Samstag, 20. April 2024

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Verborgenes Wort

Also ich hab eigentlich nie ein anderes Leben haben wollen, als das, was ich hatte. Aber das alles noch mal? Da müsste man schon ein bisschen schlauer sein, es ein bisschen anders machen, vieles. Und wenn man diese Weisheit - Weisheit? - mit rein bringen könnte, dann wäre es wieder nicht dass selbe Leben. Es geht nicht! Es geht nicht! Man muss das Leben nehmen, das man hat und versuchen, etwas daraus zu machen.

Michael Opitz | 18.03.2004
    Auch das gehört zur Authentizität von Christa Wolf: Ein anderes Leben als das gelebte wollte sie nie haben, denn versucht hat sie immer, aus dem Leben etwas zu machen. Und dabei nie egoistisch nur die eigene Person gesehen, aber doch auf einer Solostimme bestanden, wenn sie zum Chorgesang aufgefordert wurde. Christa Wolf hat in schwierigen Zeiten Mut bewiesen und Vereinnahmungsversuchen widerstanden, sie hat nein sagen gelernt und sich zu Wort gemeldet, wenn es galt, Unrecht nicht hinzunehmen.

    Christa Wolfs Wort zählt weiterhin. Es hat Gewicht. Sie versucht, Vorgänge zu deuten, indem sie sie durchschaubar macht. Schreibend will sie hinter dem, was sich nur oberflächlich zeigt, auf Verborgenes stoßen, sie will Verdrängtes und Geleugnetes dem Vergessen entreißen, um sich so der Wahrheit zu nähern. Am Prozess des Suchens und Entdeckens lässt sie ihre Leserinnen und Leser in ihren Texten teilhaben.

    Durch das Sichtbarmachen sollen Einsichten vermittelt werden. Diese Absicht verfolgt auch die von Peter Böthig unter redaktioneller Mitarbeit von Martin Hoffmann im Luchterhand Verlag vorgelegte Biographie in Bildern und Texten. Über einen Zeitraum von 75 Jahren dokumentiert der Band anhand von Fotos und Selbstkommentaren den Lebensweg Christa Wolfs. Auch den der Autorin, die zwar immer anwesend war in ihrem schriftstellerischen Werk, aber die in dieser Bildbiographie auch sichtbar wird. Was Christa Wolf in ihrem schriftstellerischen Werk mit Worten versucht, kehrt Böthig in dem von ihm herausgegebenen Band um: Nunmehr können die Fotos Aspekte des Werks eröffnen, zeigen sie die Autorin und geben der Erzählerin ein Gesicht. Doch darüber hinaus gestattet in Fortsetzung des im vergangenen Jahr erschienenen Tagebuchs Ein Tag im Jahr diese Bildbiographie wiederum auch Einblick in die Privatsphäre der Autorin Christa Wolf.

    Wir haben uns relativ früh verständigt, was da drin sein soll, also das es erstens ein Bilderbuch sein soll, für die Freunde des Werks von Christa Wolf. Das aber darüber hinaus das Buch selbst auch eine Substanz kriegen soll, dass es also nicht nur ein Buch zum Blättern sein soll. […] Bei den Texten haben wir uns auch relativ früh verständigt, das wir uns im Wesentlichen auf veröffentlichte Texte orientieren, d. h. ihr essayistisches Werk und Briefe, aber auch die Werke natürlich, daraus also charakteristische Stellen aussuchen, die dann zu den Bildern geordnet werden sollen. Nur ausnahmsweise auf Unveröffentlichtes. […] Dann sind wir in die Wohnung von Wolfs gegangen […] mit der Tochter in der Abwesenheit von Wolfs, um nicht allzu doll weh zu tun und haben sozusagen kistenweise Fotoalben und Mappen rausgeschleppt und haben die dann gesichtet. Das sind also hunderte oder wenn nicht tausende von Fotos, die wir angesehen haben. Gerhard Wolf hat von Anfang an zugearbeitet, indem er mitgeholfen hat bei der zeitlichen Einsortierung von Fotos und Zuordnung zu Orten und Personen und wir haben dann aus diesen Bergen von Fotos eine Auswahl getroffen. Also zunächst ist sozusagen der Bildablauf da gewesen.

    Die Bildbiographie bietet die Möglichkeit, anhand von Bildern und Texten chronologisch zu verfolgen, wie sich das Leben von Christa Wolf gestaltet hat. Durch die Unwirren der Geschichte begleitet sie den Leser, sie ist es, die Halt bietet. Es sind die Bild- und Textzeugnisse, die in schwierigen Zeiten Orientierungspunkte darstellen, was Befragungen der Person Christa Wolfs ebenso einschließt wie Selbstbefragungen des Lesers. Zäsuren, Brüche und Verwerfungen des vergangenen Jahrhunderts haben sich in die Biographie Christa Wolfs eingeschrieben, die Zeitereignisse spiegeln sich im individuellen Leben. So vermag diese Biographie ein Leben ins Bild zu setzen, wird ein Ich sichtbar. Zugleich lädt das Buch aber dazu ein, in der Frau auch die Autorin und ihre Texte wahrzunehmen, denn die den Fotografien beigefügten Zitate lassen sich als Wegweiser lesen, die zu einem Werk führen, das für erneute und weiterführende Entdeckungsreisen offen steht. Neues hat auch der Herausgeber bei der Arbeit an dem Band entdeckt. Böthig:

    Eine sehr schöne Überraschung war: Im essayistischen Werk gibt es quasi keine Wiederholungen und gerade bei den Essays ist ja die Verführung groß, Gedanken noch einmal aufzunehmen und weiterzuspinnen. Viele, gerade öffentliche Personen, haben einen Standard von Bildern und Metaphern, Anekdoten, die dann immer wieder kommen. Sie lässt sich immer auf die Situation ein, auf den Anlass, sowohl in ihren Texten, das ist wirklich zu spüren, es ist ganz, ganz selten mal, dass sich eine Formulierung wiederholt, als auch, und das ist ja auch das Wunderbare an der persönlichen Begegnung mit ihr, dass sie eine geradezu phänomenales Interesse an Menschen aufbringt und sich einlässt, auf die Familie natürlich in erster Linie, deshalb fanden wir es auch gerechtfertigt, so viel Familienbilder mit abzubilden, denn das ist für sie der erste Bezug und der wichtigste, für die Enkel verlässt sie sogar den Schreibtisch, aber eben auch für andere Menschen, die kommen, bringt sie ein so tiefes Interesse auf, das dann auch umgekehrt ihrem Werk zugute kommt, denn ihr Werk ist ja wirklich gesättigt von Subjektivität und Erfahrung und diese Erfahrung gewinnt man mit Menschen.

    Bei der Zuordnung der Texte hat sich Peter Böthig entschieden, Kommentare aus ganz unterschiedlichen Zeiten den Bildern zuzuordnen, er bleibt also auf der Textebene nicht in den Zeiträumen, die durch die Bilder aufgerufen werden. Eine parallele Kommentierung – wie sie möglich gewesen wäre – hielt er für ungeeignet.

    Also, das hätte ja zu Folge gehabt, dass die ganzen frühen Abschnitte ohne Text blieben, weil sie ja da sozusagen noch nicht geschrieben hat, bzw. das wenige, was sie geschrieben hat nicht veröffentlicht haben will. Nein, die Textebene soll so eine Art Selbstkommentar ergeben, eine Reflexion von ihr über ihr Herkommen, über ihre Entwicklung und über ihr Schaffen. Deshalb eben auch Schwerpunkt essayistische Texte bzw. Briefe, Selbstaussagen. […]. Also dass sozusagen Ch. Wolf selbst ihre eigene Biographie kommentiert aus ihrem Werk. […] aber generell sind die Kommentare eben, unabhängig von der Entstehungszeit, auf die Zeit der Fotos hin orientiert als Selbstkommentar der Autorin.

    Christa Wolf gehört zu dem bedeutenden, für die deutsche Literatur ganz wesentlichen Jahrgang - Heiner Müller, Hans Magnus Enzensberger, Günter Kunert, Peter Rühmkorf, Walter Kempowski und Peter Szondi, sie alle sind 1929 geboren. Neben dem Werk wirkt auch auf die Nachgeborenen das engagierte Leben Christa Wolfs faszinierend, beeindruckt ihre Zivilcourage, ihre Neugier und ihr solidarisches Verhalten.

    Also entscheidend war sicherlich der persönliche Kontakt, den ich schon länger habe, der sich ja vor allem sehr intensiviert hat durch die Ausstellung und das Buch, das wir vor fünf, sechs Jahren gemacht haben Unsere Freunde, die Maler, wo ich ja die Idee hatte, nach diesen ganzen Debatten einen anderen Aspekt des Wirkens von beiden Wolfs mal vorzuzeigen – eben ihr Eintreten für andere und gerade für bildende Künstler.

    Hinzu kam der Reiz, an dieser Biographie noch mal den realen Verwerfungen und Differenzierungen nachzuspüren, dieses vergangenen Landes DDR, dieses Lebens anhand einer Biographie, die 2/3 dieses Jahrhunderts begleitet hat, den inzwischen ja Trivialisierungen und Banalisierungen und auch Verhöhnungen, wenn man so will, die das Leben in der DDR betrifft, sozusagen noch mal aufzuzeigen, wo denn tatsächliche Widersprüche gelegen haben. Beispielsweise: Die Wolfs haben sehr früh gewusst, […] dass das Land keine Perspektive hat. Warum sind sie trotzdem geblieben? Und das noch mal zu verstehen, aus der Biographie heraus, und auch aus der Utopie heraus, die sie mit sich getragen haben, hat mich einfach interessiert.

    Biographien über lebende Personen sind nicht unproblematisch. Durch das Geburtstagsbuch zieht sich ein kaum hörbarer, aber nicht zu leugnender Unterton. Trotz körperlicher und geistiger Anwesenheit von Christa Wolf, auf der Buchmesse wird sie den Band signieren, klingt ein solches Buch, konzipiert zu einem freudigen Anlass, auch ein wenig nach Abschied.

    Christa Wolf hat in den letzten Jahren häufig bemerkt, dass sich bei ihr angesichts des Verschwindens von Gesellschaften und des Untergangs von Kulturen die Aufmerksamkeit gegenüber der eigenen Person verändert hat – sie nimmt sich nicht mehr so wichtig. Sie selbst hat im vergangenen Jahr mit der Herausgabe von Ein Tag im Jahr eine sich über vierzig Jahre erstreckende Arbeit zum Abschluss gebracht und einen Schlusspunkt gesetzt.

    Dennoch wird neben einem Quäntchen Freude vielleicht doch ein gewisses Maß an Skepsis das Vorhaben, sie zum Gegenstand einer Bildbiographie zu machen, begleitet haben. Böthig:

    Also der erste Impuls bei ihr war natürlich: Also ich brauch das nicht! Wer soll denn das alles angucken? Hat sich aber überreden lassen, wenn man so will, wenn der Verlag das gerne will und sie kann sich auch vorstellen, dass es Leser gibt, die das möchten, so eine Biographie, stellt sie sich dem zur Verfügung, sozusagen mit ihrem Bild von sich. Sie weiß natürlich auch, dass sie eine öffentliche Person ist und dass sowieso fast jeder Leser ein Bild mit sich trägt von ihr. Das war von Anfang an klar und das war auch das Vertrauensverhältnis, das wir hatten, dass diese Biographie nicht gegen sie arbeitet und das wir das abstimmen werden mit ihr, dass sie ein Einspracherecht hat und wenn sie sagt, dieses Foto will sie nun wirklich nicht haben, verzichten wir auch darauf, ist aber nicht vorgekommen, außer, doch, ein Babyfoto, was sie wirklich nicht gern haben wollte. Und als sie dann, noch vor der Drucklegung das Buch gesehen hat, hat sie sich doch eher gefreut nur ironisch angemerkt: Jetzt hat sie so viele Bilder von sich gesehen, jetzt kann sie sich die nächsten hundert Jahre selber nicht mehr sehen.

    Christa Wolf:
    Aber es wäre schon ganz schön, wenn man noch ein Lichtpünktchen irgendwo hätte, das man auch einbauen könnte. Ich weiß noch nicht, wissen Sie, ich werde 75, ich weiß noch nicht, ob ich dazu noch komme, dazu noch fähig bin, aber auf alle Fälle bin ich interessiert und denke und denke und denke darüber nach.

    Ob Christa Wolf beim ständigen Nachdenken dieses Lichtpünktchen gefunden hat, würde man schon gern wissen. Ein nächstes Werk wäre also mehr als willkommen. Nach allen biographischen Rückblicken sei dieser Wunsch als fordernd freche Gratulation ins Zukünftige geschickt.

    Peter Böthig (Hrsg.)
    Christa Wolf. Eine Biographie in Bildern und Texten Luchterhand, 216 S., EUR 35,-