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Verfassungsschutz
"Größte Herausforderung ist der islamistische Terrorismus"

400 Islamisten sind bisher nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz von Deutschland aus in den Irak und nach Syrien ausgereist. Umgekehrt drohe die Gefahr, dass Rückkehrer in Deutschland Anschläge begehen könnten, sagte der Präsident der Behörde, Hans-Georg Maaßen, im Interview der Woche im DLF.

Hans-Georg Maaßen im Gespräch mit Rolf Clement | 31.08.2014
    Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen
    Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen (dpa/picture alliance/Tim Brakemeier)
    Rolf Clement: Herr Maaßen, wenn Sie als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz auf die gegenwärtige politische Lage schauen: Die Welt ist in Aufruhr, es gibt überall Krisenherde, es werden eher mehr als weniger Krisen gewaltsam ausgetragen. Welche Auswirkungen hat das auf die innere Sicherheit in Deutschland, auf Ihr Betätigungsfeld?
    Hans-Georg Maaßen: Also unser Eindruck ist, dass nahezu jeder Krisenherd in der Welt in irgendeiner Weise auch im Zusammenhang steht mit Deutschland, und sei es, dass Ausländer nach Deutschland reisen als Asylsuchende oder mit einem Daueraufenthalt und ihre Probleme mit in das Land nehmen. Zum Beispiel schauen wir mit großer Sorge auch die Zahl der Tschetschenen an, die nach Deutschland kommen und auch im vergangenen Jahr gekommen sind. 15.000 tschetschenische Asylsuchende – da sind auch Personen, die eben ihre Probleme nicht an der Grenze ablegen, sondern auch mit nach Deutschland nehmen. Da machen wir uns Sorgen, dass eben dadurch auch die Probleme – ausländische Probleme – auch zu deutschen Problemen werden.
    Clement: Gibt es da genaue konkretere Ansatzpunkte, wo Sie konkret sagen: Da besteht eine Gefährdung oder da müssen wir eingreifen?
    Maaßen: Bei den Tschetschenen haben wir genau hingeschaut, ob es eine zunehmende Zahl an Unterstützern von Doku Umarow, dem jetzt vor einiger Zeit verstorbenen Führer des Kaukasischen Emirats, gibt. Ja, wir haben eine ganze Reihe von Personen in Deutschland, die ihn unterstützen. Darunter sind auch Asylsuchende. Und das muss man sich dann genau anschauen und da muss man aufpassen.
    Propagada-Aktivität aus Syrien
    Clement: Es gibt – Sie haben da immer wieder darauf hingewiesen und davor gewarnt – Aktivitäten in Richtung Syrien, in Richtung auch jetzt Irak, im Zusammenhang mit der Organisation Islamistischer Staat. Wie ist da im Moment der Stand der Dinge?
    Maaßen: Wir stellen fest, dass es eine große Propagandaaktivität gibt aus Syrien, aus dem Irak in Richtung Deutschland in deutscher Sprache, in sozialen Netzwerken, aber wie auch in Internetforen. Propaganda, die hier verfängt und die dazu führt, dass junge Leute sich angesprochen fühlen, nach Syrien zu gehen, auch in den Irak zu gehen und dort für den "Islamischen Staat" zu kämpfen. Weit mehr als 400 Personen, schätzen wir, sind derzeit dort. Ich spreche immer von 400 Personen, weil das die Personen sind, die wir benennen können, aber wir gehen davon aus, dass es noch eine Dunkelziffer gibt, die wir nicht kennen. Personen, die, wie wir jetzt auch festgestellt haben, teilweise hoch motiviert sind, Straftaten zu begehen, zu kämpfen, bis hin sich selbst zu opfern, Selbstmordanschläge zu begehen. Wir haben festgestellt: Es gab in den letzten Monaten fünf Personen aus Deutschland – Deutsche oder Leute, die in Deutschland schon lange lebten –, die Selbstmordanschläge begangen haben. Und das ist für uns schon ein Grund von großer Sorge.
    Murat K. sitzt am 20.01.2014 in Bonn (Nordrhein-Westfalen) vor dem Landgericht auf der Anklagebank.
    400 deutsche Islamisten radikalisieren sich im Irak (dpa / Oliver Berg)
    Clement: Wie viele von denen kommen denn zurück?
    Maaßen: Es hängt natürlich von der Situation in Syrien und im Irak ab. Es gibt einige Leute, die sagen dezidiert, sie seien jetzt in ihrem dschihadistischen Paradies und wollen nicht zurückkommen. Die posten auch im Internet, was sie in Syrien machen, dass sie Menschen töten und sind stolz darauf. Aber es gibt auch andere, die dann schon nach einiger Zeit zurückkommen und auch im Internet posten: 'Der Dschihad findet nicht nur in Syrien statt, sondern auch in Europa.' Und das ist natürlich gefährlich, wenn zu terroristischen Aktivitäten dann auch hier aufgerufen wird.
    Clement: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Erfolg der IS im Irak zur Zeit und diesen Reiseaktivitäten und den Rekrutierungsmöglichkeiten?
    IS-Erfolge hängen mit Aktivitäten in Deutschland zusammen
    Maaßen: Ja, man kann feststellen: Es gibt einen Zusammenhang zwischen den Erfolgen, die der IS im Irak bislang hatte und den Aktivitäten hier in Deutschland und den Propaganda- und Akquirierungsaktivitäten mit Blick auf junge Dschihadisten. Der Islamische Staat ist, wenn man so sagen darf, "in" in der Szene – weit attraktiver als Dschabhat al-Nusra, der al-Kaida-Ableger in Syrien. Was die Leute anzieht, ist die hohe Brutalität, ist die Radikalität, die Rigorosität. Und das spricht aus deren Sicht dafür, dass es die authentische Organisation ist im Vergleich eben zu al-Kaida. Und al-Kaida verblasst im Grunde genommen, was die Brutalität angeht, gegenüber dem "Islamischen Staat."
    Clement: Es gibt ja immer wieder Versuche, gerade in der Islamisten-Szene, mit Aussteigerprogrammen rein zu kommen, um zu versuchen, die Leute da rauszuholen und zu sagen: 'Pass auf, das ist nicht der richtige Weg'. Wie erfolgreich kann so etwas sein, gerade bei so einer fanatischen Gruppe?
    Maaßen: Ja, als Nachrichtendienst sind wir eigentlich nicht der richtige Ansprechpartner für diese Aussteigerprogramme. Wir haben zwar auch eine Hotline, wo sich Aussteiger auch bei uns melden können, und da gebe ich offen zu, das ist eine Hotline, die wir zwar anbieten, aber die erreicht relativ wenige Personen. Das Entscheidende aus unserer Wahrnehmung ist, dass man im Grunde genommen die Graswurzelarbeit betreibt. Das heißt dass man in den Gemeinden, in den Schulen, in den Vereinen auch Leute anspricht, die quasi auf der Kippe sind, die drohen, in diese Szene abzugleiten.
    Und unsere Erfahrung ist, dass es ähnlich ist wie beim Drogenkonsum: Man wird relativ schnell angefixt und ist dann in der Szene drin und kann sich dann kaum mehr daraus befreien. Das merken wir bei Personen, die über diese sogenannte Koranverteilaktion "LIES!" in die Szene überführt wurden und sich dann in ganz kurzer Zeit radikalisiert haben und wir sie dann in Syrien wiedergefunden haben. Und da ist es wichtig, dass diejenigen, die so etwas sehen – ob das nun im familiären Umfeld, im Freundeskreis, in der Schule, im Verein ist –, dass sie darauf hinweisen und dass die Gesellschaft ein höheres Bewusstsein hat, hier so etwas zu verhindern.
    Türkische Nachrichtendienste sind wichtige Partner
    Clement: Herr Maaßen, wir sind gerade in der Region. Es gab in den letzten Tagen, Wochen Meldungen über Zusammenarbeit zwischen dem BND und türkischen Geheimdiensten, auch über Einzelaktionen, die der BND dort gemacht hat. Wie arbeiten Sie mit den Türken zusammen? Woher bekommen Sie Kenntnisse über zum Beispiel extremistische Kurdenorganisationen, die in Deutschland und in der Türkei tätig sind?
    Maaßen: Also die türkischen Nachrichtendienste sind für uns ein wichtiger Partner. Wir brauchen die Türken, den türkischen Nachrichtendienst MIT, in Sonderheit mit Blick eben auf die Probleme, die wir mit jungen Dschihadreisenden in Richtung Syrien haben. Der weit überwiegende Teil der Personen reist über die Türkei in Richtung Syrien. Deswegen brauchen wir die Türken als Ansprechpartner, um diese Reisen zu blockieren, zu verhindern. Die Kooperation ist ordentlich, ich würde sagen, in Teilen sogar gut. Wir sind noch dabei, die weiter auszubauen.
    Wir brauchen die Türken auch mit Blick eben auf die Probleme, die wir im Lande auch haben mit Blick auf PKK, DHKP-C oder auch Graue Wölfe. Aber auch umgekehrt sind wir für die Türken ein ganz wichtiger Ansprechpartner, weil die Türken Europa und in Sonderheit Deutschland als Ruheraum, als Finanzierungsraum für terroristische Aktivitäten der PKK sehen. Von daher ist das eine gute Zusammenarbeit mit den türkischen Nachrichtendiensten und aus meiner Sicht auch eine notwendige Zusammenarbeit.
    Clement: Sie haben da so ein bisschen differenziert. Glauben Sie, dass die Türkei Ausreichendes tut, um diese Durchreisen nach Syrien und in den Irak zu unterbinden?
    Maaßen: Ich würde es so formulieren: Ich schaue mir das Ergebnis an und weit über 400 Ausreisen sind zu viele Personen, die ausgereist sind. Fünf Selbstmordattentäter in Syrien und im Irak sind einfach nicht akzeptabel. Das ist aus deutscher Sicht ein unhaltbarer Zustand. Ich weiß, die Türken tun einiges, wir sind aber auch dabei, die Zusammenarbeit mit den Türken in diesem Punkt zu verbessern.
    Es soll nicht so sein, dass es nur ein Schuldvorwurf ist in Richtung Ankara, aber es muss einfach noch eine intensivere Zusammenarbeit sein, damit eben diese Reisen in Richtung Syrien gestoppt werden.
    Clement: Wie spiegelt sich denn der Konflikt um den Gazastreifen in der aktuellen Sicherheitslage in Deutschland wider?
    Instabilität in anderen Ländern wirkt sich auf Deutschland aus
    Maaßen: In den letzten Wochen hat es eine ganz Reihe von großen Demonstrationen in Deutschland gegeben, die nur in Teilen gewalttätig waren – erfreulicherweise nicht so, wie in anderen europäischen Ländern, wo es zu wirklich eruptiven Gewaltausbrüchen gekommen war. Wir haben den Eindruck – wie ich eingangs auch schon sagte –, Situationen, die zur Instabilität in anderen Ländern führen, haben auch Auswirkungen auf Deutschland. Wir merken, dass die Hamas in Deutschland auch Werbung macht für Demonstrationen gegen Israel, für die Hamas. Wir merken, dass die Palästinenser hier in der Bevölkerung auch durchaus breitere Unterstützung genießen. Es sind bürgerliche Demonstranten, aber in Teilen sind es auch Demonstranten aus dem islamistischen Bereich, die da zusammenfinden.
    Clement: Da kommt oft Antisemitismus hoch – macht Ihnen das Sorge?
    Die Gesellschaft muss sich dem Antisemitismus stellen
    Pro-palästinensische Demonstranten nehmen in Berlin an einer Kundgebung zum Al-Kuds-Tag teil, um ihre Solidarität mit den Palästinensern im Nahost-Konflikt auszudrücken
    Etwa 1.200 Menschen haben in Berlin gegen Israel demonstriert - auch in anderen Städten gab es Kundgebungen. Ob dabei Antisemitismus eine Rolle spielte, bleibt offen. (afp / Adam Berry)
    Maaßen: Ja. Antisemitismus ist nicht nur ein Problem im Phänomenbereich Rechtsextremismus, wie man vielleicht immer wieder dachte. Antisemitismus hat man immer in Zusammenhang gebracht mit Nationalsozialismus, mit rechtsextremistischem Gedankengut. Wir stellen fest, dass es auch viele Migranten gibt, die nach Deutschland gekommen sind und Antisemitismus ist bei denen auch Bestandteil ihrer Denke.
    In den Demonstrationen vor einigen Wochen in Stuttgart und andernorts gab es eine ganze Reihe junger Personen mit Migrationshintergrund, die gegen Israel demonstrierten und wo wir den Eindruck hatten, das war nicht eine Demonstration gegen Israel, das war in Teilen eine antisemitisch geprägte Demonstration. Und das erfüllt uns schon mit Sorge, weil eine derartige Situation, wie jetzt im Gazastreifen reicht schon aus, um hier in Deutschland zu antisemitischen Aufwallungen zu kommen. Das macht auch deutlich, dass wir hier auch ein Aufklärungsproblem haben, gerade mit Blick eben auf die junge Bevölkerung mit Migrationshintergrund.
    Clement: Wer muss diesen Aufklärungsauftrag wahrnehmen?
    Maaßen: Ich glaube, die gesamte Gesellschaft muss dies tun. Ich glaube, viele sind sich dessen jetzt auch bewusst, dass es nicht nur darum geht, den Antisemitismus aus den Köpfen rechtsextremistisch orientierter Menschen herauszubekommen, sondern dass Antisemitismus, denke ich, ein Problem ist, das viel breiter ist in der Gesellschaft. Und ich glaube, das ist eine Aufgabe, der sich die gesamte Gesellschaft stellen muss.
    Clement: Eine Frage, die diesen Konflikt betrifft, aber auch noch mal zurückspringend auf den Syrien-Irak-Konflikt: Wie finanzieren sich die Gruppen eigentlich? Gibt es in Deutschland Veranstaltungen im größerem Umfang, wo Fundraising für diese Organisationen betrieben wird?
    Maaßen: Ja, gerade mit Blick auf Syrien und Irak kann ich feststellen, dass das Thema Syrien in der islamistischen Szene ein Thema ist, das bei vielen dazu führt, dass sie ihren Geldbeutel öffnen. Es gibt eine ganze Reihe von Benefizveranstaltungen für Syrien – das merken wir jetzt schon seit ein paar Jahren. In den letzten Monaten hat das eher noch zugenommen.
    Wir merken aber auch im Bereich der PKK, die Deutschland auch als Finanzierungsraum ansieht, um Aktivitäten gegen die türkische Regierung zu finanzieren, dass die PKK mit dem Thema Syrien, mit dem Thema 'Unterstützt die Kurden in Syrien' – in Teilen auch die Kurden in Irak –, in großem Umfang Finanzmittel akquirieren kann. Das ist natürlich auch ein Problem, wo wir sagen: 'Deutschland darf nicht der Ausgangspunkt von terroristischen Aktivitäten sein, die von deutschem Boden aus mitfinanziert werden'. Und deswegen bekämpfen wir das auch so gut es geht.
    Zahl russischer Agenten in Deutschland hat zugenommen
    Clement: Wir wirkt sich denn die Ukraine-Russland-Krise auf die Sicherheitslage in Deutschland aus?
    Maaßen: Hier würde ich sagen, mit Blick eben auf den Konflikt haben wir uns insbesondere Spionageaktivitäten angeschaut, insbesondere Russlands Informationsbeeinflussungsoperationen. Wir haben nicht festgestellt, dass die Zahl russischer Agenten in Deutschland in der letzten Zeit deutlich zugenommen hat – die ist seit jeher auf einem relativ hohen Niveau. Aber wir stellen schon fest, dass die russischen Dienste mit Blick eben auf die Ukraine ihre Arbeit natürlich anders ausgerichtet haben, sich nicht nur interessieren für die deutsche Außenpolitik, die deutsche Energiepolitik, sondern die deutsche Politik gerade mit Blick eben auf die Ukraine: Wie wird Deutschland zum Beispiel zum Beispiel in Brüssel entscheiden, wenn es um Sanktionen gegen Russland geht? Wer ist Entscheidungsträger? Wie kann man Einfluss nehmen.
    Wir sehen nicht, dass Deutschland – anders als vielleicht osteuropäische Staaten – gerade im Blick ist eben auf Informationskampagnen oder Desinformationskampagnen. Ansätze finden wir schon, aber unser Eindruck ist, dass in osteuropäischen Staaten von russischer Seite – staatlicher, ein Teil, muss man auch sagen, privater Seite – versucht wird, massiv auch auf die öffentliche Meinung Einfluss zu nehmen. Das können wir für Deutschland so noch nicht feststellen.
    Strategische Überwachung ausländischer Dienste im Einzelfall
    Eine kleine Deutschlandfahne steht am 17.05.2013 neben einer Kamera und Mikrofonen für eine Videokonferenz auf einem Monitor bei einer Pressekonferenz des Zollfahndungsamts in Hamburg.
    Datenschutz - wer hat wo und wann spioniert (dpa / picture alliance / Christian Charisius)
    Clement: Im Interview der Woche im Deutschlandfunk der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen. Herr Maaßen, Sie haben gerade ein bisschen schon ein Thema angetippt, über das wir auch sprechen sollten, das ist Spionageabwehr. Da gab es im Zusammenhang mit den Aktionen der USA gegen uns eine Diskussion darüber, ob man die verstärken muss. Sie haben gesagt: "Jetzt reicht es mir, jetzt machen wir die Spionageabwehr auch gegen Freunde." Haben Sie das früher nicht gemacht? Und wie haben Sie es verstärkt?
    Maaßen: Grundsätzlich gilt, wenn wir sehen, dass Freunde, Partner oder Gegner in Deutschland nachrichtendienstliche Operationen durchführen, schreiten wir ein. Unabhängig, ob das nun russische Dienste sind, amerikanische Dienst oder andere Dienste. Vor dem Hintergrund haben wir nun auch die Operationen durchgeführt, die dazu führten, dass im BND eine Person enttarnt wurde. Und wir haben auch eine Operation durchgeführt, die dazu führte, dass der GBA [Anm. der Redaktion: Generalbundesanwalt] gegen einen Menschen im Verteidigungsministerium Exekutivmaßnahmen durchführte.
    Was anderes ist es, ob wir Staaten systematisch uns anschauen. Eine strategische Überwachung ausländischer Dienste, das machen wir grundsätzlich nur in Einzelfällen. Ein sogenannter 360-Grad-Blick ist natürlich erheblich aufwendiger, als nur eine punktuelle Beobachtung. Wir stellen uns das vor, dass man zumindest eine Sockelbeobachtung machen kann, dass man in einem Sockel die Staaten grundsätzlich auch beobachtet. Aber alles weitere, denke ich mir, werden wir mit Partnern und mit Freunden grundsätzlich auch nicht durchführen.
    Clement: Das heißt, dass die Ankündigung, Sie würden in diesem Bereich jetzt mehr tun, eher eine war nur für die Öffentlichkeit?
    Clement: Hat das Neue denn schon zu Ergebnissen geführt? Haben Sie schon ein paar weitere enttarnt, die dann – na ja – diplomatisch-freundlich aufgefordert worden sind, das Land zu verlassen?
    Maaßen: Nein, überhaupt gar nicht. Wir werden natürlich stärker um uns herum schauen. Wir werden etwas stärker schauen: Wer hält sich in diesem Land auf und ist nachrichtendienstlich aktiv? Sie haben ja sicherlich auch zur Kenntnis genommen, dass das Auswärtige Amt die Auslandsvertretungen, die in Deutschland vertreten sind, um Auskunft gebeten hat, in welchen Auslandsvertretungen nachrichtendienstliches Personal tätig ist. Ich denke, das ist eine Grundvoraussetzung, die man erfüllen muss, um einen 360-Grad-Blick durchzuführen, um zu sehen: Wer hält sich denn hier überhaupt auf? Und insoweit muss ich sagen, haben wir auch etwas Neues gemacht.
    Maaßen: Uns selbst wenn, würde ich es an dieser Stelle nicht sagen.
    China spioniert in Interesse der eigenen Wirtschaft
    Clement: Herr Maaßen, ein anderes Thema, was Sie auch immer wieder beschäftigt, wenn man zuhört und auf Ihre Tagungen geht, ist der Bereich der Wirtschaftsspionage. Wie müssen wir uns vorstellen, dass so
    etwas abläuft? Es ist ja schwierig, wenn ein Staat Wirtschaftsdaten erhebt, wem gibt er die eigentlich? In welcher Form muss man sich vorstellen, dass das abläuft?
    Maaßen: Bei Wirtschaftsspionage meinen wir meistens Industriespionage, dass ein Staat für seine Unternehmen, für seine Wirtschaft Unternehmen in einem anderen Staat ausspioniert. Das ist eine Vorgehensweise, die man eigentlich nur sich vorstellen kann bei Staaten, die entweder Staatsunternehmen haben oder die eine staatlich gelenkte Wirtschaft haben. Und da kommen wir automatisch auf die Staaten, die uns die Hauptprobleme bereiten, nämlich Russland und China. Bei westeuropäischen Staaten oder bei Staaten, die eine Marktwirtschaft haben, stellen wir Derartiges nicht fest, dass der Staat selbst Industriespionage betreibt. Natürlich treiben immer wieder Unternehmen gegeneinander Industriespionage, aber das ist letztendlich nicht etwas, was den Verfassungsschutz beschäftigt. Darum unsere große Sorge, dass Staaten, die über ein großes nachrichtendienstliches Instrumentarium verfügen, in Deutschland Unternehmen ausspionieren, um ihre eigene Wirtschaft zu stärken.
    Und wir stellen fest, dass es in China der Fall ist, dass die chinesischen Dienste durchaus auch in den Dienst gestellt werden, Spionage zu betreiben zugunsten ihrer eigenen Wirtschaft. Und in Russland stellen wir das auch fest.
    Clement: Sind das hauptsächlich Menschen, die da andere ausfragen oder sehen Sie das eher im Bereich der elektronischen Spionage?
    Maaßen: In den letzten Jahren – jedenfalls so mein Eindruck – war es so, dass man in der öffentlichen Diskussion immer mehr auf den Blick elektronische Angriffe, den Cyber-Raum geschaut hat. Das ist aus unserer Wahrnehmung nur ein Forum, eine Begehungsweise, kann man sagen, um Spionage, um Industriespionage durchzuführen. Die althergebrachte, nämlich Quellen anzuwerben, Personen anzusprechen oder Personen in ein Unternehmen einzuschleusen, um da Informationen zu bekommen, diese Vorgehensweise gibt es nach wie vor.
    Unternehmen müssen sich selbst gegen Cyber-Angriffe schützen
    Ein Mensch vor einem Laptop, an dessen Monitor der Schriftzug "Passwort akzeptiert" zu lesen ist.
    Ein Mensch vor einem Laptop, an dessen Monitor der Schriftzug "Passwort akzeptiert" zu lesen ist. (picture alliance / dpa / Tobias Hase)
    Clement: Wenn man mal bei der Cyber-Thematik bleibt. Sie haben eine Reihe von Ideen entwickelt – stärkere Überwachung von Handys und Ähnlichem –, wie man dem begegnen kann?
    Maaßen: Gegen Cyber-Angriffe braucht man in der deutschen Wirtschaft vor allem Eigenschutz. Der Staat kann gegen Cyber-Angriffe Rat geben, in Teilen kann er nur Tat gegen. Denn die deutsche Wirtschaft ist einfach so diversifiziert, dass es keinen allumfassenden staatlichen Schutz geben kann im Bereich des Cyber-Raums. Die Initiative der Politik, des Bundesinnenministers in erster Linie, ist dafür zu sorgen, dass die Grundlagen geschaffen werden, dass auch die Unternehmen sich in der Hinsicht selbst schützen können, dass auch eine sichere IT-Infrastruktur geschaffen wird. Aber letztendlich ist es dann Aufgabe des Unternehmens, die Kronjuwelen, die man dort hat, das wirklich Wichtige zu identifizieren und es in den IT-mäßigen Panzerschrank zu schließen. So wie man auch Geld und Goldbarren zu Hause in den Panzerschrank schließt oder eben in der Firma in den Panzerschrank schließt.
    Clement: Versprechen Sie sich etwas von der Meldepflicht, die jetzt eingeführt wird?
    Maaßen: Ich hätte mir gewünscht, es würde keine gesetzliche Meldepflicht geben, wenn die Unternehmen nämlich alle freiwillig melden. Aber das ist leider nicht der Fall. Von daher halte ich letztendlich vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir zu wenig Informationen über Cyber-Angriffe bekommen, eine Meldepflicht für wichtig und auch für richtig. Es ist notwendig, dass die Unternehmen, die Opfer werden können von einem Cyber-Angriff, auch gewarnt werden. Und eine Warnung kann dann ausgesprochen werden, wenn man erkennt: Auch ein Unternehmen der gleichen Branche, ein anderes Unternehmen war schon mal Opfer eines Cyber-Angriffs. Heißt also, wenn man feststellt, dass ein Automobilzulieferer Opfer wurde eines Cyber-Angriffs, spricht manches dafür, dass der Automobilzulieferer, der in Deutschland Konkurrent ist, aber auch in der Branche tätig ist, auch Opfer werden kann von einem Cyber-Angriff. Und deswegen ist es wichtig, dass der Staat die Möglichkeit hat zu warnen, dass er auch Rat geben kann, wie man sich selbst ertüchtigen kann, um nicht Opfer zu werden.
    Reformprozess im Verfassungsschutz noch nicht abgeschlossen
    Clement: Es gab in den letzten Jahren, Herr Maaßen, viele Diskussionen um den Verfassungsschutz. Sie haben, als Sie Ihr Amt übernommen haben, den Dienst reformiert in vielen Punkten. Ist der Prozess zu Ende? Müssen Sie noch mehr reformieren?
    Maaßen: Ich würde sagen, wir haben die erste Reformphase abgeschlossen. Aber ich habe auch gelernt: Reform ist ein Prozess. Wir müssen als Amt auch auf der Höhe der Zeit sein und die Herausforderungen, die die Zeit täglich uns stellt, täglich bewältigen. Und vor dem Hintergrund ist der Reformprozess längst nicht abgeschlossen. Wir haben vieles erledigt, aber vieles ist eine Daueraufgabe. Ob das nun die Priorisierung ist, die wir im Amt eingeführt haben oder stärker durchsetzen, aber auch die Modernisierung im Bereich der IT und der Cyber-Technik bei uns im Haus.
    Clement: Das sind die nächsten Punkte, die Sie in der Reform angehen wollen?
    Maaßen: Das sind Punkte, die wir schon seit einiger Zeit angehen, aber wo wir auch feststellen, das ist nichts, wo man sagen kann: 'Zu einem bestimmten Stichtag sind die Arbeiten abgeschlossen', sondern das ist ein permanenter Prozess.
    Clement: Wie würden Sie denn die Bedrohungslage für die Menschen in Deutschland zur Zeit beschreiben?
    Größe Herausforderung ist der islamistische Terrorismus
    Maaßen: Ich sehe die größte Herausforderung derzeit im islamistischen Terrorismus. Wir haben keine konkreten Hinweise auf Anschlagsplanungen gegen Deutschland, aber die Zahl der Ausreisen nach Syrien, die Zahl auch der schon zurückgekommen Personen – wir gehen davon aus, dass über 25 Personen sich in Deutschland schon aufhalten mit Kampferfahrung – macht deutlich, dass wir in einer anderen Situation sind als vor einigen Jahren, wo die Reisebewegung Richtung Afghanistan/Pakistan ging. Und in dieser Zeit hatten wir die Vorfälle gehabt der sogenannten Sauerland-Gruppe, der Personen, die in Deutschland Terroranschläge begehen wollten. Da hatten wir die Vorfälle gehabt in Düsseldorf, um die Gruppe von El-Kebir und anderen Personen. Und wir müssen eigentlich erwarten, dass bei einer derart höheren Zahl, die wir jetzt bei Ausreisen nach Syrien sehen, bei einer deutlich stärkeren Brutalisierung von Personen, die wir über Facebook, Twitter wahrnehmen, wo die Leute ihre Bilder, ihre Kriegserlebnisse posten, dass es auch durchaus Personen geben kann, die zurückkommen und hier Anschläge begehen. In soweit sehen wir eine erhöhte abstrakte Gefahr – wie gesagt, konkrete Hinweise haben wir nicht – und wir müssen einfach sehr, sehr wachsam sein.
    Und in einem Punkt, Herr Clement, haben Sie vollkommen Recht: Die Bedrohungsszenarien sind vielfältiger als noch vor einigen Jahren. In Syrien, in Irak haben wir Kriegsgebiete. Nordafrika ist unruhig. Über Libyen redet heutzutage keiner, aber Libyen scheint ein Staat zu sein ohne Regierung, man kann fast sagen "Failed State". Ägypten ist ein schwieriger Staat. Wir haben gerade Hamas angesprochen und den Gazastreifen, was schwierig ist. Wir erfahren von Entführungen durch Boko Haram oder assoziierten Gruppen in Nigeria. Es gibt Somalia und den Jemen, die auch Gebiete sind, wo Dschihadisten hingereist sind. Das heißt also, die Sicherheitssituation in der Welt ist deutlich schwieriger geworden, und das hat auch Auswirkungen eben auf unsere Sicherheitslage in Deutschland. Von daher muss man ganz besonders wachsam sein. Wir richten jedenfalls unsere Kräfte daraus aus, schauen natürlich auch, dass wir, ich sage mal, das Tagespensum mit dem nationalen Extremismus, den wir auch sehr ernst nehmen, erfüllen können. Und haben natürlich die Hoffnung und Zuversicht, dass der Haushaltsgesetzgeber uns die notwendigen Mittel zur Verfügung stellt, um all diesen Herausforderung gewachsen zu sein.
    Clement: In diesem Sinne, herzlichen Dank für das Gespräch.
    Maaßen: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.