Donnerstag, 25. April 2024

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Venezuela
"Die humanitäre Situation im Land ist dramatisch"

Der Lateinamerika-Experte Günther Maihold geht davon aus, dass die Maduro-Regierung versuchen wird, den Übergangspräsidenten der Opposition Guaidó gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen. Das sagte er im Dlf. Maduro dagegen habe das Militär hinter sich.

Günther Maihold im Gespräch mit Christiane Kaess | 24.01.2019
    Demonstranten bedecken sich den Mund zum Schutz vom Tränengas bei einem Protest gegen die Regierung von Präsidenten Maduro.
    Venezolaner protestieren gegen Präsident Maduro. (dpa / picture alliance / Rayner Pena)
    Christiane Kaess: Es war gestern wieder einmal zu heftigen Demonstrationen in Venezuela gekommen. Es fehlt in dem Land vielen an allem. Bei lautstarken Protesten haben die Venezolaner ihren Präsidenten Nicolas Maduro erneut zum Rücktritt aufgefordert. Sie machten ihrem Unmut Luft über die Inflation, die sprunghaft angestiegen ist, und über den massiven Mangel an Dingen des täglichen Lebens. Die Opposition hatte zu landesweiten Protesten aufgerufen, allen voran ihr Führer Juan Guaidó, der auch Präsident des entmachteten Parlaments ist. Und er hat sich bei diesen Protesten in der Nacht zum Übergangspräsidenten Venezuelas erklärt und nur Minuten später hat der amerikanische Präsident Donald Trump sowie Kanada und ein Großteil der südamerikanischen Länder Guaidó als Präsidenten Venezuelas anerkannt.
    Darüber kann ich jetzt sprechen mit Günther Maihold. Er ist Lateinamerika-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen, Herr Maihold.
    Günther Maihold: Guten Morgen.
    Kaess: Sie beobachten Venezuela schon lange. Haben Sie so etwas erwartet?
    Maihold: In diesem Moment war nicht davon auszugehen, dass es der Opposition gelingt, eine so massive Mobilisierung wieder auf die Straße zu bekommen, nachdem die letzten Proteste ja schon eineinhalb Jahre zurückliegen. Auf der anderen Seite ist natürlich die humanitäre Situation im Land schon sehr dramatisch, so dass die Bereitschaft der Bevölkerung, sich zu manifestieren, durchaus stark ausgeprägt ist.
    Kaess: Und jetzt macht Guaidó diesen Vorstoß, sich zum Übergangspräsidenten zu erklären. Das war ja offenbar abgestimmt, zumindest sieht es so aus, dass die USA, Kanada und mehrere südamerikanische Länder ihn tatsächlich dann auch sofort anerkennen. Was bedeutet das für Guaidó?
    Maihold: Nun, zunächst mal wird er damit klar zum Oppositionsführer und zur Projektionsfläche der Erwartungen der internationalen Gemeinschaft, was ihm sicherlich eine stärkere Position im eigenen Lande einräumt. Auf der anderen Seite steht er natürlich in einer sehr schwierigen Situation, wenn sich die Masse der Bevölkerung nicht dauerhaft an seine Seite stellt und er dann als internationale Figur auf dem Schachbrett hin- und hergeschoben wird, ohne dass es ihm gelingt, wirklich die Machtbalance in Venezuela zum Kippen zu bringen.
    "Die Opposition ist in der Lage Mehrheiten zu mobilisieren"
    Kaess: Wie stark ist denn sein Rückhalt in der Bevölkerung?
    Maihold: Das können wir nur abschätzen. Es gibt ja keine belastbaren Zahlen. Es ist davon auszugehen, dass die Opposition durchaus in der Lage ist, Mehrheiten zu mobilisieren. Sie kann sich nur bislang meist nicht auf einen Kandidaten einigen und dann auch gemeinsam in einem Wahlkampf sich erfolgreich durchsetzen.
    Kaess: Und haben Sie den Eindruck, dass jetzt nach diesen aktuellen Entwicklungen da mehr Geschlossenheit in der Opposition herrscht?
    Maihold: Es ist zumindest ein neues Momentum für die Opposition und es wird genau darauf ankommen, dass es ihr gelingt, das Defizit zu überwinden, was sie schon seit Jahren mit sich herumschleppt, dass es ihr nicht gelingt, einen größeren Teil aus der Gruppe der Chavisten herauszubrechen, die mit Maduro und seinem Regime unzufrieden sind. Diese haben sich bisher nicht dazu entschließen können, sich auf die Seite der Opposition zu stellen, weil sie sie als zu stark am alten Regime, an den alten Eliten orientiert wahrnehmen.
    "Das Militär ist gespalten"
    Kaess: Und dieses alte Regime, was wird das jetzt unter Nicolas Maduro tun?
    Maihold: Nun, dieses Maduro-Regime kann sich zunächst offensichtlich darauf verlassen, dass das Militär ihm loyal bleibt. Wir haben Erklärungen der Oberkommandierenden, die dies erkennen lassen. Allerdings ist das Militär gespalten. Wir können also davon ausgehen, dass durchaus einzelne Gruppierungen bereit wären, sich zu erheben. Aber bislang waren das keine Bewegungen, die darauf hindeuten, dass die Machtbalance ins Wanken geraten könnte.
    Kaess: Die Opposition will ja zumindest eine Übergangsregierung erreichen. Ist das eine realistische Forderung?
    Maihold: Dies würde voraussetzen, dass sich die Maduro-Regierung zu Verhandlungen bereiterklärt und dass sie einen politischen Transitionsprozess bekommen. Da sieht es gegenwärtig nicht danach aus. Maduro setzt voll auf Sieg und kann dies gegenwärtig noch machen, weil er sich der Unterstützung des Militärs, das ja mit führenden Generälen in seiner Regierung sitzt, versichern kann. Solange hier noch keine Veränderung stattfindet, wird es sehr schwierig sein, dass die internationale Anerkennung von Guaidó diese Balance verändern wird.
    Kaess: Herr Maihold, sagen Sie uns zum Schluss Ihre Einschätzung. Wie wird dieser Machtkampf ausgehen? Wie könnte ein Szenario für die nächsten Tage und Wochen aussehen?
    Maihold: Ich gehe davon aus, dass die Maduro-Regierung durchaus jetzt ihren Repressionsapparat anwerfen wird, dass sie versuchen wird, Guaidó gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen – all dies aufgrund der Tatsache, dass sie sich meint, nunmehr ganz klar gegen den US-amerikanischen Imperialismus, wie sie es nennt, positionieren zu können. Und ich fürchte, dass wir noch warten müssen, bis sich eine hinreichend starke Koalition in Venezuela gefunden hat, um den Umschwung in Szene zu setzen.
    Kaess: Die Einschätzung von Günther Maihold. Er ist Lateinamerika-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Vielen Dank für das Gespräch.
    Maihold: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.