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Vater in Jeans, Kind in Talar

An zahlreichen deutschen Unis und Fachhochschulen sind Talare und schwarze Baretts in den vergangenen Jahren wieder aufgetaucht. Fast jeder zweite Absolvent der Universität Bonn feiert inzwischen sein Examen im Talar. Steckt hinter der zur Schau gestellten Traditionspflege vielleicht eine späte Abrechnung mit der 68er-Reformbewegung an den Unis?

Von Henning Hübert | 07.07.2008
    Der Sekt ist ausgeschenkt, und das Abschlussfoto gemacht. Für das haben die 930 Bonner Uni-Absolventen ihre schwarzen viereckigen Hüte in die Luft geworfen und versucht, sie auch wieder zu fangen. Trotz der Hitze haben auch danach alle noch die schwarzen knöchellangen Talare an. Auf ihnen liegen Schals in den Farben der jeweiligen Fakultät. Scharlachrot und Purpur dominieren: Die meisten hier sind Mediziner, Juristen und Volkswirte. Auch die Volkswirtin Alice Westerhoff trägt Schwarz und Purpur.

    "Der Talar als Symbol für das bestandene Studium, einfach schön. Und man fühlt sich auch richtig so als erhobene Absolventin, ist schon ein schönes Gefühl."

    Der Vater Klaus Westerhoff steht in Jeans und mit Sektglas daneben. Er hat früher die Abendschule besucht, kennt die Uni nur von Erzählungen seiner Tochter, die jetzt im Talar neben ihm steht.

    "Auf alles, was man selbst nicht hat, ist man besonders stolz. Auch das, was man persönlich gar nicht erreicht hat. Und insofern kann ich diesen Stolz in Würde einfach weitergeben."

    Der Bonner Soziologieprofessor Jörg Blasius beobachtet die jetzt zum fünften Mal abgehaltene Absolventenfeier der Talarträger an seiner Uni. Seit 2004 hat sich deren Teilnehmerzahl verdoppelt. Prüfung in Jeans und das Abschluss-Zeugnis irgendwann im Briefkasten - das würden die heutigen Studenten mehrheitlich ablehnen.

    "Es ist meine Kindergeneration. Die haben sich von den 68ern gelöst. Das ganze ist vollkommen unpolitisch. Es ist eigentlich ein Spaß, es ist ein Event, was hier veranstaltet wird und wo man auch gerne dran teilnimmt als Abwechslung, als schönen Abschluss eines langen Studiums."

    Die Bonner Universität möchte aber mehr als nur eine Spaßfeier in der Kostümierung amerikanischer Traditions-Unis veranstalten. Max Baur, Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs hat das Talare-Treffen in Bonn etabliert, weil er will, dass sich die Abgänger gerne an Bonn erinnern und als Alumni auch weiter verbunden bleiben. Das heutige Wieder-Anlegen der Talare ist für Max Baur auch eine politische Aussage. Als Student der 68er-Bewegung stand er früher voll hinter dem Spruch "Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren. Denn damals ging es gegen die die Nichtaufarbeitung der NS-Vergangenheit an den Universitäten.

    "Hier unter diesen Talaren sitzt ja kein Muff. Das sind junge Menschen. Damals war die Aussage absolut politisch gerechtfertigt. Es ging um die Talare der Professoren, Professorinnen. Und es ging darum: Der Muff, das war die Vergangenheit, die ja entsetzliches Leid in Deutschland hervorgerufen hatte und die wir jungen Menschen immer noch verspürten in den autoritären Systemen. Insofern können Sie sagen, ist das hier auch schon wieder eine politische Veränderung in die Richtung, dass wir den jungen Menschen sagen, sie dürfen den Mut haben, sich mit einer Sache zu identifizieren."

    Dafür stehen die Absolventen auch gerne Schlange bei der Talarausleihe. 21 Euro bezahlt jeder als Leihgebühr. 86 Euro würde der Kauf kosten. Doch das machen nur die allerwenigsten, sagt Peter Augsdörfer von der bayerischen Firma Robe Academicus, die sich über eine bundesweit steigende Nachfrage nach ihren Talaren freut:

    "Es ist also durchaus Wachstum da. Wobei die Universität Bonn die Spitze darstellt. Die Hochschulen versuchen ja sich zu differenzieren. Und das ist eindeutig ein Differenzierungsmerkmal. Und die Uni Bonn ist auch bekannt dadurch, dass sie dieses Fest ausrichtet. Wir bekommen ja Anfragen von anderen Hochschulen, die das nachmachen möchten."

    Vorbehalte erlebe er nicht mehr.

    "Wir müssen eigentlich kein Eis brechen. Sondern das machen dann die Hochschulen selbst, die ihre Studenten überzeugen, beziehungsweise oft geht es auch andersrum, dass es von den Studenten kommt, die das der Hochschulleitung vorschlagen. Das ist also nicht mehr wie in den 60ger Jahren der Muff unter den Talaren, sondern das ist eher ein Differenzierungsmerkmal und ein Fun-Faktor."

    Bei der Talar-Ausleihe stehen noch zwei Brüder, die zögern: Nur Rückgabe oder sogar Kauf des Talars? Kofi und Nana-Yaw Bimpong-Buta, beides fertige Mediziner, ihre Eltern stammen aus Ghana. Nana ist schon von Bonn an ein Berner Spital gewechselt. Er will es seinem Großvater nachmachen.

    "Die Überlegung ist: Am Anfang des Jahres war ich in Ghana. Und da hat mir meine Großmutter den Talar von meinem Opa gezeigt. Und den hat er wahrscheinlich auch nicht wieder angezogen. Aber ich fand das als Symbol so toll. Dass ich einfach sehen konnte, dass mein Opa, der hat seinen Abschluss damals in den USA gemacht und dort ist das ja genauso wie hier in Bonn, dass man dann auch das richtig feiert. Und als Erinnerungsstück ist das so toll. Und deswegen habe ich mir das überlegt, ob ich das vielleicht investiere und meinen Bruder auch einlade, dass man das behalten kann."