Donnerstag, 25. April 2024

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Verbraucherrechtsexperte zu VW-Klagen
"Die Erfolgsaussichten sind recht hoch"

Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum hat angekündigt, im Namen von rund 5.000 Verbrauchern Klage gegen VW und VW-Händler einzureichen. Für die Betroffenen gebe es gute Chancen, die Klagen durchzusetzen, sagte der Verbraucherrechtsexperte Christoph Herrmann im Dlf. In vielen Fällen trete allerdings zum 31. Dezember 2017 eine Verjährung ein, warnte er.

Christoph Herrmann im Gespräch mit Stefan Römermann | 29.08.2017
    VW-Pkw stehen auf dem Gelände des Volkswagen-Werk in Salzgitter.
    VW sollte die Sammelklage-Ankündigung schon ernst nehmen, empfiehlt Verbraucherrechtsexperte Christoph Herrmann. (dpa-Bildfunk / Silas Stein)
    Stefan Römermann: Fast zwei Jahre ist es jetzt her, dass die amerikanische Umweltbehörde den VW-Abgasskandal ins Rollen gebracht hat. In Amerika muss VW die Kunden der vermeintlich sauberen Diesel-Fahrzeuge deshalb großzügig entschädigen. In Deutschland sperrt sich der Konzern allerdings weiter gegen Schadenersatz-Zahlungen. Jetzt hat der Rechtsanwalt, FDP-Politiker und frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum angekündigt, im Namen von rund 5.000 Verbrauchern Klage gegen VW und VW-Händler einzureichen, denn sonst drohe unter Umständen die Verjährung der Ansprüche. Darüber spreche ich jetzt mit dem Verbraucherrechtsexperten Christoph Herrmann von der Stiftung Warentest. – Herr Herrmann, Sammelklagen gibt es ja in Deutschland bisher nicht. Wie seriös ist es denn dann, wenn jetzt ein Rechtsanwalt im Namen von 5.000 Verbrauchern klagen will?
    Christoph Herrmann: Sammelklagen im eigentlichen Sinne des Wortes gibt es in Deutschland tatsächlich nicht. Was in Deutschland aber unproblematisch zulässig ist, ist schon auch mehrere Forderungen von unterschiedlichen Verbrauchern in einer Klage geltend zu machen. Das kann man auch als Sammelklage bezeichnen und selbstverständlich können Rechtsanwälte und Firmen auch die Forderungen von einzelnen Verbrauchern vor Gericht bringen, so dass die Ankündigung von Baum, Reiter und Kollegen, einer großen Kanzlei mit dem ehemaligen Innenminister Baum als einem der Partner, für VW schon ernst zu nehmen sein wird.
    "Es ist schon ratsam, zu einem Anwalt zu gehen, der Erfolge im Streit mit VW erzielt hat"
    Römermann: Es ist ja die Rede davon, dass eine Verjährung möglicherweise abläuft. Um was geht es da genau?
    Herrmann: Der erste mögliche Verjährungstermin für Käufer eines Autos endet genau zwei Jahre nach Übergabe des Wagens. Die kaufrechtliche Gewährleistung beträgt genau zwei Jahre ab Kauf. VW und seine Händler hatten allerdings wegen der Streitigkeiten um den VW-Skandal zunächst auf die Einrede der Verjährung verzichtet. Deswegen dürfte es in ganz, ganz vielen Fällen so sein, dass mit 31. Dezember 2017 Verjährung eintritt, und das heißt, dass Betroffene vorher gerichtliche Schritte eingeleitet haben müssen, wenn sie ihre Forderungen durchsetzen wollen.
    Römermann: VW sagt ja ein bisschen vereinfacht gesagt, mit dem Software-Update wird jetzt alles gut und die Kunden haben eigentlich überhaupt keinen Grund, irgendwelche Ansprüche darüber hinausgehend geltend zu machen. Was sagen Sie dazu? Sollte ich klagen?
    Herrmann: Na ja. Klagen sollen, da ist es schwer, eine Empfehlung abzugeben. Aber aus meiner Sicht ist es schon so, dass sehr viel dafür spricht, dass das Update nicht dazu führt, dass man ein Auto so hat, wie VW das ursprünglich versprochen hat: umweltfreundlich, leistungsstark, verbrauchsarm, was da alles für die jeweiligen Modelle angeführt worden ist.
    Römermann: Nach dem Update funktioniert das Auto nicht mehr so gut und es ist weniger wert, oder wie kann man es auf den Punkt bringen?
    Herrmann: Erste Untersuchungen des ADAC deuten darauf hin, dass schon der Schadstoffausstoß sinkt. Er bleibt allerdings über den Grenzwerten, die von der EU für bestimmte Fahrsituationen vorgegeben sind. Und es spricht viel dafür, dass die Haltbarkeit leidet. Durch die verstärkte Abgasreinigung ist es Experten zufolge wohl so, dass der Motor schneller kaputt geht, beziehungsweise häufiger recht aufwendige Wartung braucht.
    Römermann: Was würden Sie denn als Experte raten? Würden Sie mich zu einer großen Kanzlei schicken, wenn ich einen Diesel-Wagen habe, oder würden Sie sagen, da kann ich eigentlich zu jedem Anwalt gehen, auch wenn der vielleicht bisher noch nicht so viel mit VW zu tun hatte?
    Herrmann: Um mit Letzterem zu beginnen: Zu einem Anwalt zu gehen, der noch keine Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit VW und den Einzelheiten zum VW-Skandal hat, dürfte nicht empfehlenswert sein. Da haben die Anwälte und Prozessfinanzierer, die sich um die Fälle schon gekümmert haben, deutlich einen Erfahrungsvorsprung. Da gibt es ja auch schon reichlich Rechtsprechung. Die zu kennen, erleichtert die Durchsetzung. Es ist schon ratsam, zu einem Anwalt zu gehen, der Erfolge im Streit mit VW erzielt hat.
    "Irgendwann wird es auch beim Bundesgerichtshof landen"
    Römermann: Und wie steht es um die Erfolgsaussichten grundsätzlich? Stehen die eher gut, oder eher schlecht? Lohnt es sich überhaupt zu versuchen zu klagen?
    Herrmann: Die Erfolgsaussichten sind recht hoch. VW hat gerade der Süddeutschen Zeitung gesagt, dass bei den bisher entschiedenen Fällen etwa knapp drei Viertel der Verbraucherklagen Erfolg hatten, sodass dementsprechend gute Chancen sind, das durchzusetzen. Das kann sich noch mal wieder ändern, wenn Oberlandesgerichte sich eine autoherstellerfreundliche Rechtsansicht bilden und das Streuwirkung hat. Irgendwann wird es auch beim Bundesgerichtshof landen und es ist auch da nicht völlig ausgeschlossen, dass der Verbraucherklagen dann endgültig als unbegründet beurteilt. Aber da ist eigentlich im Augenblick nicht mit zu rechnen.
    Römermann: Die Uhr läuft! VW-Diesel-Käufer sollten prüfen, ob sie vielleicht doch noch rechtzeitig Klage auf Schadenersatz einlegen, sagt Verbraucherrechtsexperte Christoph Herrmann von der Stiftung Warentest. Vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.