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Vassiliadis: SPD-Rentenkonzept greift wichtige Themen auf

Eine Neujustierung des gesetzlichen Rentensystems erfordere, den Anteil schlecht bezahlter Arbeit zu verringern, sagt Michael Vassiliadis. Der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie sieht beim SPD-Rentenkonzept Diskussionsbedarf vor allem bei der Frage, wie das geplante Rentenniveau erreicht werden kann.

Michael Vassiliadis im Gespräch mit Peter Kapern | 11.09.2012
    Peter Kapern: Andere Nationen wären vielleicht schon froh, wenn sie nur ein Konzept für die Vermeidung von Altersarmut hätten; wir haben gleich zwei davon und möglicherweise sind wir nicht einmal gezwungen, uns für das eine oder andere zu entscheiden, denn beide passen ganz gut zueinander - das der CDU, ausgearbeitet von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, und das der SPD, vorgelegt von Parteichef Sigmar Gabriel -, weshalb der FDP angesichts einer sich vielleicht schon andeutenden großkoalitionären Rentenpolitik bereits die Halsschlagader schwillt. Wir haben das hier eben gehört. Fest steht: die Konzepte von SPD und CDU, meint jedenfalls Gerhard Schröder, unterscheidet gar nicht so viel.

    Bei uns am Telefon ist nun Michael Vassiliadis, der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie. Guten Morgen!

    Michael Vassiliadis: Guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Vassiliadis, schauen wir doch zunächst einmal auf das Rentenkonzept, das SPD-Chef Sigmar Gabriel da gestern vorgelegt hat. Sorgt das dafür, dass der SPD jetzt die Arbeitnehmerherzen wieder zufliegen?

    Vassiliadis: Da bin ich noch nicht ganz sicher. Das sind ja auch zwei verschiedene Dinge. Das eine ist, dass das Thema Rente und auch die Probleme, die wir in der Zukunft erwarten können, jetzt wieder auf dem Tisch liegt – zum einen, weil die Bundesregierung nun offiziell bestätigt hat, dass Altersarmut droht, das ist ja lange bestritten worden, für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und natürlich die SPD die Debatte, nachdem wir uns jahrelang über die Frage des Rentenzugangsalters gestritten haben, etwas konzeptioneller wieder angeht und etwas auf den Tisch legt, über das man reden kann.

    Kapern: Wo genau sehen Sie denn Nachbesserungsbedarf am SPD-Konzept?

    Vassiliadis: Zunächst einmal sehe ich im Grundkonzept, das vorgelegt worden ist, das Aufgreifen wichtiger Themen, die die Arbeitnehmer und auch die Gewerkschaften in den letzten Jahren thematisiert hatten, beispielsweise die Frage der Solidarrente, also einem Entgegenwirken einer Altersarmut, das letztendlich ja auch darauf beruht, dass wir in Deutschland prekäre Beschäftigung haben, nicht gut bezahlte Beschäftigung. Das ist natürlich mit dem Grundprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung nicht kompatibel. Schlechte Löhne bedeuten zwangsläufig in diesem System am Ende auch schlechte Renten, und deswegen das zu ergänzen beziehungsweise einen Sockel zu schaffen, für diese Menschen zu ergänzen um die Betriebsrente und auch die Konzepte, die in den letzten Jahren ja umgesetzt worden sind – meine Gewerkschaft beispielsweise hat tarifvertraglich den Chemie-Pensionsfonds geschaffen, in dem ähnlich kollektive, aber branchenbezogene Lösungen da sind -, das kompatibel zu halten, das ist in diesem Konzept erkennbar. Wir können nicht jede drei oder vier Jahre einen neuen Ansatz finden in der Rentenpolitik. Das ist kompatibel in der Kontinuität und schafft die Möglichkeit, am Ende für die Beschäftigten in der Kombination auch ein ordentliches Rentenniveau zu erreichen.

    Kapern: Aber eigentlich, Herr Vassiliadis, hatte ich ja gefragt nach den Punkten, die Ihnen am SPD-Konzept noch nicht gefallen.

    Vassiliadis: Ja. Ich habe aber erst mal geantwortet, was mir gefällt. Was natürlich offen bleibt ist die Frage, wie wird sich das Rentenniveau insgesamt entwickeln. Es gibt ja die Diskussion darüber, was muss die gesetzliche Rentenversicherung an Niveau abdecken, oder, wie jetzt vorgesehen, 43 Prozent. Das Konzept selber geht davon aus, dass in der Addition der verschiedenen Säulen, also betrieblicher und privater Altersversorgung und der gesetzlichen, ein solches Rentenniveau erreicht wird. Das ist natürlich nicht sichergestellt zwangsläufig, sondern erfordert eine weitere Diskussion, wie man dann den Grat der Abdeckung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der betrieblichen Rentenversicherung, aber dann auch in der privaten wirklich sichern kann, und darüber muss sicherlich noch geredet werden.

    Kapern: Das heißt aber, wenn ich Sie recht verstehe, dass Sie nicht fordern, dass die Absenkung des staatlichen Rentenniveaus von 50 auf 43 Prozent definitiv rückgängig gemacht werden muss?

    Vassiliadis: Nein! Ich möchte, dass wir insgesamt über ein Rentenniveau in der Addition der verschiedenen Säulen der Rentenversicherung reden, das eine Rente ermöglicht, die eben nicht bei 43 Prozent liegt – das ist logisch -, sondern in der Kombination ein gutes und sicheres Auskommen für die Beschäftigten haben. Das haben wir ihnen in den letzten Jahren auch als Gewerkschaften in Tarifverträgen und natürlich auch über die ganzen Debatten, die gelaufen sind, signalisiert. Sie müssen dort etwas tun, wir haben etwas getan, und ich möchte eigentlich nicht jede fünf Jahre eine neue Richtung in die Arbeitnehmerschaft bringen, weil das am Ende nur verunsichert. Das kann gelingen und das ist auch finanzierbar.

    Kapern: Heißt das, wir haben es da in diesem Bereich mit einer Kakofonie, einer rentenpolitischen Kakofonie der Gewerkschaften zu tun, denn die IG Metall fordert definitiv eine Abkehr vom Rentenniveau 43 Prozent?

    Vassiliadis: Na ja, sagen wir es so: Wir können darüber natürlich debattieren. Wir müssen dann nur offen sagen, was das bedeutet. Es gibt natürlich Zielkonflikte. Man kann das Rentenniveau von der gesetzlichen Rentenversicherung natürlich auf 50 Prozent anheben – bedeutet aber, wir müssen über die Beiträge reden und die Beiträge steigen dann in einem Maße, das kann man ja nun relativ detailliert ausrechnen, wo auch Beitragszahler, die Arbeitnehmer sind, mit Sicherheit die Frage stellen, ob das am Ende effizient ist, ob das am Ende eine gute Anlage ist. Deswegen, glaube ich, ist es sinnvoller, dass wir über ein Ziel reden – und da sind Ansätze in dem SPD-Konzept vorhanden -, wie wir am Ende insgesamt ein Rentenniveau für unsere Beschäftigten organisieren können, da können die Gewerkschaften ja auch selbst eine ganze Menge tun, das ein ordentliches Auskommen im Alter beinhaltet, und das eben auch zu sichern und langfristig anzugehen und nicht alle fünf Jahre neu diskutieren.

    Kapern: Sigmar Gabriel hat gestern vorgerechnet, dass bei einer Rückkehr zum Rentenniveau 50 Prozent die Rentenbeiträge auf 26, 27 Prozent steigen würden. Sehen Sie das genauso?

    Vassiliadis: Ja, da gibt es natürlich Unschärfen. Aber es ist ja jetzt schon klar, dass das Rentenniveau bei dem jetzigen Renten-Level bis 2022 eben auch wieder ansteigen wird auf 22 Prozent. Wenn man das finanzieren will, sind wir mit Sicherheit bei 24, 25, 26 Prozent. Das ist deshalb unscharf, weil es natürlich ein zweites wichtiges Thema nicht thematisiert: gelingt es uns in diesem Land, den Anteil an prekärer Beschäftigung, an schlecht bezahlter Arbeit zu verändern. Wenn das gelingen würde, dann kann man natürlich auch ein solches gesetzliches System wieder neu justieren, aber das hängt eben voneinander ab und deswegen kann man unter heutigen Gesichtspunkten natürlich diese Frage so beantworten, wie er es getan hat: es wird steigende Beiträge geben.

    Kapern: Jetzt habe ich noch etwas nicht von Ihnen gehört, was ich eigentlich vermutet hätte, dass Sie es sagen würden, nämlich dass die SPD von der Rente mit 67 wieder abrücken muss.

    Vassiliadis: Die Diskussion um die Frage Rente mit 65 oder 67 ist ja in diesem Land sehr hart geführt worden. Die Gewerkschaften haben sehr deutlich – und das ist in dem Konzept aufgegriffen, ist übrigens auch Position des DGBs -, dass wir für besonders belastete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Ausgang deutlich vor der 67 und 65, nämlich mit 60 brauchen, um einer ganzen Generation hart arbeitender Menschen eine Möglichkeit zu geben, gesund in die Rente zu kommen.

    Kapern: Die IG Metall fordert eine generelle Abkehr vom 67er-Renteneintrittsalter.

    Vassiliadis: Ja ich nicht. Ich sage, dass wir Konzepte brauchen, in denen wir differenziert jetzt in den nächsten Jahren darauf reagieren. Ich glaube, dass wir mit der Gestaltung besserer Arbeitsorganisation und vor allen Dingen auch Gesundheitsschutz in einer Zeit gestalten können, dass die Menschen auch länger arbeiten können. Aber jetzt – und das ist absolut richtig und da sind wir uns auch sehr einig – ist Umschalten auf einen Rentenzugang mit 67 für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Ende nicht machbar, weil die Menschen nicht gesund in Rente kommen, und deswegen brauchen wir Konzepte von Teilrente und früherem Ausstieg.

    Kapern: Nun hat ja, Herr Vassiliadis, auch Ursula von der Leyen ein Konzept gegen die Altersarmut vorgelegt. Rentenpolitik und Sozialpolitik war ja häufig im Konsens gelöst worden zwischen Regierung und Opposition in der Geschichte der Bundesrepublik. Sollte das auch diesmal wieder so sein?

    Vassiliadis: Ja. Wir waren ja alle überrascht, dass sie das in der letzten Woche so vorgelegt hat. Anknüpfungspunkte gibt es, Sie haben es in der Anmoderation gesagt, insbesondere mit Blick auf die Solidarrente, also die Mindestrente. Es gibt aber viele, viele offene Fragen auch, und ich glaube, darüber muss geredet werden und da muss man auch nicht von Großer Koalition sprechen. Es hat in der Vergangenheit an diesem Thema Rente immer eine Zusammenarbeit der großen Parteien gegeben, jenseits der Koalitionen.

    Kapern: Ist das ein Wert an sich?

    Vassiliadis: Das ist ein Wert an sich, weil es bei der Rente um Themen geht, die extrem langfristig in dieser Gesellschaft wirken, und deshalb muss man den Menschen signalisieren, dass trotz allem notwendigen politischen Streits – das gehört ja ein bisschen zum Geschäft – in diesem Feld (es gibt auch andere Felder, aber in diesem Feld auch) die Politik ihre Verantwortung wahrnimmt. Da gibt es allerdings in dem Vorschlag von Frau von der Leyen viele Lücken, insbesondere auch bei der Frage, wann wir wie gesagt die Gelegenheit bekommen, als Gewerkschaften auch einen früheren Ausstieg für besonders belastete Gruppen etc. auf den Weg zu bringen. Das alles fehlt. Trotzdem ist dieser Punkt der Solidarrente natürlich diskussionswürdig.

    Kapern: Michael Vassiliadis, der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Herr Vassiliadis, danke, dass Sie heute Morgen Zeit für uns hatten.

    Vassiliadis: Ja gerne! Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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