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Verborgen im Untergrund
Wie römische Klöster Juden schützten

Hat Papst Pius XII. zu lange geschwiegen, als das deutsche NS-Regime flächendeckend mordete? Heftig kritisiert wurde er ausgerechnet in Deutschland, im Land der Täter. Viele römische Juden und ihre Nachfahren sehen das anders. Sie sagen: Er hat Tausenden das Leben gerettet.

Von Corinna Mühlstedt | 23.09.2020
Undatiertes Foto von Papst Pius XII.
Auf Anordnung des Papstes öffneten viele Klöster 1943 ihre Tore für Juden (dpa / picture alliance / Files)
Zwei Zeitzeugen berichten vom Schutz durch römische Ordensleute während des Zweiten Weltkriegs:
"Es war ein Abend im Jahr 1943: Plötzlich schlugen deutsche Soldaten mit Gewehren an die Tür unseres Klosters in Rom. Wir hatten furchtbare Angst, denn in unseren Kellern waren mehr als hundert Juden versteckt. Die jüdischen Frauen trugen zu ihrem Schutz Ordensgewänder. Dennoch gerieten alle in Panik. Sie klammerten sich eng aneinander und begannen zu beten. Doch erstaunlicherweise sind die Deutschen nie gewaltsam bei uns eingedrungen."
"Als Rom 1943 von den Nazis besetzt wurde, lebten hier etwa 10.000 bis 13.000 Juden. Mehr als 80 Prozent von ihnen konnten sich vor den Besatzern retten. Das verdankten sie römischen Familien und Ordensleuten. Ich habe mich oft gefragt: Warum haben diese Nicht-Juden uns Juden geholfen und dabei ihr eigenes Leben riskiert? Wie auch immer. Wir hatten in Rom besondere Bedingungen, denn hier war der Papst, und das bedeutete einen gewissen Schutz."
Rom während des Zweiten Weltkriegs: Im Sommer 1943 wurde das faschistische Regime Benito Mussolinis gestürzt. Kurz darauf marschierte die deutsche Wehrmacht in der Stadt ein. Ganz Rom, auch der Vatikanstaat und religiöse Einrichtungen wie Kirchen, Klöster und Synagogen, waren den Nationalsozialisten nun schutzlos ausgeliefert.
Der Jesuit und Historiker Peter Gumpel, dessen Familie selbst verfolgt wurde, erinnert sich:
"Rom wurde bereits am 12. September besetzt. Militärkommandant wurde ein Generalmajor Rainer Stahel, ein Österreicher, Offizier der alten Schule. Aber es kam auch die SS und zwar unter der Führung von dem SS-Mann Oberstleutnant Kappler."
Die Rolle des Papstes ist umstritten
Italienische Widerstandskämpfer und Regimegegner im römischen Untergrund waren in großer Gefahr, ebenso die jüdische Gemeinde Roms. Sie sah sich gezwungen, der SS ein Lösegeld von 50 Kilogramm Gold zu übergeben. Dennoch ging Kappler radikal vor.
"Am 29. September wurde die Synagoge besetzt. Die Namenslisten und Adressen von allen Juden, die in Rom sesshaft waren, fielen in die Hände der SS-Leute. Und so ist es dann zu der Aktion in der Nacht vom 15. auf 16. Oktober gekommen, wo mehr als 1.000 Juden verhaftet wurden. Und diese Leute wurden deportiert in das sogenannte 'Collegio Militare' im Palazzo Salviati."
Adolf Hitler (2.v.l.) und der italienische Ministerpräsident und Duce Benito Mussolini (r), aufgenommen am 15.06.1938 in Rom.
Mit dem Sturz Mussolinis verlor Nazideutschland 1943 seinen wichtigsten Verbündeten - deutsche Truppen besetzten daraufhin Italien (picture-alliance/ dpa / LaPresse Archivio Storico)
Von den Deportationen erfuhr umgehend auch Papst Pius XII. Seine Rolle im Nationalsozialismus ist umstritten. Manche werfen ihm vor, nichts oder zu wenig gegen die Nazis und ihre Verbrechen unternommen zu haben. Einige nennen ihn gar "Hitlers Papst".
Andere sehen in Pius XII. einen Retter der Juden. Im Frühjahr 2020 hat der Vatikan Archive geöffnet, sodass nun erforscht werden kann, wie der Papst sich gegenüber den Nationalsozialisten tatsächlich verhalten hat. Die wissenschaftlichen Ergebnisse stehen aber noch aus.
Zumindest für die Stadt Rom zweifeln viele Experten aber schon heute nicht mehr daran, dass Pius XII. sich für verfolgte Juden eingesetzt hat. Angesichts der über 1.000 Juden, die man dort im Oktober 1943 verhaftet hatte, wurde der Papst - das belegen Protokolle - umgehend auf diplomatischen Wegen aktiv.
"Kein Kind hat überlebt"
Er ließ dem deutschen Botschafter Ernst von Weizsäcker und General Stahel übermitteln, dass er die Öffentlichkeit mobilisieren werde, falls die Verhaftungen nicht eingestellt würden. Der römische Historiker Pier Luigi Guiducci berichtet:
"Schließlich gelang es General Stahel, einen telefonischen Kontakt zu SS-Kommandant Heinrich Himmler in Berlin herzustellen. Stahel überzeugte ihn, dass es strategisch richtig sei, die Verhaftungen auszusetzen. Auf Befehl von Himmler endete daraufhin die Intervention der SS. Und alle Juden, die noch in Freiheit waren, konnten sich in Sicherheit bringen."
Jüdische Kinder im Schoß der katholischen Kirche - Leben gerettet, Identität verloren
Während des Holocaust wurden Tausende jüdische Kinder in katholischen Einrichtungen vor der Verfolgung durch die Nazis versteckt. Einige von ihnen wurden getauft und umerzogen.
Die rund 1.000 römischen Juden allerdings, die die SS bereits inhaftiert hatte, wurden von den Nazis in deutsche Vernichtungslager abtransportiert. Das Trauma präge die Juden Roms bis heute, erklärt der Leiter des jüdischen Kulturinstituts, Claudio Procaccia:
"Bei dem Übergriff vom 16. Oktober wurden vor allem Frauen, Kinder und Senioren verschleppt. Viele jüngere Männer waren rechtzeitig geflohen, weil sie meinten, man würde im Falle einer Razzia speziell sie ergreifen und in Arbeitslager bringen. Ein fataler Irrtum. Von allen, die bei dieser Razzia deportiert wurden, sind nur 16 Personen zurückgekommen: Nur eine Frau, kein Kind hat überlebt."
"Morbo K" - die rettende Seuche
Anders diejenigen römischen Juden, die sich im Schutz kirchlicher Einrichtungen und katholischer Privathaushalte befanden. Sie überlebten die Monate bis zur Befreiung der Stadt durch die Alliierten im Juni 1944. Claudio Procaccia:
"80 Prozent der Juden Roms konnten sich mithilfe der Bevölkerung retten. Und in den meisten Fällen haben die Gastgeber, die sie aufnahmen, trotz des Kriegs, trotz Bombardements und Hunger keine Gegenleistung gefordert. Meine Großmutter hatte Geld. Sie konnte für Unterkunft und Essen bezahlen. Aber sehr viele andere wurden kostenlos beherbergt."
Um Verfolgte zu schützen, wurde in Rom viel riskiert. Etwa durch die "Barmherzigen Brüder", die "Fatebenefratelli". Ihr Konvent liegt gegenüber der großen Synagoge Roms auf der Tiber-Insel. Hier führen die Ordensleute ein angesehenes Krankenhaus. Dora Vassallo hat dort lange als leitende Krankenschwester gearbeitet:
"Dieses Krankenhaus ist für die jüdische Gemeinde von jeher wichtig. Christen und Juden fühlen sich hier wie eine Familie. Am 16. Oktober kamen sofort einige Juden zu uns, andere in der Zeit danach. Unsere Archive belegen: Viele fanden hier Obdach und wurden als Patienten geführt, obgleich sie gar nicht krank waren."
Das Hospital der Fatebenefratelli auf der Tiberinsel in Rom
Im Hospital auf der Tiberinsel wurden Juden mittels einer erfundenen Seuche vor den Nazis gerettet (imago-images / Andrea Staccioli)
Zum Schutz dieser "Patienten" entwickelten die Ärzte zusammen mit den Ordensleuten eine Tarnung, erzählt Vassallo. Sie erfanden eine fiktive Krankheit: das Syndrom "Morbo K" - wobei "K" insgeheim für den SS-Kommandanten Kappler stand.
"Wenn die deutschen Soldaten zu Kontrollen ins Krankenhaus kamen, wurden ihnen falsche Patientenregister gezeigt, auf denen 'Morbo K' stand. Und ihnen wurde gesagt: Diese Kranken leiden unter einer sehr gefährlichen, ansteckenden Infektion. Man sollte sich ihnen nur mit äußerster Vorsicht nähern."
Der damalige Chefarzt des Krankenhauses, Giovanni Borromeo, wurde durch die israelische Holocaustgedenkstätte Yad Vashem als "Gerechter unter den Völkern" geehrt.
"Wer uns half, hat sein Leben riskiert"
Stellvertretend für andere, so Claudio Procaccia, der in Rom das jüdische Kulturinstitut leitet:
"Auf der Tiber-Insel wissen wir von rund 40 Juden, die registriert waren und gerettet wurden. Aber in Wirklichkeit waren es wohl viel, viel mehr. Wir haben zu wenig schriftliche Aufzeichnungen. Sicher ist nur: Wer uns half, hat sein eigenes Leben riskiert. Das dürfen wir nie vergessen."
Eine römische Jüdin, deren Großvater in Auschwitz ermordet wurde, während andere Verwandte in römischen Ordenshäusern überlebten, möchte ihren Namen nicht im Radio nennen, versichert aber:
"Wer von uns die Möglichkeit hatte, ist 1943 mit falschen Papieren geflohen. Aber das konnte nicht jeder. Deshalb war es wichtig, dass uns die Konvente aufgenommen haben. Dabei war es streng verboten, uns Juden zu schützen. Ich habe einmal mit einem Priester in Mailand gesprochen: Er erzählte mir, dass sein eigener Bruder, ebenfalls ein Priester, 1943 von den Nazis deportiert wurde und in der Gaskammer starb - weil er Juden beherbergt hatte."
Basisbewegung oder koordinierte Aktion?
Nach Kriegsende waren die meisten Überlebenden traumatisiert. Die Erinnerungen an die Schrecken der Vergangenheit wurden auf allen Seiten verdrängt. Erst in jüngster Zeit wagt man in Rom seitens der jüdischen Gemeinde und des Vatikans detaillierte Recherchen.
Das Ergebnis ist verblüffend: Hunderte von römischen Klöstern und sogar namhafte Institutionen wie der Vatikan oder der Lateranpalast versteckten 1943 Tausende von Juden. Waren es einzelne Akteure oder handelte es sich um eine koordinierte Aktion? Und welche Rolle spielte dabei Papst Pius XII.? Der Historiker und Gründer der Gemeinschaft Sant'Egidio, Andrea Riccardi, betont in einer wissenschaftlichen Dokumentation aus dem Jahr 2017 mit dem Titel "Der längste Winter":
"Wenn man die Entscheidungen des Klerus und der Ordensleute Roms losgelöst von der Kurie und dem Papst bloß als eine großherzige Basisbewegung betrachtet, wird man der Wirklichkeit nicht gerecht."
Der Jesuit Peter Gumpel hat im Auftrag des Vatikans Material für eine mögliche Seligsprechung von Pius XII. gesammelt und ist ebenfalls überzeugt:
"Pius XII. hat alle religiösen Institutionen in Rom, also Universitäten, Seminare, die Pfarreien, alle Häuser, die irgendwie in kirchlichem Besitz waren, benachrichtigen lassen: Öffnet Eure Türen für alle Verfolgten, besonders für die Juden."
Ein Aufruf zur Menschlichkeit
Zwar gibt es für eine solche Initiative des Papstes keine eindeutigen schriftlichen Belege, doch wer die Kriegsjahre in Rom miterlebte, habe keine Zweifel, meint Margherita Marchione. Die 1922 geborene US-amerikanische Ordensfrau kannte Pius XII. noch persönlich. In den Klöstern des Ordens der "Maestre Pie", zu dem sie gehört, waren damals mehr als hundert Juden versteckt:
"Ich habe mit vielen Zeitzeugen gesprochen und ihre Erinnerungen in Büchern veröffentlicht. Sie alle waren damals überzeugt, dass sie ihre Rettung letztlich Pius XII. verdankten. Nur er als Papst hatte die Macht, den Konventen zu erlauben, ihre Türen und sogar ihre Klausuren zu öffnen. Er hat zu den Vorgängen auch nicht geschwiegen, wie ihm später manche vorwarfen. Er hat sich immer wieder öffentlich geäußert."
Neu angekommene Häftlinge haben auf der Todesrampe im KZ Auschwitz Aufstellung genommen. Links Frauen und Kinder, rechts die Männer. Anschließend wird mit der Selektion begonnen.
"Selektion" im deutschen Vernichtungslager Auschwitz: Was konnte Papst Pius XII. tun? (dpa / picture alliance)
Margherita Marchione verweist gerne auf eine Weihnachtsansprache aus dem Jahr 1942, in der sich Pius XII. über Radio Vatikan an die Weltöffentlichkeit wandte. Darin betont der Papst, verbunden mit einer klaren Verurteilung des Zweiten Weltkriegs:
"Das Gebot der Stunde lautet: 'Handeln!' (…) Ihr, die Ihr an Christus glaubt, befreit Euch von den Irrtümern unserer Tage. Tut Euch zusammen, handelt gemeinsam für eine Erneuerung der Gesellschaft aus dem Geist der Wahrheit! (…) Diese Gedanken sind ein Appell an das internationale Gewissen. Er gilt all jenen, die bereit sind, ihre Verantwortung ernst zu nehmen. (…) Diesen Aufruf schuldet die Menschheit den Hunderttausenden, die ohne jede Schuld zum Tode verurteilt oder dem Verderben ausgeliefert wurden – einzig aufgrund ihrer Nationalität oder Abstammung."
Kein offizielles Rundschreiben
Nach dem Schock vom 16. Oktober 1943 – also den Übergriffen auf die Juden Roms - nahm die Vatikanzeitung Osservatore Romano die päpstlichen Stichworte auf und veröffentlichte einen Artikel, in dem es heißt:
"Aufgrund des Bösen, das heute an Macht gewinnt, ist es notwendiger denn je, die weltumspannende Barmherzigkeit des Papstes umzusetzen: Sie macht keinen Halt vor den Grenzen einer Nation, einer Religion oder einer Rasse."
Dieser Artikel sei für Kleriker und Laien ein wichtiger Impuls gewesen, meint der Historiker Procaccia:
"Vermutlich gab es nie ein offizielles Rundschreiben an die Konvente. Aber in diesem Artikel wird der Papst zitiert, der alle auffordert, Verfolgten zu helfen. Das wurde als indirektes Signal verstanden, die Juden zu retten, und nicht nur sie."
"Alles musste absolut geheim bleiben"
Fest steht: Bis Oktober 1943 hatten zwar einzelne Italiener bereits Flüchtlinge oder Regimegegner aufgenommen. Doch nun öffneten landesweit Tausende in aller Stille die Türen ihrer Häuser: nicht nur in Rom, sondern auch an vielen anderen Orten, so etwa in Castel Gandolfo in den Albaner Bergen. Dort befindet sich bis heute auf dem Gelände der ehemaligen päpstlichen Sommerresidenz eine Vatikanische Sternwarte, die von Jesuiten geleitet wird. Der Astronom Gabriele Gionti erinnert sich an einen Mitbruder:
"Es gab hier während das Kriegs einen deutschen Jesuiten, Pater Troisch. Er ist mit dem Lastwagen der Sternwarte durchs Land gefahren und hat viele Juden zu ihrer Sicherheit in die Papstresidenz gebracht. Ja, ich kann bestätigen, dass Pius XII. uns damals alle gebeten hatte, den Juden zu helfen."
Blick auf Castel Gandolfo am Lago Albano mit der Sommerresidenz des Papstes in der italienischen Provinz Latium.
Auch in der Sommer-Residenz des Papstes, in Castel Gandolfo am Lago Albano, fanden Juden Unterschlupf (picture alliance / dpa / Udo Bernhart)
Bis Kriegsende fanden in der päpstlichen Residenz rund 3.000 Personen Unterschlupf: Flüchtlinge, politisch Verfolgte und Juden. Niemand sprach offiziell über die Vorgänge, betont Gionti, denn man hatte große Angst, dass die Nazis das Gelände stürmen könnten, so Pascalina Lehnert, die Haushälterin von Pius XII.:
"Der Heilige Vater gab die Anweisung, Leute aufzunehmen. Man versuchte, sie überall zu verstecken. Und alles musste absolut geheim bleiben."
Die Haushälterin des Papstes kümmerte sich um die Verpflegung der Verfolgten. Absolute Verschwiegenheit war notwendig, so die Ordensfrau, da alle kirchlichen Einrichtungen den Besatzern de facto ausgeliefert waren.
Die "Übereinkunft" zwischen Kirche und Nazis
Auch der Vatikan war von deutschen Truppen umgeben und in der beständigen Gefahr, gestürmt zu werden. Das übersehe man heute allzu oft, meint der jüdische Historiker Amedeo Guerrazzi in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2017. Sie trägt den Titel "Nach dem 16. Oktober":
"Man muss bei all dem was damals geschah auch die Angst in Betracht ziehen, die im Vatikan umging. Sie basierte auf einer Reihe durchaus verlässlicher Informationen, die besagten, Hitler habe die Absicht, den Vatikan zu erobern und den Papst zu entführen."
Wie italienische Ordensleute Juden vor den Nazis retteten
Als die Nationalsozialisten in Italien einmarschierten, musste die verbliebene jüdische Bevölkerung mehr denn je um ihr Leben fürchten. Einige fanden Zuflucht in einem katholischen Orden.
SS-General Karl Wolff hatte den Papst mit dieser konkreten Drohung bei einem persönlichen Besuch in Rom konfrontiert, erklärt Andrea Riccardi. Vor diesem Hintergrund, so der Historiker weiter, kam es 1943 zu einer "privaten Übereinkunft" zwischen dem Vatikan und dem deutschen Militär, über die es in einem Bericht der deutschen Wehrmacht in Rom hieß:
"Wir garantieren der Geistlichkeit und der Kirche Leben, Besitz und uneingeschränkte Freiheit in der Ausübung von Gottesdiensten und allen kirchlichen Bräuchen. Dafür verpflichtet sich der Klerus, das Volk von der Kanzel aus zu Ruhe und Gehorsam gegenüber der Wehrmacht anzuhalten."
Im Gegenzug, erläutert der Historiker Riccardi, habe der Vatikan von den deutschen Militärs auch Freiräume für viele kirchlich genutzte Gebäude und die in ihnen lebenden Personen erhalten:
"Dieses Gebäude dient religiösen Zwecken und untersteht unmittelbar dem Staat der Vatikanstadt. Jedwede Durchsuchung oder Beschlagnahmung ist untersagt!"
So hieß es auf einem von zahllosen Aushängen, die oft sogar zweisprachig an den Türen angebracht wurden - auch an vielen Klöstern. Der Historiker Amedeo Guerrazzi kommt zu dem Schluss:
"Gebäuden, die offiziell unter die 'Übereinkunft' fielen, wurde damit ihre Unantastbarkeit bestätigt. Die stille Übereinkunft zwischen den Deutschen und der Kirche hielt bis Kriegsende: Religiöse Orte wurden respektiert und die dort versteckten Personen - Juden ebenso wie Regimegegner - nie verhaftet."
"Das darf und kann ich nicht verantworten"
Der Preis für diesen Kompromiss mit den deutschen Truppen war allerdings hoch: Denn Pius XII. konnte auf den Schutz kirchlicher Einrichtungen und ihrer Gäste nur so lange setzen, wie auch er sich an das Abkommen hielt und nicht öffentlich gegen die Nazis Stimmung machte. Gabriele Gionti, Jesuit und Astronom an der vatikanischen Sternwarte:
"Pius XII. war Nuntius in Deutschland, bevor er 1939 Papst wurde und hatte den Aufstieg Hitlers miterlebt. Er hatte gesehen, was geschah, als die niederländischen Bischöfe 1942 ihre Stimme von der Kanzel aus gegen die Nationalsozialisten erhoben: Danach wurden alle Juden, auch konvertierte Ordensleute, aus den Klöstern in die Vernichtungslager abtransportiert, unter ihnen auch Edith Stein. Ich denke, der Papst wusste sehr genau, dass in Rom und auch andernorts ähnliches geschehen könnte, falls er seine Stimme erheben würde."
Papst Pius XII.sitzt am Schreibtisch (undatiertes Foto).
Der Papst fürchtete, ein Aufbegehren gegen den Faschismus könne Hunderttausenden den Tod bringen (dpa / picture alliance / epa ansa Ettore Ferrar)
Die Historikerin Martha Schad überliefert in einer Biografie über die Haushälterin von Pius XII., Pascalina Lehnert, eine bemerkenswerte Szene: Darin bezeugt die Ordensfrau, wie der Papst nach den Pogromen in Holland einen von ihm verfassten Protestbrief gegen die Nazis unveröffentlicht verbrannte. Dieser Text könnte Hunderttausende Leben kosten, habe Pius XII. gesagt:
"Das darf und kann ich nicht verantworten. Es ist besser, in der Öffentlichkeit zu schweigen und für diese armen Verfolgten wie bisher in der Stille alles zu tun, was menschenmöglich ist."
Pascalina Lehnerts Bitte, das Manuskript aufzubewahren, habe der Papst zurückgewiesen mit dem Kommentar:
"Wenn man, wie es immer heißt, auch hier im Vatikan eindringt und diese Blätter findet - was wird dann aus den Katholiken und Juden im deutschen Machtbereich?"
Schriftliche Belege zu den damaligen Vorgängen sind bislang rar. Doch seit der Vatikan im Frühjahr 2020 seine Archive für die Forschung geöffnet hat, sind Wissenschaftler dabei, mehr als eine Million Dokumente aus der Amtszeit von Pius XII. auszuwerten. So könnte sich zeigen, ob der Papst sich auch andernorts für verfolgte Juden eingesetzt hat, wie er es in geographischer Nähe zum Vatikan getan hat.