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Verantwortung für Doping "einzig und allein beim Sport"

Während das Doping in der DDR vom Staat ausging, seien in Westdeutschland dafür die Spitzenverbände des Sports zuständig gewesen, sagt der ehemalige Bundestrainer der Kugelstoßerinnen, Hansjörg Kofink. Das gelte bis heute.

Hansjörg Kofink im Gespräch mit Jasper Barenberg | 06.08.2013
    Jasper Barenberg: Doping war auch im Westen gewollt, Politiker und Sportfunktionäre wussten bescheid, Kritiker wurden kaltgestellt, auch Jugendliche wurden zum Doping genötigt – einige Erkenntnisse der Studie, die das Bundesinstitut für Sportwissenschaft einst selbst in Auftrag gegeben hat, sich dann aber lange darum herumwandt, die Ergebnisse auch zu veröffentlichen – bis gestern.

    Weil er sich gegen Doping mit Anabolika insbesondere wandte, ist Hansjörg Kofink 1972 als Frauenbundestrainer für die Kugelstoßerinnen zurückgetreten. Er ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen.

    Hansjörg Kofink: Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen!

    Barenberg: Herr Kofink, die Studie sagt ja, im westdeutschen Sport wurde in großem Umfang und systematisch gedopt. Sie haben dieser Tage zu erkennen gegeben, dass für Sie all das gar nichts neues ist.

    Kofink: Ihre Frage oder Ihre Aussage, systematisch gedopt, könnte bereits eine Diskussion in Gang setzen. Ich will es mal anders zusammenfassen. Diese Dinge, um die es hier geht, haben vor über 40 Jahren angefangen. Sie sind – das hat eben Ihre Zusammenfassung aufgezeigt – von den Forschern aus Geldmangel nur bis 1990 überhaupt durchgeführt worden. Der Bericht, initiiert vom BISp, hat jedem, der jemals in diesem Bereich tätig war, klar gemacht, dass hier jemand einen Bericht bezahlt, auch einfordert, der ganz dick in diese ganzen Vorgänge verwoben war. Und dass das Konflikte geben würde, haben wir gesehen bis gestern, denn jetzt ist auf einmal alles anders. Ich kann nur sagen, auch das, was jetzt angekündigt ist, Kommission wird diesen Bericht prüfen: Es gab im Deutschen Sportbund eine Menge Kommissionen um die Zeit der Wende herum. Die berühmteste, die Richthofen-Kommission, die alle Dopingtäter Ost und vor allem auch West aufnotierte und zur Rechenschaft ziehen wollte, ist ausgegangen wie das Hornberger Schießen. Die nächste Kommission wird genauso rausfliegen.

    Barenberg: Darüber lassen Sie uns gleich noch sprechen. Lassen Sie uns zunächst vielleicht noch mal bleiben bei diesem Punkt, wie groß das Ausmaß ist. Lassen Sie uns noch mal Giselher Spitzer hören, der diese Studie ja verantwortlich geleitet hat, was er sagt zu dem Ausmaß, in dem auch das Bundesinstitut in diese Sachen verwickelt war.

    Kofink: Soll ich antworten?

    Barenberg: Ich wollte das gerne mal einspielen, schau mal meinen Kollegen in der Regie an und wir hören noch mal Giselher Spitzer, der dazu eine Aussage macht.

    O-Ton Giselher Spitzer: "Das Neue an der Studie ist das Zusammenwirken, das man feststellen kann, in Umrissen zumindest, dass der Sport, zum Beispiel der Bundesausschuss Leistungssport, Sportverbände, Bundesinstitut für Sportwissenschaft, Sportmediziner, viel enger in diesen Dopingfragen kooperiert haben, als bisher bekannt war."

    Barenberg: Er hebt ja ab auf die enge Zusammenarbeit verschiedener Organisationen bis hinein in dieses Bundesinstitut für Sportwissenschaft. Nun haben wir ja alle gewusst – und Sie haben dieser Tage darauf verwiesen -, dass auch Sportler im Westen nach unerlaubten Mitteln gegriffen haben. Aber dieser systematische Zusammenhang, ist der nicht auch für Sie eine neue Qualität?

    Kofink: Ich sage noch mal: Das ist nicht systematisch, sondern das ist auch aufgrund der Konstruktion so. Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (seine Vorgängerinstitution) wurde vor den Olympischen Spielen in München gegründet und sollte eigentlich für die wissenschaftliche Basis im Sport den Hintergrund bilden. Hat es auch! Und dann ist es doch eigentlich völlig logisch, wenn im deutschen Sport geforscht wird, wenn von der Sportmedizin geforscht wird und wenn die Geld haben wollen, dann müssen sie sich ans BISp wenden. Dazu brauche ich keinen großen Forschungsbericht, das ist Tatsache. Das Problem ist: Man hat über diese Forschungen in der Öffentlichkeit praktisch nichts gewusst, in Insider-Kreisen eine ganze Menge.

    Ich will Sie mal überraschen: 1969 wurde in Deutschland-West, genauer gesagt in Mainz, eine Studie über die Wirkung von Anabolika bei 16-Jährigen gemacht. Damals waren Anabolika noch nicht verboten. Die Studie kam natürlich zu dem Ergebnis, dass das furchtbar sei, aber das ist gemacht worden.

    Barenberg: Ohne, dass es Konsequenzen gegeben hätte?

    Kofink: Das ist freie Forschung gewesen, denn damals gab es ja, wenn ich in einer Forschung feststelle, was ich hier mache, das darf auf gar keinen Fall sein. Die Freiheit der Forschung garantiert, dass so etwas gemacht werden kann. Nur in der Folge war es ja so: Ab 70 waren Anabolika in der Leichtathletik verboten, ab 74 hat das IOC das Verbot ausgedrückt. Alles was dann gekommen ist und was eigentlich heute das nach sich zieht, worüber wir in diesem Sommerloch wieder reden, ist eine einzige Regelübertretung. Es hat sich niemand daran gehalten. Dass in einem Staat wie der DDR das top down geht, weil der Staat bestimmte Ziele mit dem Sport vorhat, ist klar. In einem freien Staat - bei uns ist der Sport souverän gewesen, frei – liegt die Verantwortung einzig und allein beim Sport, und auch da muss man noch differenzieren. Es sind die Präsidien, die Präsidenten der Spitzenverbände, die zuständig sind für Doping, Dopinghinterfragung, Dopingbestrafung. Das gilt bis heute. Die NADA, WADA gibt es erst seit der Jahrtausendwende.

    Barenberg: Wie beurteilen Sie denn, wie Thomas Bach sich äußert, jetzt, wo einige Ergebnisse der Studie jedenfalls öffentlich sind, der Präsident des DOSB – er ist seit Jahrzehnten dabei: zunächst als Athlet, jetzt als Funktionär seit vielen Jahren -, dass er sagt, er hat gar nichts mitbekommen von diesen ganzen Zusammenhängen, von denen Sie sprechen?

    Kofink: Ich glaube ihm kein einziges Wort! Wer 1976 Olympiasieger war und erlebt hat, welche Wogen in der öffentlichen Berichterstattung Doping 1977 Montreal ausgelöst hat, wer 1980 Sprecher der Athleten war, mit dem Bundeskanzler verhandelt hat, ob man nach Moskau fährt oder nicht – dabei ist er unterlegen -, wenn der das nicht gewusst hat, dann hat er ein gespaltenes Bewusstsein.

    Barenberg: Sie haben gerade gesagt, dass es um die Zeit der Wiedervereinigung eine Chance gegeben hätte, als ja auch die Dopinggeschichte der DDR aufgearbeitet wurde, etwas zu verändern, die Weichen neu zu stellen. Warum ist das nicht passiert? Warum hat sich auch die Öffentlichkeit nicht genügend für das interessiert, was sie zum Beispiel ja auch öffentlich gemacht haben?

    Kofink: Wie sehr sich die Öffentlichkeit interessiert hat? – Ich kann verstehen, dass eine Menge Menschen die ganze Berichterstattung auch über Doping längst auf die Nerven geht, dass man, wenn man die großen Radstars oder Sprinter und so weiter gestehen oder auch nicht gestehen hört, natürlich verärgert ist. Aber feststeht: Zu diesem Zeitpunkt – und ich habe vorher die Kommission genannt – versuchte der damalige Deutsche Sportbund mit verschiedenen Kommissionen (eine habe ich genannt: Richthofen; die andere, vielleicht noch wichtigere war die Evers-Kommission, die am Schluss aufgegeben hat), die haben jede Menge Material zusammengestellt. Was die Sache verhindert hat, war, dass die Funktionäre, Trainer von Ost und West gesehen haben, Mensch, eigentlich haben wir ja dasselbe gemacht, und jetzt stehen die Olympischen Spiele von 92 vor der Tür. Auch die Politik hat damals ans Aufräumen gedacht. Da wurde ganz heftig angesagt, wir werden das Geld – der Spitzensport wird ja von der Politik bezahlt – entweder gar nicht geben, oder kürzen. Es ist keine Mark gekürzt worden. Man hat sich auf einen Slogan geeinigt, der auf einer ganz anderen Veranstaltung gesagt worden ist: The Show must go on!

    Barenberg: Zum Schluss, Herr Kofink, die Frage. Sie machen ja keinen Hehl aus Ihrer Skepsis. Dennoch die Frage: Ist das jetzt, die Studie und die Debatte, die das jetzt möglicherweise auch auslöst, eine Chance für einen Neuanfang?

    Kofink: Das ist es mit Sicherheit wieder. Es ist vor allem eine viel größere Chance, das Misstrauen, das über diesem Spitzensport und vor allem über seinen Veranstaltern liegt, vielen, vielen Menschen in der Republik noch deutlicher zu machen, und das Entscheidende ist, dass diese Menschen sehen, was hier geschieht, und dann selber entscheiden, vor allem die jungen Menschen, will ich da mitmachen, will ich das noch sehen, oder gehe ich lieber in den Zirkus.

    Barenberg: Hansjörg Kofink heute Morgen live hier im Deutschlandfunk, der frühere Bundestrainer der Frauen im Kugelstoßen. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Kofink.

    Kofink: Ich danke Ihnen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.