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Verbraucherinformationsgesetz "hat seinen Namen nicht verdient"

Nach dem Pferdefleischskandal hat Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) einen Entwurf für einen Nationalen Aktionsplan vorgelegt. Die verbraucherpolitische Sprecherin der SPD im Bundestag, Elvira Drobinski-Weiß, nennt die Pläne "halbherzig". Sie fordert ein neues Verbraucherinformationsgesetz.

Gerd Breker im Gespräch mit Elvira Drobinski-Weiß | 18.02.2013
    Gerd Breker: Hin und wieder drängt sich der Verdacht auf, dass Skandale einen weiterbringen. Es braucht einen Skandal, damit Menschen aufwachen und Probleme angegangen werden. Was draufsteht muss auch drin sein. Möglicherweise weil das so banal ist, wird nun mit dem Pferdefleisch-Skandal klar. So ist es in Wirklichkeit aber nicht. Rindfleisch steht drauf und Pferdefleisch ist drin. Ein nationaler Aktionsplan soll heute beschlossen werden, wenn sich die Verbraucherschutzminister von Bund und Ländern heute beraten – mal wieder einer, als ob all die anderen Lebensmittel-Skandale gar nie gewesen wären.
    Wir sind nun telefonisch verbunden mit der verbraucherpolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, mit Elvira Drobinski-Weiß. Guten Tag, Frau Drobinski-Weiß.

    Elvira Drobinski-Weiß: Guten tag, Herr Breker.

    Breker: Offenbar braucht es immer erst einen Skandal, bevor überhaupt etwas geschieht.

    Drobinski-Weiß: Ja. Es hat den Anschein, dass wir tatsächlich immer nur dann reagieren, wenn mal wieder so ein Skandal da ist. Ich meine, die Liste der Lebensmittelskandale ist lang, und jetzt haben wir natürlich das Pferdefleisch in Produkten, wo es nicht hingehört, und schon reagiert die Frau Ministerin wieder, ohne dass sie das dann nachher tatsächlich auch umsetzt.

    Breker: Man fragt sich ja, warum eigentlich der Kunde, der Verbraucher naiv sein soll, wenn er davon ausgeht, dass das, was draufsteht, auch tatsächlich drin ist in dem, was er da gerade gekauft hat.

    Drobinski-Weiß: Das ist richtig. Das heißt also, hier findet Verbrauchertäuschung statt, und eigentlich ist es selbstverständlich, dass das, was da auch dann abgebildet, was dann draufsteht, dann auch tatsächlich drin ist. Nur wir haben gelernt oder wir haben erfahren müssen, dass das leider nicht der Fall ist, und insofern ist natürlich jetzt auch das, was jetzt hier mit Kennzeichnung oder Herkunftskennzeichnung des Fleisches, was jetzt Frau Aigner auf einmal vorschlägt – Sie haben es ja auch in Ihrem Bericht schon gesagt -, was sie im letzten Jahr ja noch verhindern wollte, dass das jetzt ein Allheilmittel sein soll, was ich allerdings nicht glaube.

    Breker: Frau Drobinski-Weiß, Sie haben es gesagt: Es hat so viele Lebensmittelskandale gegeben und doch finden Kriminelle immer wieder eine Lücke, wo sie ihre verbrecherischen Gewinne machen können.

    Drobinski-Weiß: Richtig und das ist natürlich dann so ein weiterer Punkt. Das heißt natürlich auch: Gut, es wird aber auch gerne gesagt, was ich auch ein Stück weit unterstütze, dass hier der Verbraucher selbst sich darum kümmern muss und ihm klar sein muss, dass er für einen niedrigen Preis keine hochwertige Qualität bekommt. Nur es ist hier so: Wir müssen auch gucken, dass diejenigen, die da betrügen und durch diese Verbrauchertäuschung dann auch ja nicht unerhebliche Gewinne erzielen, dass hier die Strafverfolgungsbehörden dafür sorgen müssen, dass man diese erzielten Gewinne der Lebensmittelindustrie auch abschöpfen kann.

    Breker: Warum geschieht das eigentlich nicht? In der Kette vom Hersteller bis zum Verbraucher muss es doch irgendwo eine Stelle geben, wo die wirklich Verantwortlichen, ob kriminell oder nicht, sitzen. Die müsste man doch herausfinden können.

    Drobinski-Weiß: Das ist natürlich auch das Problem, weil hier natürlich die Kontrolle ist eine Länderangelegenheit und das macht das ja auch so schwierig und deswegen ist ja auch immer dieses Pingpong-Spiel Bund-Länder auch möglich, dass hier eben nicht gesagt wird, jawohl, wir müssen jetzt auf der Bundesebene einfach festlegen. Und was wir auch festlegen müssen ist: Die Behörden wissen ja zum Teil, wer täuscht, nur dürfen sie das nicht veröffentlichen, und das halte ich für einen Skandal, dass das Verbraucherinformationsgesetz, das ja eigentlich den Verbraucher informieren soll, aber seinen Namen eigentlich nicht verdient, dass die Behörden die Verbraucher nicht informieren dürfen, etwa in welchen Produkten jetzt nicht das drin ist, was da draufsteht.

    Breker: Moment, Frau Drobinski-Weiß. Das müssen Sie uns näher erläutern. Es gibt Behörden, die wissen, dass getäuscht wird, dass betrogen wird, und die dürfen das nicht öffentlich machen?

    Drobinski-Weiß: Es ist so, dass es hier schwierig ist für die Behörden, dass die bei Täuschungen die Namen von den Herstellern und betroffenen Fertigprodukten nennen können. Dieses im Moment geltende sogenannte Verbraucherinformationsgesetz verhindert das und hier müssen wir eben dieses Informationsgesetz dahingehend ändern, dass etwa alles das, was an Ergebnissen auch da ist, auch an Untersuchungsergebnissen, dass das auch veröffentlicht wird, und das passiert leider nicht.

    Breker: …, was eigentlich ein Skandal ist!

    Drobinski-Weiß: Absolut! – Absolut, genau. Und das heißt, dieses Gesetz hat auch seinen Namen nicht verdient, weil es uns eben nicht informiert, und das, finde ich, muss unbedingt. Wir fordern schon seit langem, dass alles das, was untersucht wird, dass das dann auch veröffentlicht werden muss.

    Breker: Nun sollen wir also einen nationalen Aktionsplan gegen Pferdefleisch in Fertiggerichten bekommen. Und daneben warten wir dann auf den nächsten Skandal, vielleicht gegen Straußenfleisch oder was auch immer?

    Drobinski-Weiß: Es gibt mittlerweile schon eine Inflation von Aktionsplänen. Mal sind es zehn Punkte, mal sind es 15 Punkte, jetzt sollen es sieben Punkte werden. Das ist ja das Problem, dass hier nur halbherzig dann auch von Seiten der Regierung, in dem Fall jetzt der Bundesregierung agiert wird. Ich finde es jetzt auch wichtig, beispielsweise hier auch etwa die Lebensmittelwirtschaft mit einzubeziehen, dass die auch ihren Teil zur Lebensmittelüberwachung beitragen, denn so, wie jetzt auch gerade die ausgestattet ist, können die letztendlich nicht all denen, die da versuchen, mit krimineller Energie uns hier die entsprechenden Produkte unterzuschieben, können sie die gar nicht kontrollieren.

    Breker: Nun machen wir also einen nationalen Aktionsplan, wobei doch eigentlich: wir leben in der Europäischen Union, wir bräuchten einen europaweiten Aktionsplan.

    Drobinski-Weiß: Ganz genau! – Völlig richtig! Aber ich habe mich schon letzte Woche gewundert, als dann die ersten Produkte mit diesem Pferdefleisch auftauchten, dass dann Frau Aigner sagte, nein, sie müssten nicht nach Brüssel gehen. Ich habe gedacht, hoppla, wir leben doch jetzt hier nicht auf einer Insel, wo wir abgeschottet sind. Es hat sich dann ja auch herausgestellt, selbstverständlich in einem globalisierten Markt, dass wir hier nur gemeinsam auf der EU-Ebene tätig werden können und müssen.

    Breker: Und wird da einer tätig? Muss da einer tätig werden? Wer muss da tätig werden?

    Drobinski-Weiß: Ja das ist jetzt eben die Frage. Zunächst einmal müsste jetzt die Verbraucherschutzministerin tatsächlich tätig werden in Brüssel, und hier dann eben auch mit den Ministern der anderen Mitgliedsstaaten zusammen zu überlegen, wie können wir solchem Betrug, solcher Täuschung Einhalt gebieten. Sicherlich ist die Kennzeichnung, die Herkunftskennzeichnung von Fleisch eine Möglichkeit, aber wie das jetzt tatsächlich umgesetzt werden wird, gestatten Sie mir, da habe ich gelinde gesagt meine Zweifel, weil ich einfach die Verhaltensweisen von den zurückliegenden Skandalen kenne. Und wenn dieser Skandal dann wieder abgeebbt ist, ist erst mal wieder Ruhe – leider.

    Breker: Erst mal wieder Ruhe. Also wir lösen den Pferdefleisch-Skandal, das Problem damit, und dann sitzen wir total gelassen da, gehen weiterhin einkaufen und warten auf den nächsten Skandal?

    Drobinski-Weiß: Es sieht fast so aus, wobei ich habe ja gerade gesagt: wir fordern etwa, dass man dann die erzielten Gewinne dann abschöpft, eben bei der Verbrauchertäuschung. Das ist eine Möglichkeit. Eine andere Möglichkeit ist auch die, denn solche Betrügereien macht ja nicht einer allein im stillen Kämmerlein. Da wissen ja auch oft Mitarbeiter davon und hier wollen wir ja auch durch dieses sogenannte Hinweisgeberschutzgesetz auch solche Mitarbeiter, die auf solche skandalösen Vorgänge hinweisen, dann auch die Behörden hinweisen, die wollen wir auch schützen. Ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern: Seinerzeit bei dem sogenannten Gammelfleisch-Skandal hat ja dann der damalige Verbraucherminister Horst Seehofer diesen mutigen LKW-Fahrer mit einer Medaille ausgezeichnet, nur ist der dann später entlassen worden. Also halten die da dann auch den Mund, obwohl sie sehen, dass da einfach kriminelle Vorgänge zu beobachten sind. Da halte ich natürlich hier auch den Gesetzgeber, der muss einfach hier aktiv werden, dieses Hinweisgeberschutzgesetz auf den Weg zu bringen.

    Breker: Frau Drobinski-Weiß, wenn wir zusammenfassen, was wir jetzt aus diesem Gespräch gelernt haben, dann brauchen wir eine Novellierung des Verbraucherinformationsgesetzes?

    Drobinski-Weiß: Richtig!

    Breker: Ist da Ihre Partei aktiv?

    Drobinski-Weiß: Ja, wir sind aktiv. Nur ich sage jetzt mal, mein "Problem" ist, dass wir leider in der Opposition sind. Die Regierungskoalition sieht leider die Notwendigkeit nicht, genau dieses Informationsgesetz dahingehend zu verändern, dass es auch seinen Namen verdient, nämlich mich als Verbraucherin, Sie als Verbraucher dann auch zu informieren.

    Breker: Und wir brauchen strafrechtlich neue Gesetzgebungen, damit die Gewinne, die Betrüger erzielen, abgeschöpft werden können?

    Drobinski-Weiß: Wenn ich das richtig weiß – ich bin jetzt keine Juristin - ist so was aber möglich, und wir müssten dann auch eben auf solche Wege gehen. Es muss einfach für den, der da betrügen will, absolut uninteressant werden, hier tatsächlich sich kriminell zu verhalten, weil der Gewinn, der muss dann abgeschöpft werden, und das passiert nicht.

    Breker: Und was brauchen wir, um den Verbraucher wirklich zu schützen, eine Kennzeichnung, was draufsteht muss auch drin sein?

    Drobinski-Weiß: Selbstverständlich. Sie hatten ja dieser Tage auch Gerd Billen im Interview, der ja auch gesagt hat, was draufsteht muss auch drin sein und was drin ist muss auch draufstehen. Ich denke, das ist eine sehr prägnante Formulierung. Nur da kann man sich auch überlegen, wie man das auf so einer Verpackung realisiert. Nur habe ich ein Problem, wenn das dann im Internet steht. Ich habe meinen PC oder mein Laptop nicht dabei, wenn ich einkaufen gehe. Also brauche ich auch wirklich die Herkunftszeichnung oder das, woraus das Produkt besteht, am Produkt selbst.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die verbraucherpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Elvira Drobinski-Weiß. Frau Drobinski-Weiß, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.

    Drobinski-Weiß: Bitte schön.


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