Dienstag, 19. März 2024

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Verfahren gegen Julian Assange
"Eine Frage von Leben und Tod"

Die USA werfen Wikileaks-Gründer Julian Assange Spionage in vielen Fällen vor – und wollen ihm den Prozess machen. Im Gefängnis in London gehe es Assange zunehmend schlecht, so Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen im Dlf. Er fordert die sofortige Freilassung.

Christian Mihr im Gespräch mit Brigitte Baetz | 29.09.2020
Auf einem Plakat, das auf der Straße liegt, ist das Bild von Julian Assange zu sehen mit einem Maulkorb in den US-Farben.
Auch in Deutschland finden Proteste gegen die Inhaftierung von Julian Assange statt (imago/ Bernd Friedel)
Brigitte Baetz: Kaum jemandem – nicht nur in den USA – wird egal sein, wer die nächsten Jahre im Weißen Haus regiert. Auch für einen Mann, der gerade in London in einem Gefängnis sitzt, das für Terroristen und Schwerverbrecher erbaut wurde, könnte die Entscheidung von Bedeutung sein: Julian Assange. Der Gründer von Wikileaks, der Plattform, die unter anderem Kriegsverbrechen der USA enthüllt hat, steht vor der möglichen Auslieferung an die Vereinigten Staaten. Diese werfen ihm Spionage in 17 Fällen und Computermissbrauch vor. Es drohen 175 Jahre Haft.
Reporter ohne Grenzen beobachtet das zurzeit in London stattfindende Auslieferungsverfahren. Christian Mihr ist Geschäftsführer der Organisation. Wie geht es Julian Assange?
Christian Mihr: Julian Assange geht es sehr schlecht. Man sieht es auch, wenn man ihn persönlich anschaut. Ich habe es geschafft, einmal auch kurz in dem Hauptgerichtssaal zu sein und ihn zu sehen. Wir haben aber auch Berichte in den vergangenen Wochen gehört von Neuropsychiatern, von Psychologen, die seinen Gesundheitszustand beschrieben haben, dass er Halluzinationen hat, dass er ständige Suizidängste hat und eine reale Suizidgefahr besteht. Und deswegen macht er einen sehr schlechten Eindruck. Und abgesehen davon, dass es hier um ein Verfahren gegen Julian Assange und ein Verfahren letztlich um Pressefreiheit geht, muss Julian Assange aus unserer Sicht auch schon allein aus humanitären Gründen sofort freigelassen werden.
Baetz: Wird das denn passieren? Kurzfristiger Weise. Wie ist der Stand des Verfahrens zurzeit?
Mihr: Der Stand des Verfahrens ist so, dass wir jetzt noch bis Freitag hier in London weitere Zeugen hören im Rahmen der mehrwöchigen Anhörung. Dann wird die Verteidigung Zeit haben, bis zum 30. Oktober ihre schriftlichen Abschlussplädoyers einzureichen. Die Anklage wiederum hat dann Zeit, bis zum 13. November noch einmal darauf zu reagieren. Allerdings – und das kritisieren wir auch sehr stark – all das, was jetzt folgt, wird nicht mehr im Rahmen einer ohnehin schon eingeschränkt öffentlichen Verhandlungen stattfinden, sondern nur noch schriftlich. Insofern setzen wir alles daran, dass es trotzdem passiert, dass er freigelassen wird, weil eben wir denken: es geht ja wirklich am Ende um eine Frage von Leben und Tod im Moment.
Und öffentlicher Druck ist wirklich ganz entscheidend. Denn am Ende, das muss man sich, glaube ich, bei Auslieferungsverfahren immer klarmachen: Wir haben es zwar gerade mit einer Verhandlung zu tun in einem Gericht, aber am Ende sind Entscheidungen über Auslieferung auch immer politische Entscheidung. Da unterscheidet sich Großbritannien gar nicht von Deutschland.
"Angriff auf die Pressefreiheit"
Baetz: Jenseits dessen – was ist denn die Linie der Verteidigung?
Mihr: Die der Verteidigung war eigentlich von Anfang an ganz klar: diesen Fall zu einem politischen Fall zu erklären. Das ist deswegen wichtig, weil im britischen Auslieferungsrecht eine Auslieferung an einen Drittstaat unmöglich ist, wenn jemand politische Verfolgung in einem Land droht. Und deswegen argumentiert die Verteidigung sehr stark: Julian Assange droht aufgrund der Vorwürfe in den USA – in erster Linie sind das ja Vorwürfe "Beihilfe zum Geheimnisverrat" und unter dem sogenannten "Espionage Act" –, dass das eine politische Verfolgung sei und dass es eben ein Angriff auf die Pressefreiheit sei, weil wenn das Gericht das anerkennt, dann ist eine Auslieferung nach dem britischen Auslieferungsrecht eigentlich so gut wie unmöglich.
Ein Plakat mit dem Konterfei Julien Assanges fordert seine Freilassung
Assange-Prozess - "Fall wird Folgen für Enthüllungsjournalismus haben"
Begleitet von Protesten hat die erste Anhörung zum US-Auslieferungsantrag gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange begonnen. Im Verfahren geht es auch um die Frage, ob der 48-Jährige als Journalist gearbeitet hat.
Baetz: Wenn er ausgeliefert werden sollte, würde es einen Unterschied machen, ob ein Präsident Trump oder ein Präsident Joe Biden dann im Weißen Haus sitzen würde?
Mihr: Das ist eine interessante Frage, die die Richterin diese Woche tatsächlich auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung einmal sehr ausführlich gestellt hat, auch mehrfach nachgefragt hat. Letztlich kann ich mir das im Moment schwer vorstellen. Denn die Verfolgung von Julian Assange, die hat ja unter Präsident Barack Obama letztlich schon begonnen, selbst wenn das juristische Verfahren erst unter Trump eingeleitet wurde.
Insofern kann ich es mir im Moment schwer vorstellen, angesichts des schon unter Obama begonnen Feldzugs gegen Whistleblower, teilweise auch gegen Journalisten in den USA aufgrund des "Espionage Act", dass das passiert. Letztlich kann es aber auch eine politische Dynamik geben, die vielleicht dazu führt, dass die USA ihre Vorwürfe fallen lassen.
Grundsätzliche Fragen für die Presse
Baetz: Das Verfahren gegen Assange läuft gerade unterhalb des Radars der Öffentlichkeit. Wie diese sich das ändern?
Mihr: Auch Journalistinnen und Journalisten müssen begreifen, dass es hier nicht nur um einen Fall Julian Assange geht. Und ich glaube, Journalistinnen und Journalisten müssen auch grundsätzlich die Frage mal beiseiteschieben, die ich manchmal höre, dass vielleicht Julian Assange nicht sympathisch sei, dass er kein Held sei.
Und ich glaube, darum geht es nicht, sondern es geht hier wirklich um eine grundsätzliche Frage. Denn immer – wenn Julian Assange ausgeliefert werden sollte, droht Journalistinnen und Journalisten, die zu Themen von nationaler Sicherheit, von Sicherheitspolitik arbeiten, mit Whistleblowern arbeiten – droht eine Auslieferung an die USA, eine ähnliche Verfolgung. Und insofern, glaube ich, ist es wichtig, dass Journalisten auch jetzt hinschauen und diese Grundsätzlichkeit beschreiben und darstellen.
Baetz: Sind Sie auch ein bisschen enttäuscht von den Kolleginnen?
Mihr: Enttäuscht ist, glaube ich, zu viel gesagt. Aber ich würde mir manchmal auch vielleicht noch ein bisschen mehr wünschen. Aber gleichzeitig weiß ich auch wie Journalismus funktioniert. Ein Verfahren über einen Zeitraum von vier Wochen zu beobachten, ist ja sehr herausfordernd. Und gerade Deutschland, muss ich jetzt sagen, im Vergleich zu vielen anderen Ländern – das ist ja der Vorteil, wenn man bei einer internationalen Organisation ist – ist insgesamt, muss ich sagen, doch relativ gut.
Ich habe das Gefühl, in allen großen Medien gab es eigentlich doch in den vergangenen Wochen auch Berichterstattung zum Anfang, zum Auftakt, auch wenn ich jetzt hier bin, reden wir mit vielen. Und das ist hier in Großbritannien, wo ich gerade bin, überhaupt nicht der Fall. Die Berichterstattung ist deutlich weniger als in einem Land wie Deutschland. Und insofern, finde ich, macht Deutschland da gar keine so schlechte Figur. Aber es kann immer mehr sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.