Donnerstag, 28. März 2024

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Verein Teenstar
"Homo-Heiler" soll keiner schreiben

Teenstar bietet nach eigenen Angaben jungen Menschen "Orientierung" in Sachen "Liebe und Sexualität" an. Und: Recherchen in Österreich zufolge hält der Verein Homosexualität für therapierbar. Auch in Deutschland haben Medien seitdem darüber berichtet – und Teenstar geht mit Anwälten dagegen vor.

Von Mirjam Kid | 16.01.2020
Das Foto zeigt eine Gay Pride-Parade in Frankreich. Eine Person tanzt vor einer Regenbogenfahne - dem Merkmal der LGBTQI-Community.
Ein Verein unter Verdacht, Heranwachsenden die Homosexualität aberziehen zu wollen (picture alliance/dpa/MAXPPP/Florian Salesse)
"Sexualpädagogik, die Angst macht", so beschreiben Journalisten den international aktiven Verein Teenstar. Ein Verein, der an Schulen geht, um Kindern und Jugendlichen Sexualerziehung zu vermitteln. Und ein Verein, der unter dem Verdacht steht, mit dubiosen Beratungsangeboten Heranwachsenden die Homosexualität aberziehen zu wollen. Wer darüber berichtet, dem flattert schnell ein Anwaltsschreiben von Teenstar ins Haus – so ging es auch der Online-Nachrichten-Plattform Queer.de. Chefredakteur Norbert Blech:
"Die Vorgeschichte dabei ist: In Österreich hatte das Magazin Falter vor einem Jahr interne Schulungsunterlagen aufgedeckt, in die Öffentlichkeit gebracht, von dem Verein, wo Homosexualität beispielsweise als therapierbar dargestellt wird. Und Teenstar lief bisher recht außerhalb der Öffentlichkeit und wurde dadurch sehr bekannt. Und auch in Deutschland begannen Medien darüber zu berichten."
Teenstar widerspricht Berichten
Auch Queer.de veröffentliche mehrere Berichte über Teenstar und wollte den Fall journalistisch begleiten. In einem Artikel zitierte das Portal den Lesben- und Schwulenverband Sachsen, der in einer Pressemitteilung vor Teenstar gewarnt hatte.
"In dieser Pressemitteilung hatte der LSVD Sachsen davor gewarnt, dass Teenstar eine Gefahr für Kinder ist und recht offen gesagt, dass homophobe Workshops nicht in den Unterricht gehören und das Teenstar der Zugang zu Bildungseinrichtungen verwehrt werden soll. Wir haben dann diese Pressemitteilung des LSVD aufgegriffen und zusammengefasst. Und bekamen dann eine Abmahnung, dass wir die Zitate des LSVD nicht mehr verbreiten sollen. Und sie hatten sich auch an einzelnen Begriffen gestört, die wir noch mit reingebracht haben, wie Homo-Heiler."
Die Anwälte des Vereins Teenstar versuchten Queer.de mit einer einstweiligen Verfügung einen Maulkorb zu verpassen. Sie forderten die Journalisten auf, den Artikel umgehend zurückzuziehen. 250.000€ Strafe oder sechs Monate Ordnungshaft könnten Queer.de bei Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungserklärung drohen, das machten sie in dem Schreiben deutlich, das dem Deutschlandfunk vorliegt. Queer.de lehnte ab.
Auf Nachfrage teilte Teenstar dem Deutschlandfunk mit, die Berichterstattung einiger Online-Plattformen habe zum großen Teil auf Falschaussagen beruht. Dass Teenstar an Schulen wegen einer homosexuellenfeindlichen Sexualpädagogik eine Gefahr für Kinder und Jugendliche sei, möchte der Verein so nicht mehr lesen.
Österreichs Regierung rät von Zusammenarbeit ab
Die Regierung in Österreich hatte erst vor wenigen Monaten empfohlen, den Verein nicht mehr an Schulen unterrichten zu lassen. Auch Lesben- und Schwulenverbände in Österreich warnen vor dem aus ihrer Sicht homosexuellenfeindlichen Programm.
Hartmut Rus klärt seit über 15 Jahren über die Aktivitäten von sogenannten Homo-Heilern in Deutschland auf, vor einigen Jahren auch für den LSVD-Sachsen. Für das Bundesgesundheitsministerium und die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld hat er an einer wissenschaftlichen Bestandsaufnahme zu Konversionstherapien mitgearbeitet und in dem Bericht auch die Passagen zu Teenstar verfasst. Er ordnet den Verein nach wie vor in ein breites Netzwerk von homosexuellenfeindlichen und christlich-fundamentalistischen Organisationen ein. Auch nachdem der Verein, laut eigenen Angaben, sein internes Schulungsprogramm verändert haben will.
"Der Text, der von Teenstar Österreich aus dem internen Programm gestrichen worden ist, stammte vom 'Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft'. Dieses Institut wird von der 'Offensive junger Christen' in Deutschland betrieben, die sehr aggressiv in der Vergangenheit gegenüber Homosexuellen aufklärerisch tätig waren. Sie vertreten die Lehre, dass quasi Homosexualität nur eine Art Verhalten ist, was man abstellen kann, und homosexuelle Gefühle ein Ausdruck von psychischen Störungen sind."
Zwischen den Organisationen gebe es sogar personelle Überschneidungen, so Rus. Öffentlich distanziert habe sich Teenstar auch hier nicht. Dass der Verein stattdessen seine Anwälte vorschickt, kennt Rus als klassisches Vorgehen religiös-fundamentalistischer Homo-Heiler. Mit Klagen und aggressiven Anwälten versuchten sie zu verhindern, dass journalistische Berichte und kritische Informationen öffentlich würden.
"Anstatt mal reinen Tisch zu machen, werden homosexuelle Internetplattformen, also Journalisten, die dann die Kritik aus der Community aufgreifen und veröffentlichen, attackiert, mit Geldstrafen bedroht, wenn sie nicht den Mund halten und aufhören, darüber zu sprechen. Diese Aggressivität kenne ich eigentlich nur aus fundamentalistischen Organisationen, wenn man sich kritisch zu Homo-Heilung geäußert hat."
Queer.de: Pressefreiheit ist bedroht
Nicht alle Vereine und Redaktionen können sich die Kosten eines juristischen Verfahrens leisten. Besonders den Kleinen fehlt dafür schlicht das Geld. Auch der LSVD Sachsen lenkte schließlich ein, während sich Queer.de im laufenden Verfahren mit Teenstar befand.
"Der LSVD in Sachsen hat dann, wohl einfach aus finanziellen Gründen, gesagt. Wir riskieren keinen Rechtsstreit, sondern wir geben eine Unterlassungserklärung ab. Das Absurde an der Geschichte ist auch, dass der Bundes-LSVD – also nicht der Landesverband in Sachsen, sondern der Bundesverband der Lesben und Schwulen in Deutschland - weiterhin vor Teenstar warnt in Pressemitteilungen."
Queer.de-Chefredakteur Norbert Blech sieht durch die bestehende Rechtslage die Pressefreiheit bedroht. Denn auch wer fachlich auf Linie mit Expertinnen und Experten berichtet, kann sich in Deutschland juristisch angreifbar machen. Schon kleinste Ungenauigkeiten in der Zitierweise oder andere kleine Formfehler können Redaktionen in den finanziellen Ruin treiben.
"Klar ist, dass dieses Übermaß an Abmahnungen, das Redaktionen generell in den letzten Jahren bekommen, auch ein Problem darstellt, mit dem sich die Politik mal befassen muss. Es muss klar sein, natürlich muss sich jemand gegen eine Presseberichterstattung wehren können. Aber es kann nicht dazu führen, dass völlig legitime Medienberichte verschwinden oder dass sie die Arbeit für Medien erschweren oder auch Medien in Existenznot bringen können, weil einfach das Geld für mehrere Prozesse nicht da ist."