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Verfassungsgericht verhandelt über Auskunftspflicht
"Operation am Herzen der Demokratie"

Vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Verhandlung über die Auskunftspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Parlament begonnen. Geklagt haben die Grünen. Sie werfen der Bundesregierung vor, mehrere parlamentarische Anfragen zu Unrecht nicht beantwortet zu haben.

09.05.2017
    Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts kommt in Karlsruhe zum Auftakt der Verhandlung über die Informationsrechte des Bundestags gegenüber der Bundesregierung in den Verhandlungssaal.
    Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe (dpa / Uwe Anspach)
    Konkret geht es um Anfragen zur Bankenaufsicht in der Finanzkrise und zur Wirtschaftlichkeit des Bahn-Projekts Stuttgart 21: Warum bekommen Banker Bonus-Zahlungen, obwohl ihre Banken mit Milliarden Euro Steuergeld gerettet werden müssen? Oder: Wie konnte es dazu kommen, dass bei Stuttgart 21 die Kosten explodieren? Die zuständigen Ministerien hatten diese Fragen teilweise oder gar nicht beantwortet. Zur Begründung hieß es: Man sei bei Unternehmensinterna zur Verschwiegenheit verpflichtet.
    Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, von Notz, wirft der Regierung vor, dass sie dadurch einen Grundpfeiler der Demokratie aushöhle: "Wenn die Bundesregierung Geheimniskrämerei betreibt, dann kriegt sie weder gute Gesetze noch eine gute Diskussion darüber hin."
    Fragerecht ist eine der effektivsten Waffen der Opposition
    Von Notz sagte in Karlsruhe, die Grünen wollten keine totale Transparenz bei privatwirtschaftlichen Unternehmen. Aber hier würden der Öffentlichkeit wichtige Informationen vorenthalten. Innenstaatssekretär Engelke erklärte, man nehme die Auskunftspflicht sehr ernst, diese habe aber Grenzen. Gerichtspräsident Vosskuhle wiederum betonte die Bedeutung des Frage- und Informationsrechts. Es sei eine der effektivsten Waffen der Opposition in der politischen Auseinandersetzung mit der Regierung. Die Konkretisierung seiner verfassungsrechtlichen Grenzen sei daher eine "Operation nahe am Herzen der Demokratie".
    Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) spricht im Bundestag.
    Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) spricht im Bundestag. (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Auch die Grünen messen der Entscheidung der Verfassungsrichter eine erhebliche Bedeutung zu - insbesondere was die parlamentarische Kontrolle von privatisierten Bereichen der Staatstätigkeit betrifft. In der Anklageschrift heißt es, dass die Bundesregierung bei der Aufklärung der Finanzmarktkrise und der Kontrolle des Bundesvermögens (z.B. die Deutsche Bahn) nicht unter Hinweis auf das einfache Recht (z.B. das Aktiengesetz) Antworten an das Parlament verweigern könne. Denn, so die Grünen: Dem stehe die Bedeutung öffentlicher demokratischer Kontrolle durch den Gesetzgeber entgegen.
    2009 bekamen die Grünen Recht
    Die Verfassungsrichter befassten sich zuletzt im Juli 2009 mit den Antwortpflichten der Bundesregierung. Damals verlangten die Grünen Auskunft über die Beobachtung von Abgeordneten durch den Bundesnachrichtendienst. Die Richter verurteilten die Bundesregierung zur Auskunft. Zur Begründung hieß es, die Bundesregierung müsse "den Bundestag in die Lage versetzen, seine Aufgabe der parlamentarischen Kontrolle des Regierungshandelns effektiv wahrzunehmen".
    Die Richter forderten damals außerdem eine ausführliche Begründung für die Verweigerung einer Antwort. Nur dann könne das Parlament "beurteilen und entscheiden, ob es die Verweigerung der Antwort akzeptiert".
    Befolgt wurde der Richterspruch nur widerwillig. Die Bundesregierung verzögerte ihre Antworten monatelang - bis nach der damaligen Bundestagswahl. Außerdem, so die Grünen, seien die Antworten so lückenhaft gewesen, dass "kein Eindruck zur erfragten Überwachungspraxis" möglich gewesen sei.
    Opposition im Bundestag ist klein
    Seit der letzten Wahl hat die Opposition im Bundestag zudem das Problem, dass sie zu klein ist. Die Fraktionen der Großen Koalition kommen auf mehr als 500 Abgeordnete, Linke und Grüne haben zusammen nur 127 Sitze, das sind 20 Prozent der Abgeordneten. Für die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen oder die Prüfung von Gesetzen beim Bundesverfassungsgericht sind aber 25 Prozent nötig. Umso wichtiger ist deshalb das Fragerecht der Opposition, vor allem die sogenannte kleine Anfrage.
    Die Karlsruher Verfassungsrichter müssen nun grundsätzlich klären, wie weit das Fragerecht reicht. Bis Mittwoch verhandeln sie. Das Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet.
    (mw/jasi)