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Verbannter weißrussischer Journalist Viktor Iwaschkewitsch

Viktor Iwaschkewitsch zählt seine Tage in der Verbannung. Der kritische Chefredakteur der Oppositionszeitung Rabotschi ist vor einem Jahr von einem Minsker Gericht zu zwei Jahren Zwangsarbeit in Baranowitschi verurteilt worden. Nun hofft er, dass seine Zeit in der weißrussischen Provinz bald ein Ende hat und er seine Tage nicht mehr länger als Bürobote totschlagen muss. Iwaschkewitsch ist froh, dass die alte Sowjetunion zerfallen ist und der Staatenbund zwischen Russland und Weißrussland wohl noch lange auf sich warten lässt, sonst säße er jetzt wohl in Sibirien:

Sabine Adler | 07.07.2003
    Wenn ich hundertprozentig schuldig bin, warum hat man mich dann nicht zu fünf Jahren Haft verurteilt. Was ist das für ein Kompromiss, wofür und für wen, vielleicht will Lukaschenko mir nicht recht geben, weil dann eine Reihe von Ermittlungsverfahren beginnen müssten? Oder fürchtet er den Lärm, der im Ausland entstehen würde, wenn er mich ins Gefängnis wirft?

    Jede Nacht während seiner Verbannungszeit muss er in dem ihm zugewiesenen Wohnheim verbringen, Besucher darf er empfangen, doch Fahrten nach Hause nach Minsk sind nicht erlaubt, von seinem Lohn werden 20 Prozent für Unterbringung und Bewachung abgezogen. Artikel von ihm, einem Verbannten, zu drucken, wagt in der letzten Diktatur Europas niemand.

    Iwaschkewitsch, Ende 30 mit einem mächtigen Bauch und dicker Brille, sieht zwar gemütlich aus, ist es aber nicht. Zumindest nicht, wenn es um den weißrussischen Präsidenten Lukaschenko geht. Unerschrocken und sich der möglichen Folgen durchaus bewusst hatte er in seinem Blatt dem Diktator unerlaubte Waffenverkäufe und mangelnde Transparenz beim Umgang mit öffentlichen Geldern vorgeworfen. Dafür muss er nun büßen. Unter der Überschrift "Ein Dieb gehört ins Gefängnis" hat er vor knapp einem Jahr in einem Artikel aufgeschlüsselt, dass die weißrussische Präsidialadministration Waffen auch in Länder verkauft, in denen Bürgerkriege toben. Jugoslawien sei ein Beispiel gewesen. Auch Lieferungen in den Irak seien wahrscheinlich. Direkte Kontakte zwischen weißrussischen Waffenschmieden Firmen und irakischen Abnehmern hatten sich zwar nicht nachweisen lassen, wohl aber, dass Minsk selbst als Mittler auftritt bzw. auf Helfershelfer zurückgreift. Viktor Iwaschkewitsch:

    Ich weiß konkret, dass aus dem Minsker Automobilwerk Raketenträger verkauft wurden. Das ist kein Geheimnis. Die Lukaschenko-Administration macht gesetzeswidrige Geschäfte unter anderem durch Waffenverkäufe, sie begünstigt verschiedene Firmen durch Zollerleichterungen, wofür sie viel Geld bekommt. Dieses Geld gelangt nicht in den Staatshaushalt, wird auch nicht durch das Parlament kontrolliert, sondern verschwindet in irgendeinem geheimen Präsidentenfond, der darüber verfügt, wie er will. Faktisch hat er damit das Geld gestohlen. Und daher die Überschrift: Ein Dieb sollte im Gefängnis sitzen.

    Iwaschkewitsch riskierte viel und hatte genaugenommen doch nur wiedergegeben, was ohnehin bekannt war. Das Material aus amerikanischen, polnischen und russischen Zeitungen hatte er bei Internetrecherchen entdeckt und von seinen weißrussischer Informanten einschätzen lassen. Die bestätigten die Vorwürfe gegen Präsident Lukaschenko. Das Gericht in Minsk warf Iwaschkewitsch trotzdem Verleumdung des Präsidenten vor und verurteilte ihn zu der zweijährigen Verbannung, weil er seine Vorwürfe nicht habe belegen können. Dass ihm seine Informanten, Manager in verschiedenen weißrussischen Betrieben, das Beweismaterial nicht aushändigen wollten, versteht Iwaschkewitsch, denn in seinem Land herrsche schließlich Diktatur.

    Sie sagen, dass, wenn Lukaschenko von der Macht entfernt worden ist, wir ihn gemeinsam als Dieb, der er ist, in der Erde vergraben. Aber solange der Löwe lebt, wagt niemand nach ihm zu treten, weil er einem ein Bein abreißen könnte.

    Viktor Iwaschkeewitsch ist der dritte weißrussische Journalist, der in den vergangene zwei Jahren verbannt wurde. Doch wie seine Kollegen Nikolai Markewitsch und Pawel Maschejka muss auch er dank einer Amnestie wohl nicht die ganze Zeit verbüßen, sondern nur die Hälfte. Von dem einen Jahr sind die ersten sechs Monate um, in diesen Tagen entscheidet sich, ob er vorfristig auf Bewährung entlassen wird. Solange harrt er aus in Baraaanowitschi, dem weißrussischen Sibirien.