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Verdacht auf Irreführung

Hauptsache billig, das ist das Erfolgsrezept der Lebensmittel-Discounter. Doch manchmal lohnt es sich genauer hinzuschauen. Dass eine "küchenfertige Zubereitung" etwas anderes ist als Frischfleisch, erschließt sich zumindest nicht auf Anhieb. Wissenschaftler bei der Bundesanstalt für Ernährung und Lebensmittelsicherheit in Kulmbach befürchten eine Irreführung von Konsumenten.

Von Ulrich Detsch | 07.12.2006
    Lidl, Aldi und andere Discounter verkaufen Fleisch. Aldi wirbt aktuell sogar an seinen Leuchtreklamen vor den Filialen: "Jetzt neu: Frischfleisch". In den langen Kühltheken beider Discounter finden die Kunden neben Schwein und Geflügel auch Rindfleisch in Schutzgasatmosphäre-Kunststoffschalen verpackt. Bei Aldi prangt ein Schild über dem Kühlfach mit der Aufschrift "Frischfleisch". Aber ist es wirklich Frischfleisch? Wissenschaftler der Bundesanstalt für Ernährung und Lebensmittel in Kulmbach sagen: Nein. Da steht zum Beispiel auf einer Packung "Rinderrouladen". Aber es sind nur zu 97 oder 98 Prozent Rindfleisch in der Packung, der Rest ist eine Lake aus Salz, Gewürzen, Säuren und Aroma. Bei Lidl fehlt zwar über der Fleischtheke der ausdrückliche "Frische"-Hinweis. Aber auch der Inhalt dieser Rindfleischpackungen besteht nicht zu 100 Prozent aus Rindfleisch. In beiden Fällen steht unter den groß gedruckten Begriffen wie etwa "Rinderrouladen" oder "Rinderhackfleisch" deutlich kleiner gedruckt der Hinweis: "küchenfertig zubereitet". Das ist ein Trick, meinen die Wissenschaftler der Bundesanstalt für Ernährung und Lebensmittelsicherheit in Kulmbach. Professor Klaus Troeger und sein Kollege Dr. Wolf-Dietrich Müller meinen zu diesen Produkten:

    " Wenn das dem Verbraucher deutlich gemacht wird und schon im Angebot über der Truhe deutlich darauf hingewiesen wird, dass es sich hier nicht um Frischfleisch, sondern um Fleischzubereitung handelt und dass da Gewürze, Salze, Lake zugesetzt ist, dann hat der Verbraucher die Wahl und kann das kaufen oder kann das bleiben lassen. Aber bei der momentanen Situation wie wir das hier haben, gehen wir davon aus, dass die ganz überwiegende Mehrzahl der Verbraucher das eben nicht registriert. "

    " ...das als Frischfleischkauf aussieht und als Frischfleisch kauft, und es ist kein Frischfleisch ... ... . Wäre die Information da, überhaupt kein Problem. Aber dass man sozusagen eine Birne als Apfel verkauft, kann eigentlich nicht sein."

    Die Diskussionen um BSE sind verklungen, aber die rechtlichen Folgen und Auflagen zum Schutz des Verbrauchers gelten bis heute und kosten die Branche Geld. Beispiel: Die Rindfleisch-Etikettierungsrichtlinie. Demnach muss auf jedem Rindfleisch, auch auf Hackfleisch, die Herkunft des Fleisches dokumentiert sein: Wo ist das Rind mit einer bestimmten Ohrmarkennummer geboren, wo gemästet, wo geschlachtet und wo zerlegt? Diese Herkunftsgarantie kostet Geld. Mit dem Hinweis "küchenfertig" entzieht sich der Hersteller der Fleischzubereitungen von Aldi und Lidl diesem strengen Herkunftsnachweis. Er muss nicht mehr angeben, ob ein Rind in Deutschland geboren, gefüttert und geschlachtet wurde. So wird der Verbraucher nach Meinung von Dr. Günther Hammer von der Kulmbacher Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel regelrecht getäuscht .

    " Er weiß nur den Betrieb, der das Produkt in Verkehr gebracht hat, wo das Produkt zusammengesetzt wurde. Also: Hacklfleisch in die Folie hinein und das Hackfleisch verpackt. "

    Hoppla, mag da mancher denken, da haben clevere Geschäftsleute wieder einmal eine Gesetzeslücke entdeckt.

    " Meines Erachtens haben die gar keine Gesetzeslücke entdeckt sondern benutzen ganz frech den Begriff "küchenfertig zubereitet" um zu signalisieren - der Überwachung, nicht dem Verbraucher, dass es sich um eine Hackfleischzubereitung handelt und damit haben sie einen Riesenvorteil. Sie müssen die Rindfleisch-Etikettierung nicht einhalten, es wird nicht gefragt, ob das Fleisch eingefroren und wieder aufgetaut war. Dieses Produkt hier enthält einen gewissen Teil an Salz und einen gewissen Anteil an Wasser, Salz mit Wasser dem Hackfleisch zugesetzt erhöht ganz einfach das Gewicht. Das heißt: Der Verbraucher hat hier noch ein bisschen Wasser für das Geld von Hackfleisch. "

    Wie bei den Lidl-Fleischzubereitungen müssen die Kunden auch bei Aldi die Packungen umdrehen, um zu lesen, dass sich in der Packung nur 97 oder 98 Prozent-Rindfleisch befinden. Sie finden dafür aber eine Reihe von kleingedruckten Zusatzstoffen, die beim Herstellungsbetrieb mit unzähligen kleinen Nadeln ins Innere des Fleisches einspritzt wurden.

    " Warum an ein Stück Rindfleisch noch Aroma ran soll, dass ist völlig unbegreiflich. Aber Glukosesirup wird wahrscheinlich zugesetzt um die Wirkung der Säuren Natriumdiacetat und Natriumacetat auf die Zunge des Verbrauchers etwas abzumildern. Die Säuren werden zugesetzt um die Geschwindigkeit des Keimwachstums zu vermindern. Man kann also davon ausgehen, dass bei bestimmten Säuremengen, bei bestimmten Säurekombinationen, die er sicher ausprobiert hat, die Ware etwas länger haltbar ist."

    In den Schutzatmosphären-Verpackungen sorgt zusätzlich eine Mischung aus 70 Prozent Sauerstoff und 30 Prozent Kohlendioxid dafür, dass das Fleisch über längere Zeit eine geradezu künstliche rote Färbung beibehält. Ob die beiden Discounter mit ihrem "küchenfertigen" Fleisch einen neuen Trend im deutschen Markt weg vom 100 Prozent-Frischfleisch durchsetzen können? Die Wissenschaftler der Bundesforschungsanstalt in Kulmbach haben jedenfalls ihre Bedenken an das Bundesverbraucherschutzministerium gemeldet. Und die Pressestelle dort teilte auf Anfrage mit, dass die für den Zerlegebetrieb in westfälischen Rheda zuständigen Lebensmittelkontrollbehörde in Nordrhein-Westfalen informiert wurde. Im Bundesministerium soll jetzt ein Arbeitskreis gebildet werden, der die Abgrenzung von Fleischzubereitungen und 100 Prozent frischem Fleisch bundesweit klar regeln soll. Eine Anfrage von uns an Aldi und Lidl warum ihr Rindfleisch nicht zu 100 Prozent Rindfleisch ist, und woher genau es kommt, blieb bis dato unbeantwortet.