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Verfassungsgericht zur Sterbehilfe
Zwischen Geschäftsinteressen und Empathie

Die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ ist seit 2015 verboten - jetzt entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob das Verbot bestehen bleibt. Die Beschwerdeführer klagen aus ganz unterschiedlichen Motiven.

Von Gudula Geuther | 16.04.2019
Hände halten in einem Hospiz, Offenburg, Deutschland.
"Menschen könnten durch eine Tür gedrängt werden, durch die sie nicht gehen wollten": Über die Sterbehilfe wird kontrovers diskutiert (imago / Ute Grabowsky)
In einem Internetvideo schaut Bettina Schardt wach und sicher in die Kamera. Die damals 79-Jährige sitzt in einem Liegesessel, Wolldecke über den Knien, sie trägt eine rosafarbene, ärmellose Bluse, das weiße, halblange Haar in weiche Locken gelegt.
"Ich finde es in Deutschland – außer man hat eine Möglichkeit, sich eine Pistole oder einen Revolver zu besorgen, oder an Gift zu kommen – äußerst schwierig, das Leben zu beenden zu einem Zeitpunkt, wo man erstens dazu bereit ist und zweitens alle Kriterien vorhanden sind, die einen ein Lebensende herbeiwünschen lassen."
Angst vor der Fremdbestimmung
Es war ein Sterbehilfeverein, der den Film ins Netz gestellt hatte. Was bis dahin mit Organisationen wie Exit oder Dignitas vor allem aus der Schweiz bekannt war, wollte der frühere Hamburger Senator Roger Kusch auch in Deutschland etablieren.
Bettina Schardt hatte eine Krebsbehandlung gegen einen Knoten in ihrer Brust abgelehnt. Über permanente unerträgliche Schmerzen klagte sie nicht. Aber ein Pflegeheim, betonte sie, würde sie nie betreten.
"Ich bin nicht der Mensch, der von anderen völlig abhängig sein kann. Das kann ich nicht ertragen."
Das war 2008. Kurz nach diesen Aufnahmen nahm sich Bettina Schardt das Leben, unterstützt vom Verein "Dr. Roger Kusch Sterbehilfe e.V.". Auch Frieda Felger, zu der Zeit 97 Jahre alt, trieb vor ihrem assistierten Suizid die Angst vor der Fremdbestimmung um.
"Diese Angst, dass ich dann nochmal ins Krankenhaus komme, oder vielleicht in ein Altersheim, in ein Pflegeheim. Und dann liege ich da."
Eine rechtliche Grauzone
Der Sterbehelfer Kusch erntete hoch kontroverse Reaktionen – strafrechtlich allerdings war er nicht zu belangen. Denn unter Strafe steht es zwar, einen anderen auf dessen Wunsch zu töten. Sich selbst aber darf ein Mensch das Leben nehmen. Deshalb wurde auch derjenige nicht bestraft, der einem anderen nur dabei half – indem er ihm etwa Medikamente zu Verfügung stellte.
Die rechtlichen Grenzen waren nicht immer ganz klar gezogen, auch Landesärztekammern gingen anders damit um. Trotzdem: 140 Jahre lang befand das Strafgesetzbuch: Die Beihilfe zum Suizid steht nicht unter Strafe.
"Es hat sich aber was geändert in Deutschland", so später der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand.
"Dass es mittlerweile Vereinigungen gibt, Vereine, Organisationen, die propagieren, dass Menschen, die sterbewillig sind, die vielleicht psychisch krank sind, die vielleicht an Schmerzen leiden, dass man ihnen das Leid nehmen kann, indem man ihnen die Todesspritze gibt."
Menschen könnten durch eine Tür gedrängt werden, durch die sie nicht gehen wollten, so die Sorge um die Gesellschaft, um Selbstbestimmung und Menschenwürde.
"Wollen wir eigentlich eine Entwicklung, wo man sich vielleicht auch dafür rechtfertigen muss, wenn man krank ist oder alt, dass man noch am Leben ist?"
Emotionale Debatte im Bundestag
Jahrelang diskutierten die Abgeordneten im Bundestag, ohne Fraktionszwang und oft emotional. Vom völligen Verbot der Suizidassistenz bis zur weitgehenden Freigabe wurde alles vertreten. Letzten Endes setzten sich die Gruppe um Brand und andere durch. Seitdem steht die geschäftsmäßige Suizidassistenz unter Strafe, vor allem für den, der dem Sterbewilligen nicht nahesteht, etwa als Verwandter. Das ist die Regelung, über die jetzt das Bundesverfassungsgericht verhandelt.
Nach Verfassungsbeschwerden von Sterbehilfevereinen wie dem Roger Kuschs, der inzwischen "Sterbehilfe Deutschland" heißt. Von Sterbewilligen, auch wenn mehrere Verfassungsbeschwerdeführer inzwischen verstorben sind. Und auch Ärzte klagen. Denn mit Strafe bedroht ist nicht nur, wer mit der Hilfe Geld verdienen will. Geschäftsmäßig handelt vereinfacht gesagt schon, wer es vielleicht in einem anderen Fall wieder tun würde. So wie Michael de Ridder. Der die Menschenwürde hier ganz anders versteht als die, die das Gesetz verschärft haben.
"Nur der einzelne Mensch als Grundrechtsträger ist befugt, darüber zu befinden, was seine Würde ausmacht und wie weit sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit zu schützen sind."
Die Kläger wollen durchaus Unterschiedliches. Während Sterbehilfevereine vor allem das Selbstbestimmungsrecht des Patienten betonen, solange er nur gut informiert und entscheidungsfähig ist, reicht das dem Arzt de Ridder für sein Handeln nicht. Ihm geht es darum, im Umgang mit eigenen Patienten seinem Gewissen folgen zu können.
"Ich verstehe mich nicht nur als Arzt und in dem Sinne auch als 'Dienstleister', sondern auch als Mitmensch, der hier in einer grundsätzlichen Frage der menschlichen Solidarität gefordert ist und hier Klarheit gewinnen will."
Empathie und Solidarität als Motive
Für ihn ist in seiner persönlichen Gewissensentscheidung Voraussetzung für die Hilfe, dass der Sterbewillige an einer schweren, zum Tod führenden Krankheit leidet. Das unterscheidet ihn von Sterbehilfevereinen, wohl auch in Fällen wie dem von Bettina Schardt und Frieda Felber. Aber es geht ihm um mehr.
Regeln für das, was erträglich ist und was nicht, könne niemand von außen für einen anderen aufstellen. De Ridder erzählt von einem Menschen, den er viele Monate lang in seinem Leiden begleitet hatte, durch zunehmenden körperlichen Verfall, Autonomieverlust und empfundene Ausweglosigkeit.
"Es geht um meine Beurteilung, mein empathisches, wenn Sie so wollen, Miterleben dieses Leidenszustandes. Und wenn der so deutlich wird, nicht nur verbal; sondern wenn sich die Verzweiflung in einer so direkten Weise mitteilt – das hat letztlich eben bei mir dazu geführt, dass ich gesagt habe: Ja, ich helfe ihm."
Die Verfassungsrichter müssen außerdem über Klagen von Ärzten entscheiden, die an sich gar keine Hilfe zum Suizid leisten wollen. Mediziner, die Todkranke, unter starken Schmerzen Leidende begleiten, fürchten, dass sie mit einem Bein im Gefängnis stehen könnten – zum Beispiel wenn ein Patient schon einmal einen Todeswunsch geäußert hat und sie ihm die Medikamente für mehrere Tage überlassen.
Zwei Tage lang soll die Diskussion vor den Karlsruher Richtern dauern, über Menschenwürde und Selbstbestimmung und über Gefahren für das gesellschaftliche Klima. Ein Urteil wird erst in einigen Monaten fallen.