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Venezuela
Spannungen vor der ersten Parlamentssitzung

Im Dezember straften die Venezolaner die Sozialisten bei den Parlamentswahlen ab: Die konservative Partei MUD gewann überraschend eine Zweidrittel-Mehrheit. Das Land befindet sich in einer tiefen Wirtschaftskrise und die Bevölkerung muss für Dinge wie Milch, Mehl oder Windeln stundenlang anstehen. Die Stimmung ist gereizt vor der ersten Sitzung des neuen Parlaments.

Von Anne Demmer | 05.01.2016
    Neu gewählte venezolanische Abgeordnete des siegreichen Bündnisses Tisch der Demokratischen Einheit und ein Anwalt inhaftierter Oppositionspolitiker auf einer Pressekonferenz in Caracas.
    Neu gewählte venezolanische Abgeordnete des siegreichen Bündnisses Tisch der Demokratischen Einheit im Dezember 2015. (picture alliance / dpa / EFE / Miguel Gutierrez)
    Auf einem Hügel im Westen von Caracas scheint der Chavismus ungebrochen. Eine Gruppe von rund 40 Menschen läuft im Gänsemarsch einer jungen Frau hinterher, die nicht müde wird, die in Stein gemeißelte Zitate des Comandante Hugo Chavez gebetsmühlenartig zu wiederholen. Die Besuchsgruppe besichtigt das Cuartel de la Montaña - eine ehemalige Militärakademie in Caracas. Hier befindet sich das Grab von Chavez - symbolträchtig im Armenviertel 23. Januar.
    "Fotos hier an dieser Stelle sind nicht erlaubt", sagt die junge Frau, während sie die Gruppe am steinernen Sarkophag vorbeischleust. Vier Soldaten in roten Paradeuniformen bewachen das Grab. Irva Hernández ist mit ihrem Mann extra aus dem Landesinneren angereist, erzählt sie beim Rausgehen.
    "Ich bin aus vollstem Herzen Chavistin, ich habe Hugo Chávez in seinen Kampagnen unterstützt, er hat viel für uns getan. Ich war ihm immer treu und bin es jetzt Präsident Nicolás Maduro - trotz seiner Fehler, bleibe ich loyal. Mal sehen was die Opposition nach ihrem Wahlsieg jetzt vorhat. Ich glaube nicht, dass sie etwas an unserer Situation verändern werden, für mich bleibt die Revolution die Lösung."
    "Ich habe meine Stimme der Opposition gegeben, um mich zu rächen"
    Am Fuße der Militärakademie lebt Gabriela, ihr Viertel war bislang eine Chavisten-Hochburg. Doch bei den Parlamentswahlen haben die Sozialisten auch hier verloren. Die 21-Jährige glaubt nicht mehr an den Sozialismus, auch wenn sie wenig von der Opposition hält.
    "Ich habe meine Stimme der Opposition gegeben, um mich zu rächen. Was hier im Land passiert, ist unglaublich. Die Kriminalität wird immer schlimmer und das Geld reicht hinten und vorne nicht. Es gibt keine Grundnahrungsmittel."
    Sie hofft auf den Wechsel. Mit ihrer Zweidrittelmehrheit hat die Opposition die Möglichkeit Reformen einzuleiten, sie kann aber auch ein Referendum zur vorzeitigen Absetzung des Präsidenten ausschreiben und eine Amnestie für politische Gefangene erlassen. Die venezolanische Soziologin Collette Capriles warnt.
    "Die Opposition kann nun wirklich Einfluss nehmen, sie sollte mit ihrer neuen Macht aber vorsichtig umgehen. Auf der anderen Seite bleibt natürlich die Frage, ob sich Maduro auf dieses neue Kräfteverhältnis einlassen will. Fest steht, scheitert dieses neue Projekt, wird es am Ende die Bürger treffen, wir haben hier quasi eine humanitäre Krise, die Zeit drängt."
    Vor der ersten Sitzung des Parlaments
    Erste Konflikte zeichnen sich bereits ab: Kurz vor der konstituierenden Sitzung untersagte der Oberste Gerichtshof auf Antrag der Sozialisten vorerst den Amtsantritt von drei oppositionellen Abgeordneten - wegen Wahlbetrugs. Das Mitte-Rechts-Bündnis bezeichnet den Richterspruch als juristischen Putschversuch und will trotzdem geschlossen zur ersten Parlamentsversammlung antreten. Vor der ersten Sitzung haben die Abgeordneten der Opposition den Sozialdemokraten Henry Ramos als künftigen Präsidenten der Nationalversammlung bestimmt.
    "Wir müssen die Mehrheit respektieren, aber auch die Minderheit, ein Zusammenleben mit denen die mehr Stimmen und weniger Stimmen haben ermöglichen, denn wir sind alle Venezolaner", erklärt Henry Ramos nach seiner Ernennung. Er gehörte in der Vergangenheit zu den schärfsten Kritikern der Sozialisten. Bleibt abzuwarten wie sich die erste Sitzung des neuen Parlaments gestaltet, welche Töne angeschlagen werden. In einem Supermarkt im Zentrum von Caracas, steht Ana Martínez derweil seit Stunden in der Schlange.
    "Für zwei Kilo Mehl. Das ist unsere Realität. Aber ich habe die Hoffnung, dass sich bald was ändert."
    Es muss sich etwas ändern, sagt sie, während sie von einem Bein auf das andere tritt. In der Schlange geht es derweil nicht voran.