Dienstag, 23. April 2024

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Verfassungsschutz-Struktur
"Ich sehe in einem Umbau kein Problem"

Die Diskussion über einen Umbau der föderalen Sicherheitsstruktur sei notwendig, sagte der frühere Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hansjörg Geiger, im DLF. Mit 18 unterschiedlichen Verfassungsschutzämtern auf Bundes- und Länderebene sei zwangsläufig ein Verlust an Informationen verbunden.

Hansjörg Geiger im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 06.01.2017
    Professor Dr. Hansjörg Geiger (ehemaliger Chef der deutschen Geheimdienste, zunächst des Bundesamts für Verfassungsschutz, dann des Bundesnachrichtendienstes) auf dem Podium während einer Diskussion an der Universität Bielefeld.
    Hansjörg Geiger war Chef der deutschen Geheimdienste, zunächst des Bundesamts für Verfassungsschutz, dann des Bundesnachrichtendienstes. (picture alliance/ dpa/ Robert B. Fishman)
    In Deutschland gebe es 18 Verfassungsschutzämter - das Bundesamt für Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst (MAD) sowie 16 Landesämter, erläuterte Geiger. Ämter in den kleineren Bundesländern seien personell und finanziell oft eher schwach ausgestattet. Das könne zu Defiziten bei der Terrorbekämpfung führen, warnte Geiger. Es werde nicht ausreichen, allein den Informationsfluss zwischen den Ämtern zu verbessern.
    Die föderale Struktur des Verfassungsschutzes so zu belassen, wie sie ist, sei die falsche Antwort auf die Diskussion nach dem Anschlag von Berlin. Angesichts der heutigen Mobilität von Terroristen könne das aus den 50er-Jahren stammende System nicht beibehalten werden. "Wer soll zum Beispiel das Internet überwachen, wenn wir 18 unterschiedliche Ämter haben?", fragte der Ex-Verfassungsschutzpräsident im DLF.
    Als Alternative zur föderalen Struktur gebe es nicht nur ein zentralistisches Modell. Es sei auch möglich, die personell und finanziell besser aufgestellten Ämter etwa in Bayern oder Nordrhein-Westfalen bestehen zu lassen und kleinere Behörden zusammenzulegen. Geiger hält einen derartigen Umbau für unproblematisch: "Das wäre ja ein schleichender Prozess der Vereinheitlichung."

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Macht es Sinn, zahlreiche Sicherheitsaspekte in Deutschland zentral zu bündeln, statt von Land zu Land unterschiedliche Zuständigkeiten zu haben? So schlägt es der Bundesinnenminister vor, er reagiert damit auf die Ereignisse von Berlin. Unter anderem will er den Verfassungsschutz zentral koordinieren, ein Vorschlag, den der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen grundsätzlich begrüßt, das sagte er der Deutschen Presseagentur. Die Forderung nach mehr Zentralismus kommt bei vielen Politikern aber gar nicht gut an, zum Beispiel bei SPD-Innenpolitikerin Eva Högl:
    Eva Högl: Auch ein Bundesamt für Verfassungsschutz bräuchte regionale Stellen. Denn Sie können nicht von Köln oder von Berlin aus jede Entwicklung in Hildesheim, in Wolfsburg, in Schleswig-Holstein so gut im Blick behalten. Zentralisierung, finde ich, ist nicht das Gebot der Stunde, und dafür gibt es auch keine guten Gründe.
    Büüsker: So die Ansicht der SPD-Politikerin Eva Högl. Zusätzlicher Widerstand, und zwar zum Teil erheblicher Widerstand, kommt auch aus den Ländern. Also, wie viel Sinn macht das Ganze nun?
    Darüber möchte ich mit Hansjörg Geiger sprechen, er war Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes, guten Morgen, Herr Geiger!
    Hansjörg Geiger: Guten Morgen, Frau Büüsker!
    Büüsker: Herr Geiger, wie beurteilen Sie die Vorschläge des Innenministers?
    Geiger: Wenn man diese Vorschläge beurteilt, dann muss man sich zunächst mal den Sachverhalt, den Istzustand ansehen. Wir müssen uns klarmachen, dass Deutschland, ein mittelgroßes Land, 18 verschiedene Verfassungsschutzämter hat. Wir haben zwei Bundesämter, das Bundesamt für Verfassungsschutz und den MAD, und dann haben wir 16 Landesämter. Das ist die Situation.
    Wir müssen dabei weiter berücksichtigen, dass wir eine Reihe von Landesämtern haben in den kleineren Bundesländern, die personell eher schwach ausgerüstet sind, mit weniger als 100 und etwas über 100 Mitarbeitern. Wenn einem das klar wird, dann wird deutlich, dass, wenn eine Aufgabe letzten Endes einheitlich erledigt werden sollte – Bekämpfung oder Ausforschung des islamistischen Terrorismus oder des Rechtsextremismus –, Sie 18 verschiedene unterschiedliche Organisationen haben. Dass das zu Effizienzdefiziten führen kann, sollte dann klar werden.
    "Zwangsläufig ein Verlust an Informationsweitergabe"
    Büüsker: Aber muss man deshalb das ganze System umstricken? Man könnte doch auch den Austausch zwischen den Behörden fördern.
    Geiger: Das ist eine ganz wichtige Frage, die sich stellt, muss man das Ganze umstricken? Es ist sicher die Frage, muss das in einen Zentralismus führen? Das ist glaube ich einfach ein Anstoß zur Diskussion, die notwendig ist, die schon mal geführt worden ist ja nach dem Debakel, nach der Katastrophe mit dem NSU und dann zu kleinen Verbesserungen geführt hat.
    Faktisch ist es aber so, dass alleine die Verbesserung des Informationsflusses eben nicht darüber hinweghilft, dass verschiedene Ämter Aufgaben unterschiedlich erledigen. Denken Sie beispielsweise daran, im Land Thüringen hat die neue Regierung damals beschlossen, wir wollen das V-Mann-Wesen nicht mehr haben. Das heißt, wir wollen anders operieren. Andere Länder sagen, wir wollen auch in unserem Landesamt bestimmte Schwerpunkte legen, wir wollen mehr Rechts- oder mehr Links- oder was auch immer für -extremismus beobachten.
    Mit 18 unterschiedlichen Organisationseinheiten ist zwangsläufig ein Verlust an Informationsweitergabe verbunden. Und denken Sie doch mal, ich sage eben ... Zentralismus, vollständiger Zentralismus ist die eine Sache; eine deutliche Veränderung der bisherigen Struktur, die 60 Jahre alt ist, ist im Wesentlichen ein anderer Schritt.
    Wir können uns beispielsweise ja auch vorstellen, dass wir neben den Ämtern, die ihre Aufgaben gut erfüllen können, weil sie finanziell gut ausgestattet sind, genug Personal haben, wenn wir in Süddeutschland bleiben, Baden-Württemberg und Bayern oder in Nordrhein-Westfalen, das sind starke Ämter, dass wir uns überlegen, ob wir die kleinen Ämter zusammenlegen, ob dort Bereitschaft bestünde, dass man sagt, wir drei, vier Länder bilden zusammen ein Amt, um wirklich die Aufgaben ordentlich erledigen zu können. Also, es gäbe hier eine Bandbreite.
    Wichtig ist, dass uns klar ist, dass allein dadurch, dass der Ruf, es muss so bleiben, wie es ist, weil wir Föderalismus haben, und jedes Land will sein Landesamt haben, dass wir damit nicht die richtige Antwort auf die Herausforderungen der heutigen Zeit geben. Wer soll denn das Internet, wer soll denn die sozialen Medien überwachen, wenn wir 18 verschiedene, zum Teil winzige Ämter haben?
    "Eine wichtige Information muss weitergegeben werden"
    Büüsker: Herr Geiger, Sie haben eben erläutert, wie unterschiedlich auch die Voraussetzungen in den Ämtern sind. Spielt bei diesem ganzen Debakel des mangelnden Austausches, des mangelnden Miteinanders auch Konkurrenzdenken eine Rolle, dass sich beispielsweise das eine Landesamt sagt, nee, ich gebe meine Informationen nicht weiter, weil, das sind meine Informationen?
    Geiger: Also, in den menschlichen ... Ich meine, grundsätzlich darf das natürlich nicht sein. Eine wichtige Information muss selbstverständlich weitergegeben werden, das wird auch jeder sagen, dass das so sein muss. Aber menschliche Schwächen, die es nun mal gibt, Eitelkeiten, Besonderheiten sind auch nie auszuschließen, und diese Organisation ermöglicht jedenfalls mit 18 verschiedenen Ämtern, mit 18 verschiedenen Organisationen, ermöglicht es oder erlaubt es, dass im Einzelfall vielleicht etwas nicht weitergegeben wird.
    Aber bei dem Gedanken, der mir sehr wichtig ist, den Sie gerade angesprochen haben, möchte ich auf was Weiteres hinweisen, was gar nicht mit böser Absicht zu tun hat: Wenn ich den gesamten Überblick über ein Land habe, dann sehe ich, dass eine kleine Information möglicherweise das entscheidende Puzzlestückchen ist, um das Bild zu vervollständigen. Wenn ich aber nur dieses kleine Informationssegment habe, dann meine ich, das ist dann etwas ganz Unbedeutendes, und gebe es nicht weiter, weil es mir unbedeutend erscheint. Und daran sehen Sie auch, wie problematisch es ist, wenn Sie den jetzigen Zustand im Wesentlichen einfrieren, weil man sagt, wir ändern nichts, jeder will sein Landesamt haben wie ein Rumpelstilzchen.
    "Es gibt nicht nur das rein zentralistische Modell"
    Büüsker: Kritiker eines möglichen Umbaus merken ja an, dass das erhebliche Auswirkungen hätte, ein großes Projekt wäre, das wahrscheinlich auch mehrere Jahre dauern würde. Wie kann es denn da gelingen, die Handlungsfähigkeit der Dienste trotzdem zu gewährleisten?
    Geiger: Also, das, glaube ich, wäre nicht das Problem. Wenn man sich entscheidet, wir wollen handlungsfähige, effiziente Einheiten bilden ... Wieder: Es gibt verschiedene Lösungen, es gibt nicht nur das rein zentralistische Modell. Auch da wären natürlich Außenstellen notwendig, weil man vor Ort die Szene beobachten muss, also, reiner Zentralismus, dass alles in Köln wäre, käme sowieso nicht infrage. Wenn man so etwas in die Hand nimmt, bleiben ja die bisherigen Strukturen erhalten. Ich sehe in einem Umbau nicht das Problem. Das ginge ja nicht von einem Tag auf den anderen, das wäre ja ein schleichender Prozess, in dem man sich vereinheitlicht, in dem man entsprechende Beschlüsse fasst, da kann man sich drauf umstellen. Das Problem sehe ich ... Also, die Gefahr sehe ich da nicht.
    Das ist ja nicht wie, dass eine Firma sich plötzlich ein anders Produkt produziert. Das Produkt bleibt das Gleiche, das Risiko sehe ich nicht, dass man mit diesem Argument sagt, wir müssen alles lassen, wie es bisher ist. Ich glaube, das ist das Schlimmste, was wir sagen: Ja nichts ändern, weil es immer so war. Wir können in den heutigen Zeiten, wo die Mobilität der Gruppen nicht nur innerhalb Deutschlands, über Deutschland hinaus sehr groß ist, können wir nicht die Struktur, die in den 50er-Jahren sehr sinnvoll war, wo wir kaum Mobilität hatten, einfach so in das nächste Jahrhundert oder in die nächsten Jahrzehnte weiter fortschreiben.
    Büüsker: So die Einschätzung von Hansjörg Geiger, er war Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes. Herr Geiger, vielen Dank für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk!
    Geiger: Ich danke Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.