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Vatileaks-Prozess
Reportern droht Haftstrafe wegen Hochverrats

Als Enklave sitzt innerhalb Roms der Vatikanstaat – und just dort stehen zurzeit zwei Journalisten vor Gericht. Italienische wohlgemerkt, die sich de facto einer ausländischen Gerichtsbarkeit unterziehen müssen.

Von Thomas Migge | 28.11.2015
    Petersdom im Rom
    Zwei italienische Journalisten sind im Vatikan angeklagt, die die von Vatikanmitarbeitern gestohlenen Geheimdokumente veröffentlichten. (dpa / picture alliance / ANSA / Mario_De_Renzis)
    Die Ankunft der beiden Dienstag Vormittag am Eingang in den Kirchenstaat glich einem Tumult. Dutzende von Journalisten stürzten sich auf die zwei Kollegen, um zu erfahren, wie sie sich fühlen und was sie sagen werden.
    Zum ersten Mal überhaupt wurde am Dienstag im Kirchenstaat ein Prozess gegen zwei italienische Journalisten begonnen. Gianluigi Nuzzi und Emiliano Fittipaldi, zwei Enthüllungsjournalisten, wird seitens der vatikanischen Staatsanwaltschaft vorgeworfen, geheimste Dokumente aus dem Vatikan illegalerweise veröffentlicht zu haben. In Form zweier Bücher, die vor kurzem erschienen sind, und international für Aufsehen sorgen. Nuzzi und Fittipaldi zeichnen darin, belegt mit Originaldokumenten, das Bild eines Vatikans, in dem es finanzpolitisch immer noch chaotisch bis korrupt zugeht. Das Geld frommer Kirchensteuerzahler, das machen beide Bücher deutlich, wird anscheinend mit vollen Händen aus dem Fenster geworfen.
    Die vatikanische Justiz will bei dem jetzt begonnenen Prozess auch gegen jene zwei Journalisten vorgehen, die die von Vatikanmitarbeitern gestohlenen Geheimdokumente veröffentlichten. Sie will damit einen Präzedenzfall schaffen, in der vagen Hoffnung, dass sich so etwas nicht noch einmal wiederholen wird. Nuzzi und Fittipaldi hätten sich, so die vatikanische Staatsanwaltschaft, der Mittäterschaft am Hochverrat vatikanischer Geheimnisträger mitschuldig gemacht. Ein schwerer Vorwurf: Nach vatikanischem Strafrecht droht den beiden eine Haftstrafe von bis zu vier Jahren.
    Geschmackloser Enthüllungsjournalismus?
    Von Haftstrafen will Marco Tarquinio, Chefredakteur der Tageszeitung "Avvenire", die von der italienischen Bischofskonferenz herausgegeben wird, nichts hören. Aber er findet diese Form von Enthüllungsjournalismus geschmacklos:
    "Ich weiß nicht, wie die an die Unterlagen und an die Leute gekommen sind, die diese Unterlagen gestohlen haben, aber das ist doch kein guter Journalismus. Aber welche konkrete Schuld die beiden haben, das kann nur das Gericht entscheiden."
    Völkerrechtlich bedenklich?
    Wider erwarten waren Nuzzi und Fittipaldi zum Prozessbeginn am Dienstag im Vatikan vor Gericht erschienen. Aber nicht etwa, um sich der Justiz eines ausländischen Staates zu stellen, sondern um klipp und klar ihre Position deutlich zu machen: als italienische Staatsbürger hätten sie das Recht, erklärten Nuzzi und Fittipaldi, Fakten zu ermitteln und zu enthüllen, also zu publizieren. Da der Heilige Stuhl eine absolute Monarchie sei, in der eine demokratisch legitimierte Justiz nicht existiere, so ihre Argumentation, werde man sich einer solchen Justiz nicht unterwerfen. Nuzzi findet es völkerrechtlich bedenklich, wie der Vatikan mit italienischen Journalisten umzugehen versucht:
    "Erst am 21. November erfuhr ich, dass der Vatikan gegen mich prozessieren will. Ohne mich zu fragen wurde mir ein vatikanischer Anwalt zur Seite gestellt. Was mir konkret vorgeworfen wird, erfuhr ich erst am Tag des Prozessbeginns. Ich hatte also keine Zeit mir diese Unterlagen durchzulesen."
    Der Vatikanstaat, so Nuzzi und auch sein Kollege Fittpaldi, versuche, Zitat, "die Freiheit der Berichterstattung in einem freien Land wie Italien einzuschüchtern". Beide Journalisten sind davon überzeugt, dass sie das Strafverfahren als nach EU-Recht unerlaubte Einmischung eines ausländischen Staates in die freie Medienlandschaft Italiens betrachten. In diesem Sinn forderten sie am Mittwoch die italienische Regierung dazu auf, den Vatikan in diesem Punkt zurechtzuweisen. Doch bis heute schweigt Regierungschef Matteo Renzi. Der praktizierende Kirchgänger will es sich anscheinend nicht mit dem Vatikan verscherzen.