das Bild dürfte mit Hilfe eines Spiegels entstanden sein.
Das Genie ist bereits unverkennbar. Seinem großen Vorbild Peter Paul Rubens, in dessen Antwerpener Werkstatt van Dyck ein paar Jahre später als Schüler und Mitarbeiter eintreten wird, ist ihm hier zu dieser Zeit noch gar nicht begegnet. Und doch zeigt die Ausstellung in der Alten Pinakothek München, wie sich van Dyck an seinem Ideal Rubens und später in Italien an Tizian und Tintoretto orientierte.
Obsessives Work-in-progress
Die Ausstellung in der Alten Pinakothek entstand in Zusammenarbeit mit dem Münchner Doerner-Institut, das sich der konservatorischen und restauratorischen Untersuchung Alter Meister widmet. Durch jahrelange Forschungsarbeit, anhand von Röntgenaufnahmen und Infrarot-Reflektogrammen wird nachvollziehbar, wie ambitioniert, fast obsessiv van Dyck seine Werke immer wieder veränderte. Die Referentin für Flämische Malerei der Bayerischen Staatsgemälde-Sammlungen Mirjam Neumeister geht so weit, von van Dyck als einem "experimentellen Künstler" zu sprechen.
"Man kann das in seinem Frühwerk sehr gut beobachten, weil er häufig zwei Versionen eines Themas gemalt hat. Und dann eben in den verschiedenen Versionen noch Veränderungen vorgenommen hat, also es ist fast selten, dass ein Werk so aus einem Guss ist, sondern gerade bei zwei Versionen kann man zum Teil auch feststellen, dass er auf der einen Leinwand etwas überarbeitet hat und dann auch wieder übernommen hat und auch wieder umgekehrt."
Es ist nicht vermessen zu behaupten, dass van Dyck seinen Meister Rubens, etwa in den Märtyrerdarstellungen, mitunter deutlich übertraf. Entwirft Rubens das Leiden des Heiligen Laurentius als beinahe chaotisches Wimmelbild, so modelliert van Dyck 1622 seinen Heiligen Sebastian als hell schimmernde Erscheinung. Klar, brillant tritt er hervor aus dem Dunkel der Folterschergen. Eine Lichtgestalt, der van Dyck im Übrigen seine eigenen Züge verleiht. Großartige Bilder, ikonenhaft, scheinen in den schwer abgedunkelten Räumen der Ausstellung förmlich zu schweben.
Expressive Künstlerporträts
Manche Themen sind ewig aktuell. In der biblischen Szene "Susanna und die beiden Alten" entwirft van Dyck den fast nackten Körper der Frau schneeweiß, schutzlos. Ihre ohnmächtige Angst vor den beiden sie bedrängenden, bedrohlichen Männern wird für den Betrachter fast körperlich spürbar.
Daneben stehen natürlich die berühmten Porträtdarstellungen. Expressiv vor allem die individuellen Künstlerporträts: Die Lässigkeit des Malers Theodoor Rombouts, der Ernst des Bildhauers Georg Petel, die weltentrückte Melancholie des Organisten Hendrik Liberti. Die Ausstellung begreift sich ausdrücklich nicht als Überblicksschau, zumal die Gemälde aus van Dycks Londoner Zeit leider fehlen. Sie versteht sich als Blick in die Tiefe einer künstlerischen Arbeits- und Vorgehensweise, einer Werkgenese, die durch Zeichnungen und Skizzen vervollkommnet wird. Über die Maler des Barock gibt es vergleichsweise wenige Quellen. Sie scheinen daher ferne Genies zu bleiben.
Ein "italienisierter" Künstler
Der Münchner Ausstellung gelingt es, van Dyck begreifbar zu machen als einen Maler, der sich im Europa des frühen 17. Jahrhunderts bereits die Frage nach Identität stellt. Das in Antwerpen entstandene Selbstporträt, heute im Besitz der Alten Pinakothek, das van Dyck nach seiner Rückkehr aus Italien nochmals radikaler Veränderung unterwirft, wird in der Ausstellung einem weiteren Porträt, einer Leihgabe aus dem Metropolitan Museum in New York, gegenübergestellt. Der Dialog beweist, dass sich der Maler hier schon einer eminent modernen, wenngleich auch kolossal eitlen Frage verschrieb, nämlich: Wer bin ich? Und was ist der Künstler?
"Man sieht da ganz wunderbar in der Röntgenaufnahme unseres Bildes, dass er ursprünglich - wie im New Yorker Bildnis - seine Hand ans Kinn geführt hat. Und nach der Rückkehr aus Italien verändert er das Bild. Er erweitert es rechts und unten durch einen weiteren Leinwandstreifen, und er malt sich selbst in einer Art italienischen Pose. Und diese reduzierte Farbigkeit verweist auf italienische Vorbilder. Und den gewonnenen Platz nutzt er, um eine in Italien erworbene Ehrenkette zu präsentieren. Das heißt, van Dyck "italienisiert" buchstäblich sein Selbstbildnis und empfiehlt sich damit seinem Antwerpener Publikum als weit gereister Maler."