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Veränderungen von unten?
Die russische Opposition und die Wahlen zum Moskauer Stadtparlament

In Russland setzt die Opposition zurzeit auf Veränderung von unten. Für die Wahl zum Moskauer Stadtparlament haben knapp 20 Oppositionelle die erforderlichen Unterschriften eingereicht. Doch die Wahlkommission hat Teile davon für gefälscht erklärt. Dagegen regt sich Widerstand.

Von Gesine Dornblüth | 16.07.2019
Jelena Russakowa, Kandidatin der liberalen Oppositionspartei Jabloko. Auf dem Plakat fordert sie die Zulassung der Oppositionskandidaten zur Wahl.
Jelena Russakowa, Kandidatin der liberalen Oppositionspartei Jabloko. Auf dem Plakat fordert sie die Zulassung der Oppositionskandidaten zur Wahl. (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
Es ist ein symbolträchtiger Augenblick. Eine Menschenmenge steht vor dem Moskauer Rathaus, einige klopfen an die schwere Tür des Gebäudes. Die Menge skandiert "Zulassen" und "Veränderungen".
So geschehen am Sonntagnachmittag. Mehr als tausend Menschen zogen – ohne Genehmigung der Behörden - durch die Stadt, um die Zulassung der Oppositionskandidaten zur Wahl des Moskauer Stadtparlaments im September zu fordern. Einer der Kandidaten ist Alexander Solowjow.
"Die Wahlkommission hat mir mitgeteilt, dass 43 Prozent meiner Unterstützerunterschriften ungültig sind. Das sind rund 2.400 von mehr als 5.700. Angeblich finden sich diese Namen nicht in der Datenbank der Meldebehörden. Das ist kompletter Irrsinn."
Verhindern um jeden Preis?
Unabhängige Kandidaten und solche von Parteien, die nicht in der Staatsduma vertreten sind, müssen Unterschriften sammeln, um zugelassen zu werden: Drei Prozent der Wahlberechtigten in ihrem Wahlkreis. Solowjows Jacke schlottert, der Kraftakt hat ihn sieben Kilo Körpergewicht gekostet, aber er hat mit seinen Helfern sogar mehr als die erforderliche Zahl der Unterschriften zusammenbekommen. Er ist überzeugt, die Wahlkommission wolle seine Kandidatur und die seiner Mitstreiter um jeden Preis verhindern.
"Aus Feigheit. Und aus Angst. Es ist die Gewissheit, dass sie bei tatsächlicher Konkurrenz verlieren würden."
Solowjow zeigt Fotos aus dem Protokoll der Kommissionssitzung.
"Beim Überprüfen geben sie die Namen absichtlich fehlerhaft in den Computer ein, nicht so, wie sie auf dem Unterschriftenblatt stehen. Hier zum Beispiel. Im Russischen gibt es keinen Vatersnamen mit zwei "tsch" am Ende. Sie sagen, unsere Helfer hätten das so geschrieben. Aber wir haben ja die Formulare. Und da steht das so nicht."
Erste Erfolge bei Bezirksversammlungen
Alexander Solowjow hat Erfahrung mit den Zulassungsverfahren. Bei den Kommunalwahlen 2017 hat er als Leiter einer Stiftung unabhängige Kandidaten in ganz Russland unterstützt. In Moskau zogen mehr als 250 Oppositionelle in die Bezirksversammlungen ein, in einigen Bezirken stellen sie sogar die Mehrheit. Mehrere Bezirksabgeordnete kandidieren nun für die nächsthöhere Ebene. Ihre Stärke sei die Nähe zu den Wählern, sagt Jelena Russakowa, Abgeordnete der liberalen Partei Jabloko im Gagarin-Bezirk.
"Einer unserer größten Erfolge ist, dass wir den Leninskij Prospekt, eine der Hauptstraßen Moskaus, erhalten konnten. Es gab Pläne, daraus eine Autobahn zu machen: Verkehrstechnisch völlig unsinnig, mitten durch Wohnviertel. Es war schwer, das zu stoppen, aber wir haben es geschafft."
Die Bezirksversammlungen entscheiden in Moskau allerdings nur wenig, vor allem über Stadtbegrünung, Parkbänke, kommunale Dienstleistungen. Auch deshalb will Russakowa ins Stadtparlament.
Wahlkommission weist Vorwürfe zurück
"Moskau hat ein gigantisches Budget. Es wird völlig irrational verwendet und nicht zum Wohle der Bevölkerung. Es wird schlichtweg ausgeraubt."
Auch Russakowa fürchtet, dass sie aufgrund konstruierter Vorwürfe nicht zur Wahl zugelassen wird. Der Vorsitzende der Moskauer Wahlkommission, Walentin Gorbunow, weist die Vorwürfe, die Opposition zu behindern, im Interview mit dem Radiosender Echo Moskwy zurück:
"Die Wahlkommissionen arbeiten im Rahmen des Gesetzes. Wir behandeln alle Kandidaten gleich."
In einer Erklärung der Wahlkommission heißt es, einzelne Oppositionspolitiker versuchten, die Behörde mit illegalen Methoden, gemeint sind die Proteste, zu erpressen. Und das könne strafbar sein.