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Verfassungsrechtler hält Ehrensold für Wulff für nicht gerechtfertigt

Rechtlich und politisch unverantwortlich nennt der Verfassungsrechtler Hans-Herbert von Arnim die Entscheidung des Bundespräsidialamtes, Christian Wulff den Ehrensold zu gewähren. Seiner Ansicht nach sei der Rücktritt persönlichen Gründen geschuldet. Ein entsprechendes Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages habe man aber nicht beachtet.

Hans-Herbert von Arnim im Gespräch mit Christiane Kaess | 01.03.2012
    Christiane Kaess: Wochenlang war Christian Wulff, als er noch Bundespräsident war, konfrontiert mit harten Vorwürfen. Zunächst ging es um einen Privatkredit, dann um seinen Versuch, negative Berichterstattung über ihn zurückzuhalten, schließlich immer mehr über zweifelhafte Einladungen und Urlaube. Wochenlang hatte Wulff versucht, die Affäre durchzustehen, auszusitzen, aber seine Nähe zu Unternehmern wurde ihm schließlich doch zum Verhängnis. Als die Staatsanwaltschaft Hannover Ermittlungen gegen ihn aufnahm, kam letztendlich doch der Rücktritt.

    Damit ist die Diskussion um Christian Wulff noch nicht vorbei. Gestern wurde bekannt, dass Wulff den sogenannten Ehrensold beziehen soll. Das hat das Bundespräsidialamt entschieden. Den Ehrensold sichert das Gesetz über die Ruhebezüge des Bundespräsidenten zu. Es geht um 199.000 Euro pro Jahr bis zum Lebensende. In Christian Wulffs Fall bezieht er diese nach nur 20 Monaten im Amt. – Am Telefon ist der Speyerer Verwaltungsrechtsprofessor Hans-Herbert von Arnim. Guten Morgen!

    Hans-Herbert von Arnim: Guten Morgen, Frau Kaess.

    Kaess: Herr von Arnim, hat Sie die Entscheidung des Bundespräsidialamts zum Ehrensold überrascht?

    von Arnim: Ja, das Amt ist hier ziemlich rasch vorgeprescht. Ich bezweifele nach wie vor, ob hier die Auslegung durch das Präsidialamt, die Auslegung des Gesetzes über die Ruhebezüge des Bundespräsidenten, rechtlich korrekt ist. Die veröffentlichte Begründung, die das Amt gibt, ist eigentlich gar keine Begründung, es ist nur ein kurzer Satz. Das Amt hat sich nicht auseinandergesetzt mit einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das zu dem Ergebnis kam, hier liegt kein politischer Grund für den Rücktritt vor, sondern etwa ein persönlicher Grund, denn schließlich war der Rücktritt ja bedingt durch das Verhalten von Christian Wulff als früherer niedersächsischer Ministerpräsident. Darauf beruht schließlich auch die Ermittlung der Staatsanwaltschaft, die dann letztlich zum Rücktritt geführt hat. Das sind persönliche Gründe, und nach dem Gesetz sind persönliche Gründe, ist ein Rücktritt aus persönlichen Gründen kein Grund für die Bewilligung des Ehrensoldes. Also die Entscheidung scheint mir zweifelhaft. Vielleicht wurde sie ja auch dadurch erleichtert, dass das Präsidialamt keine gerichtliche Überprüfung befürchten muss, denn gegen diese Entscheidung jetzt kann niemand klagen. Auch eine politische Kontrolle fällt aus. Der Beamte, der den Bescheid unterzeichnet hat, ist niemandem verantwortlich in der Interimszeit zwischen zwei Präsidenten. Wulff ist weg, Gauck noch nicht da. In dieser Interimszeit ist der unterzeichnende Beamte nicht mal dem künftigen Präsidenten verantwortlich. Also hier liegt meines Erachtens ein Fall rechtlicher und politischer Unverantwortlichkeit vor, das ist ziemlich einmalig.

    Kaess: Aber Herr von Arnim, Sie gehen davon aus, dass es eine endgültige Entscheidung ist?

    von Arnim: Ja. Der Bescheid, der hier erteilt worden ist, ist wohl endgültig. Man muss aber sehen, dass es nicht nur um den Ehrensold geht, über den wir jetzt gesprochen haben, sondern es geht ja auch um die nachamtliche Ausstattung ehemaliger Bundespräsidenten. Üblicherweise kriegen die ja noch ein Büro mit Bürokraft, persönlichem Referenten, ein Auto und Fahrer. Das kriegen sie üblicherweise. Die Entscheidung darüber ist aber noch offen. Dazu sagt das Gesetz überhaupt nichts. Das ist den Präsidenten bisher vom Bundestag einfach so bewilligt worden, steht nur im Haushaltsblatt, und darüber entscheidet letztlich der Bundesfinanzminister und der Haushaltsausschuss, und diese Entscheidung ist noch nicht getroffen.

    Kaess: Nun argumentiert das Bundespräsidialamt, es seien objektive Umstände für eine erhebliche und dauerhafte Beeinträchtigung der Amtsausübung gegeben. Das ist doch eigentlich nachvollziehbar und dann auch in der Folge zu sagen, es sind doch politische und keine privaten Gründe.

    von Arnim: Ja! Genau das sagt das Bundespräsidialamt, aber auch kein Wort mehr. Es fragt sich ja, worauf diese Umstände, wenn man sie denn bejaht, beruhen, und sie beruhen ja letztlich durchweg auf persönlichem Verhalten des Bundespräsidenten, früher, als er Ministerpräsident war, weswegen jetzt ein Verdacht der Vorteilsannahme im Amt vorliegt, deswegen, wegen seiner persönlichen Verhaltensweise. Er hat dann als Bundespräsident versucht, das alles so ein bisschen zu vertuschen, bis hin zu dem von Ihnen erwähnten Anruf bei "Bild"-Zeitung und Springer, wo er verhindern wollte, dass da ein unliebsamer Bericht veröffentlicht wird. Alles liegt in dem persönlichen Verhalten des Bundespräsidenten, deswegen meine ich nach wie vor, dass eigentlich der Rücktritt aus persönlichem Grund erfolgt. Und wie gesagt: Ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes kam zum selben Ergebnis.

    Kaess: Herr von Arnim, es soll ein Vertrauter von Wulff gewesen sein, der den Ehrensold gebilligt hat. Das meldet heute die "Bild"-Zeitung. Es geht dabei um den Chef des Bundespräsidialamtes. Macht das die Entscheidung angreifbar?

    von Arnim: Ja. Ob das nun der Chef war, oder sein Vertreter, wie es zunächst heißt, die Entscheidung ist problematisch, weil es dagegen keine gerichtliche Kontrolle gibt - kein Bürger kann dagegen klagen -, weil es auch keine politische Kontrolle gibt. Es war ein Beamter, ein Lebenszeitbeamter, den kann niemand zur Verantwortung ziehen. Und auch ein Bundespräsident, der ja nun allen vorgesetzt wäre, etwa Gauck, ist ja noch nicht im Amt. Es ist also eine Entscheidung eines Mannes, der rechtlich und politisch nicht verantwortlich war, und das scheint mir schon ein großes Problem. Und wenn es auch noch der, wie die "Bild"-Zeitung jetzt offenbar schreibt, frühere Vertraute von Wulff war, also der Staatssekretär, dann wird die Sache noch problematischer.

    Kaess: Die SPD stellt die Zahlungen infrage, wenn es zu einer Verurteilung Wulffs kommen sollte. Wäre das ein Punkt, rechtlich noch mal neu bei dieser Entscheidung anzusetzen?

    von Arnim: Das müsste ich rechtlich noch mal überprüfen, ob dann eine Möglichkeit besteht. Aber es besteht in jedem Fall eine Möglichkeit des Gesetzgebers, also des Bundestages, das Gesetz, aus dem sich der Ehrensold ergibt, zu ändern und einzuschränken, und man könnte das meines Erachtens wohl auch mit Wirkung für Wulff selbst machen. Er genießt meines Erachtens keinen Vertrauensschutz auf den Bestand der jetzigen Gesetzeslage, denn er hat zu Beginn seines Amtes selbst gesagt, dass es sich hier um eine unangemessene, viel zu großzügige Regelung handelt und da Reformbedarf selbst angemahnt, sodass der Bundestag jetzt ein einschränkendes Gesetz vornehmen könnte, auch mit Wirkung für Wulff.

    Kaess: Zum Schluss noch: Sollte man über die rechtlichen Regelungen, eine neue rechtliche Regelung eines Ehrensoldes generell noch mal nachdenken, so wie das viele jetzt verlangen?

    von Arnim: Ja, auf alle Fälle. Dieser Ehrensold passt nicht mehr in die Zeit. Es gibt keinen anderen Amtsträger, der, wenn er im Ruhestand ist, 100 Prozent seiner aktiven Bezüge bekommt, wie das der Ehrensold ist, und erst recht nicht, wenn er nur 20 Monate im Amt war und erst 52 ist. Also das sind Regelungen, die sind unhaltbar, unabhängig davon, ob der Bescheid des Präsidialamts nun rechtlich richtig war oder nicht. Das Gesetz muss unbedingt geändert werden.

    Kaess: Der Verwaltungsrechtsprofessor Hans-Herbert von Arnim. Vielen Dank für dieses Gespräch.

    von Arnim: Ich bedanke mich.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.