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Verfahren vor dem Abschluss
Plädoyers im Dopingprozess "Aderlass"

Deutschlands wichtigster Dopingprozess strebt auf die Zielgerade zu. Vor dem Landgericht München hielten Staatsanwaltschaft und Verteidiger ihre Plädoyers. Sie lagen in der Strafzumessung weit auseinander.

Von Tom Mustroph | 09.01.2021
Der wegen Blutdopings Angeklagte Mark Schmidt (M.) bei Prozessbeginn
Der wegen Blutdopings Angeklagte Mark Schmidt (M.) bei Prozessbeginn (dpa-news / Peter Kneffel)
Es ist ein Musterprozess unter strengen Corona-Regeln. Zwischen Anwälten und Angeklagten sind Glasscheiben eingezogen. Als Publikum und Medienvertreter sind maximal 13 Personen zugelassen, die - locker im Raum verteilt - vom oberen Stockwerk aus, zusehen. Zwei Angeklagte haben die Maskenpflicht noch individuell erweitert und kommen vermummt mit Tuch vor dem Gesicht, Sonnenbrille und Kopfbedeckung herein. Der Hauptangeklagte Mark Schmidt wird aus der Untersuchungshaft zum Gericht gebracht. Mit ihm angeklagt sind vier weitere Personen, darunter auch sein Vater.
Verteidigung zweifelt Anti-Doping-Gesetz an
Bei ihren Plädoyers streichen beide Seiten zunächst die Bedeutung des Prozesses heraus. Staatsanwalt Kai Gräber in einer Verhandlungspause: "Ich halte, wie am Anfang schon gesagt, den Prozess für sehr, sehr wichtig. Es war ja auch in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht absolutes Neuland, was da betreten wurde. Und jetzt schauen wir mal."
Die Verteidigung hingegen zieht gleich die gesamte Anti-Doping-Gesetzgebung in Zweifel. Ihr Hauptargument: Die sogenannte Integrität des Sports, die das Gesetz zu schützen beabsichtigt, gebe es gar nicht. Eine lange Liste von Dopingvergehen in der Vergangenheit dient den Verteidigern als Beleg.
Staatsanwaltschaft fordert mehr als fünf Jahre Haft
Im "Aderlass"-Prozess ging es um Taten aus den Jahren 2013 bis 2019. Was früher geschah, gilt als verjährt, wie etwa die Dopingjahresprogramme der wohl berühmtesten Kunden des Erfurter Sportarztes, dem deutschen Radsprinter Danilo Hondo und dem italienischen Sprintstar Alessandro Petacchi. Dopingvergehen von insgesamt zwölf Sportlern, darunter sieben aus dem Skisport, vier aus dem Radsport und einer Leichtathletin, waren Inhalt der Verhandlung.
Die Staatsanwaltschaft fordert für den Hauptangeklagten fünf Jahre und sechs Monate Haft sowie fünf Jahre Berufsverbot. Die Verteidigung will die sofortige Freilassung und bittet das Gericht um eine Strafe von insgesamt weniger als drei Jahren. Dann könnte Schmidt auch schnell das Gefängnis verlassen. Zwei Drittel der Strafe hätte er durch die Untersuchungshaft bereits abgesessen.
Knackpunkt: War das Doping gewerbsmäßig?
"Das war tatsächlich nicht überraschend. Das war sogar zu erwarten", kommentiert Staatsanwalt Gräber die Differenz. Knackpunkt ist hier die komplett unterschiedliche Sichtweise auf die Frage: Hat der Sportarzt Doping gewerbsmäßig betrieben? Die Verteidigung verneint dies und verwies etwa auf die Einkünfte, die Schmidt als Arzt ganz legal hatte. Allerdings lagen Dopingbetreuungspakete für einzelne Schmidt-Kunden pro Saison auch schon bei 25.000 bis 30.000 Euro.
Staatsanwalt Gräber betont: "Naja, er hat es ja selber eingeräumt, dass er auch ein bisschen Gewinn erzielt hat und ein bisschen was rumkommen sollte. Und er hat tatsächlich nach Qualität der Sportler und nach Qualität der Wettkämpfe abgestuft. Es steht in meinen Augen überhaupt nicht infrage. Dass andere Leute das anders bewerten, ist nicht unverständlich, weil es dann einen ganz anderen Strafrahmen gibt."
Problem: Straftaten in verschiedenen Ländern
Ein weiteres juristisches Problem in diesem Prozess: Die Straftaten wurden in verschiedenen Ländern begangen. Bluttransfusionen fanden in Deutschland, Österreich und Italien, aber auch bei den Olympischen Spielen in Sotschi und während der Kalifornienrundfahrt in den USA statt. Welches Strafgesetz wird dann angewandt und welches Strafmaß ausgewählt? Die Verteidigung bezieht sich im Plädoyer auf die geringstmöglichen Strafen - teilweise lediglich Geldstrafen oder geringe Haftstrafen. Die Staatsanwaltschaft fordert dagegen für Bluttransfusionen an einzelnen Sportlern für Arzt Mark Schmidt Einzelstrafen von zwei Jahren bis zu zwei Jahren und neun Monaten Haft. Aus der Höhe der Einzelstrafen wird dann auch die Höhe der Gesamtstrafe ermittelt.
Das Prinzip, bei Straftaten im Ausland auch das dort geltende Strafrecht zu berücksichtigen, ist allgemein anerkannt. "Ja, sicher, nach der deutschen Rechtsprechung ist das etwas, was berücksichtigt werden muss, was ich in meinem Plädoyer aber auch gemacht habe", versichert Oberstaatsanwalt Gräber. Er gibt aber zu bedenken: "Ob das dazu führt, dass man wirklich nur den Strafrahmen anwendet und praktisch komplett das andere Strafgesetz anwendet, muss das Gericht entscheiden."
Urteil dürfte Meilenstein bei Dopingbekämpfung werden
Am Münchner Gericht liegt es nun, in diesem beispiellosen Prozess festzulegen, ob das jeweils mildeste Gesetz zur Anwendung kommt und welcher Strafrahmen der angemessene ist. Weil Doping meist international erfolgt, dürfte das Urteil tatsächlich zu einem Meilenstein der juristischen Dopingbekämpfung werden. Es wird für den 15. Januar erwartet.
Der angeklagte Arzt Mark Schmidt nutzte seine letzte Wortmeldung noch zu einer sehr emotionalen Rede. Er übernahm Verantwortung für seine Taten und entschuldigte sich auch bei seinen Mitangeklagten, sie in die Betrugsmanöver hineingezogen zu haben. Die nahmen das mit unbewegtem Gesichtsausdruck zur Kenntnis. Schmidt legte aber auch Wert darauf, festzuhalten, an den Dopingvorgängen 2008 und 2009 beim damaligen Team Gerolsteiner, bei dem er Teamarzt war, nicht beteiligt gewesen zu sein. Erst danach sei er, so sagte er, "falsch abgebogen". Schmidt und seine Anwälte, die für ein Statement nach dem langen Prozesstag nicht mehr bereit standen, wollen das fünfjährige Berufsverbot verhindern, das die Staatsanwaltschaft fordert. Ob das Gericht diesen Ausführungen glaubt, wird sich kommende Woche zeigen.