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Verein Remid
Mehr Fakten, weniger Meinung in Religionsdebatten

Religion polarisiert: Ging es in der medialen Auseinandersetzung der 90er-Jahren oft um Sekten, liegt heute der Fokus auf dem Islam. Der Verein Remid hat sich zum Ziel gesetzt, diese Art von Religionsdebatten zu versachlichen - und so Konflikte zu entschärfen. Manche wünschen ihn dafür zur Hölle.

Von Christian Röther | 19.02.2018
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    Die Vielfalt der Religionen - der Verein Remid möchte darüber wissenschaftlich neutral informieren (picture alliance / dpa / Collage Deutschlandradio)
    Das kleine Büro von Remid in Marburg scheint nach dem Motto organisiert: Das ist kein Chaos, hier liegen nur überall Ideen herum. Es stapeln sich Bücher, Zeitschriften und Broschüren zwischen Aktenordnern, Info-Postern und Götterfiguren. Für das Interview räumen Steffen Rink und Christoph Wagenseil noch schnell drei Stühle frei.
    "Remid, der Religionswissenschaftliche Medien- und Informationsdienst, versucht, zwischen dem Fach Religionswissenschaft und der Öffentlichkeit zu vermitteln. Das heißt, die Erkenntnisse, die in diesem Fach gewonnen werden, für die Öffentlichkeit aufzubereiten und Vorurteile abzubauen. Und Konflikte, die es im Bereich Religion und Weltanschauungen gibt, gesellschaftlich zu reflektieren und zu mildern."
    Christoph Wagenseil engagiert sich seit einigen Jahren im Vorstand von Remid. Steffen Rink hat den Verein mitgegründet, 1989.
    "Es wuchs eine neue Generation, eine junge Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern heran, die sich mit gegenwartsbezogenen Fragen beschäftigen wollten und da gesehen haben, dass da Religionswissenschaft durchaus auch einen eigenen Beitrag in den Diskursen über Religion in der Gesellschaft leisten kann."
    Sekten sind uninteressant geworden
    Die Sektendebatte der 90er-Jahre ist geprägt von Scientology, Satanismus und anderen Neuen Religiösen Bewegungen, wie die Religionswissenschaftler sie bezeichnen, mit einem möglichst neutralen Begriff. Zu Neuen Religiösen Bewegungen hat Remid damals viele Anfragen bekommen, erinnert sich Steffen Rink:
    "Da ging es immer darum: Ist die Gruppe gefährlich oder kann ich mit denen arbeiten? Das hat sich verändert, weil das Thema der sogenannten Sekten deutlich in den Hintergrund getreten ist. Das ist heute – wenn man mal von Tom Cruise absieht und Scientology – eigentlich interessiert das nicht mehr wirklich viele Leute. Sondern es hat sich verändert hin zum Islam."
    Auch über den Islam – und überhaupt über alle Religionen und religiösen Phänomene – möchte Remid wissenschaftlich neutral informieren.
    "In unserer Arbeit über die vielen Jahre ist deutlich geworden, dass man von diesen alten Bildern ‚gut oder schlecht‘ natürlich wegkommen muss, weil – und das ist ja mittlerweile auch weitgehend Allgemeingut – in jeder Religion es gute wie schlechte Aspekte einfach gibt und wir in einer pluralen Situation mit Muslimen, Buddhisten, Freikirchen – die ja sehr kräftig werden – ein breites Spektrum von Handlungsoptionen, auch von Weltanschauungen, Werthaltungen haben, die sich oftmals quer zu den Religionen auch überschneiden."
    "Keinen religiösen oder weltanschaulichen Anspruch"
    Remid ist ein eingetragener Verein und hat rund 120 Mitglieder. Basis ist deren ehrenamtlicher Einsatz. So entstehen Info-Hefte, Vorträge und Diskussionsrunden, und natürlich die Internetseite. Als Lobbyarbeit für Religionsgemeinschaften darf man das aber nicht missverstehen, erklärt Steffen Rink:
    "Wir haben das damals schon erlebt, dass viele der kleineren Religionsgemeinschaften so eine Erwartung hatten, dass es jetzt hier eine Institution gibt, die quasi deren Wissen oder deren Anliegen mit verbreitet. Ich glaube, es ist dann im Laufe der Jahre die Klarheit gewachsen, dass Remid selber keinen religiösen oder weltanschaulichen Anspruch vertritt und nicht in irgendeiner Art und Weise missionierend tätig wird."
    Trotzdem gab es immer wieder Vorwürfe, Remid sei zu unkritisch gegenüber sogenannten Sekten oder dem Islam. Der Verein wird auch angefeindet, sagt Christoph Wagenseil:
    "Wir erleben jetzt aktuell immer häufiger, dass gerade aus einem rechtsradikalen Spektrum wir für irgendjemanden gehalten werden, der von irgendjemandem bezahlt wird. Es gibt auch manchmal islamistische Kommentare, dass man in die Hölle komme, ‚inshallah‘."
    "Wann beginnt der Ramadan?"
    Verändert hat sich die Arbeit von Remid seit der Gründung auch deshalb, weil Informationen über Religionen inzwischen massenhaft im Internet abrufbar sind. So hat Remid ein Alleinstellungsmerkmal verloren.
    "Presseanfragen im klassischen Sinne – ich möchte etwas über Feste in den Weltreligionen wissen – die gibt es zwar immer noch manchmal, aber sie sind nicht mehr so häufig wie früher. Oder Sachen wie: Wann beginnt der Ramadan?"
    Das weiß heute jede Suchmaschine. Konkurrenzlos ist Remid hingegen mit seiner umfangreichen Religionsstatistik. Welche Religionsgemeinschaft in Deutschland hat wie viele Mitglieder? Remid listet über vierhundert Gruppen auf: von A wie Altkatholiken – knapp 16.000 Anhänger – bis Z wie Zarathustrier mit rund 600 Anhängern. Auch "organisierte Konfessionsfreie" hat Remid inzwischen in die Statistik aufgenommen: Humanisten, Freidenker, Atheisten.
    Scientology mit "Hunderttausenden von Mitgliedern"?
    Die Statistik wird permanent aktualisiert und stützt sich auf verschiedene Quellen: Selbstauskünfte der Gemeinschaften, Forschungsergebnisse und Behördenangaben. Die Religionsstatistik gehört zu den ältesten Projekten von Remid, erläutert Gründungsmitglied Steffen Rink:
    "Wenn wir uns in die Zeit zurückversetzen, wo die Diskussion um Neue Religiöse Bewegungen – insbesondere Scientology – eine große Bedeutung hatte, da liefen ja Zahlen durch die Öffentlichkeit, die von einer großen Bedrohung ausgingen und das eben auch mit Hunderttausenden von Mitgliedern und Anhängern versucht haben zu untermauern."
    Remid stellt dem fundierte Zahlen entgegen, will so die Religionsdebatten versachlichen. Und ist damit zumindest insofern erfolgreich, dass die Remid-Religionsstatistik viel genutzt und zitiert wird.
    "Ich bin immer überrascht, bei welchen Institutionen überall die Remid-Zahlen auftauchen, weil sie nicht nur für glaubwürdig gehalten werden, sondern eben auch sind."