Donnerstag, 28. März 2024

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Verfolgung von Antisemitismus
"Unsere Rechtsordnung hängt die Meinungsfreiheit sehr hoch"

Die Strafen für antisemitische und rechtsextreme Äußerungen seien nicht zu lasch, sagte Dirk Feuerberg, stellvertretender Generalstaatsanwalt in Berlin, im Dlf. Die Schwierigkeit sei, überhaupt Verurteilungen zu erreichen. Denn die Meinungsfreiheit werde in Deutschland sehr hochgehängt – auch wenn das oft schwer zu ertragen sei.

Dirk Feuerberg im Gespräch mit Sandra Schulz | 11.10.2019
Dirk Feuerberg, stellvertretender Generalstaatsanwalt in Berlin.
Dirk Feuerberg, stellvertretender Generalstaatsanwalt in Berlin, glaubt nicht, dass zu lasch gegen Rechtsextremismus vorgegangen werde. (dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm)
Sandra Schulz: Bundespräsident Steinmeier spricht von einem Tag der Scham und der Schande. Hass, Rassismus und Antisemitismus dürften keinen Platz in unserem Land haben, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Und immer wieder fällt dieser Satz: Auf Worte folgen Taten. – Der Schock über den Anschlag von Halle sitzt tief. Generalbundesanwalt Frank benennt die Tat klar als Terror, stellte gestern aber auch klar, dass die meisten zentralen Fragen noch unbeantwortet sind.
Was jetzt aus der Tat folgt, das wollen wir auch in den kommenden Minuten noch einmal fragen. Wir gehen dafür nach Berlin. Am Telefon ist Dirk Feuerberg, stellvertretender Generalstaatsanwalt in Berlin und Leiter der Abteilung Terrorismus/Extremismus. Schönen guten Morgen!
Dirk Feuerberg: Guten Morgen, Frau Schulz.
Schulz: Die leeren Kassen von Berlin sind ja legendär. Wie sind Sie aufgestellt bei der Verfolgung von Antisemiten und Rechtsextremisten?
Feuerberg: Ich denke, dass wir in Berlin gar nicht so schlecht aufgestellt sind. Ich kann als Beispiel sagen: Ich verfolge diese Delikte mit Unterbrechungen seit 1991. Es gehört ein bisschen zur fachlichen DNA, gerade aufgrund der deutschen Vergangenheit und der besonderen Rolle Berlins, dass wir uns um dieses Thema immer besonders intensiv gekümmert haben.
Gleichwohl denke ich, es kann nach dem Anschlag von Halle niemand sagen, wir haben alles richtig gemacht oder wir sind gut aufgestellt. Es gibt Luft nach oben und diese gilt es, ganz schnell abzuräumen.
Schulz: Es gibt bei Ihnen im Haus keine Abteilung, die sich speziell mit Rechtsextremismus beschäftigt. Kann das so bleiben?
Feuerberg: Das ist so nicht ganz richtig. Unser Haus würde nur meinen die Generalstaatsanwaltschaft. Zu unserem Geschäftsbereich gehört insbesondere die große örtliche Behörde, die Staatsanwaltschaft Berlin. Dort gibt es seit 1992 eine Spezialabteilung, die sich mit politisch motivierten Straftaten, darunter auch mit dem Rechtsextremismus intensiv beschäftigt.
Neu ist, dass man schon vor dem Mord an Walter Lübcke sich entschieden hat, ein Kompetenzzentrum gegen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus ins Leben zu rufen. Das ist noch im Aufbau begriffen.
Schulz: Und da fehlen auch Leute?
Feuerberg: Da wird Personal kontinuierlich nachgesteuert zurzeit, und zwar nicht erst seit Halle, sondern auch schon im Vorfeld.
"Ich kann die Kritik so nicht teilen"
Schulz: Okay. – Wir sehen nach Halle eine recht scharfe Kritik an dem Umgang der Justiz mit Antisemitismus. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, der hat gestern einen zu milden Umgang der deutschen Justiz mit Antisemitismus kritisiert. Warum schauen Sie da nicht genauer hin?
Feuerberg: Ich kann die Kritik so nicht teilen. Ich kann natürlich nur für das Land Berlin sprechen. Wenn Sie das Beispiel ansprechen, was Herr Schuster auch am Vortage erwähnt hat; da ging es um eine Person, die mit einem Messer vor der großen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte in Erscheinung getreten ist.
Da wurde massiv kritisiert, dass die Person nicht in Haft genommen worden sei. Schaut man sich den Sachverhalt näher an – und das haben wir sehr zeitnah, sehr gründlich getan -, dann stellte sich heraus: Dadurch, dass die Objektschutzkräfte, die es in Berlin Gott sei Dank gibt vor den Synagogen, dadurch, dass die einen so guten Job gemacht haben und diese Person sehr früh gestoppt haben, …
Schulz: Herr Feuerberg! Geben Sie mir kurz die Chance, den Schritt zurückzumachen, damit wir auf Augenhöhe sprechen und damit auch die Hörerinnen und Hörer wissen, worum es geht. Es geht da um einen konkreten Fall. Den hat Josef Schuster auch gestern hier bei uns im Deutschlandfunk angesprochen und kritisiert. Und wir hören uns noch mal gemeinsam an, was er da gesagt hat.
O-Ton Josef Schuster: "Wenn ich sehe, dass am Freitag ein Messerangriff auf Schutzbeamte vor der Synagoge in Berlin in der Oranienburger Straße erfolgte und danach kein Haftbefehl erlassen wurde, nicht einmal beantragt wurde von der Staatsanwaltschaft, mit dem Hinweis, dass das kein erfolgversprechender Mordversuch sei, wenn jemand mit einem Messer auf einen bewaffneten Polizeibeamten zugeht, dann muss ich sagen, fange ich ein bisschen das Zweifeln an der Justiz an. Unserer Gesetzgebung unterstehen Staatsanwaltschaften an."
Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland äußert sich in der Würzburger Synagoge zu den Vorfällen in Halle
Zentralratspräsident Schuster: "Ich hoffe, dass man jetzt auch in Sachsen-Anhalt verstanden hat"Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hat fehlende Schutzmaßnahmen für Synagogen in Sachsen-Anhalt kritisiert.
Schulz: Sie haben die Entscheidung ja mitverantwortet, haben auch gerade schon angefangen, das zu erklären. Aber machen Sie es uns noch mal klarer. Warum wurde der Mann, der mit einem Messer vor der Berliner Synagoge steht, nicht festgenommen?
Feuerberg: Er ist vorläufig festgenommen worden. Aber es fängt damit an: Im Beitrag wird gesprochen von einem Angriff. Hätten wir einen Angriff gehabt, wäre der Mann wahrscheinlich in Haft gegangen.
Tatsache ist: Er stand mit dem Messer in der Hand vor den Sicherheitskräften und hat nichts gemacht, gar nichts, bis er dann irgendwann entwaffnet und überwältigt wurde.
Wir haben eine Rechtsordnung, die dieses Verhalten noch nicht sanktioniert. Das einzige, was übrig blieb als Tatvorwurf, war ein Anfangsverdacht eines Hausfriedensbruches, und auf dieser Grundlage reichte es nicht, um diese Person in Haft zu nehmen.
Allerdings ist er stattdessen in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht worden. Es geht gegenwärtig von ihm keine Gefahr aus.
Kein zu lasches Vorgehen gegen Rechtsextremismus
Schulz: Es bleibt aber bei vielen der Eindruck, dass da nicht durchgegriffen wurde. Was antworten Sie darauf?
Feuerberg: Dass das nicht die Realitäten wiederspiegelt, so wie ich sie wahrnehme. Auch was den Vorwurf generell eines zu laschen Vorgehens gegen Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus anbetrifft, würde ich das so nicht unterschreiben wollen.
Insbesondere, wenn man sich die Sanktionshöhen anguckt. Die sind in diesem Bereich nicht zu niedrig, die sind nicht lasch, wenn man es ins Gesamtgefüge einordnet. Schwieriger ist es, überhaupt erst mal rechtskräftige Verurteilungen zu erreichen.
Schulz: Aber wir haben die Schilderung aus der jüdischen Gemeinde in Berlin. Da hat ein Betroffener unserem Reporter gesagt, wir erleben es immer wieder, dass die Täter, dass diese Antisemiten, dass die mit einem Lächeln, mit einem Lachen aus dem Gerichtssaal rausgehen. Ist das gut?
Feuerberg: Das ist ganz sicher nicht gut. Aber man muss dann auch bitte schauen, was vorher dort im Saal passiert ist. Wenn wir uns insbesondere Äußerungsdelikte anschauen im Rechtsbereich, die sind zum Teil auch für uns unerträglich. Gleichwohl haben wir eine Rechtsordnung, die die Meinungsfreiheit sehr hochhängt, die dort sehr viel Spielräume zulässt, und mit denen müssen wir umgehen.
Schulz: Wir sind ganz nah jetzt bei den Hass-Postings, bei den vielen antisemitischen, bei den Holocaust leugnenden Äußerungen auch im Internet, bei denen auch viele den Eindruck haben, dass das Netz, anders als immer wieder gesagt, doch ein rechtsfreier Raum ist, dass das da steht und geduldet wird und dass nichts passiert. Warum werden diese Beleidigungen, auch diese Holocaust-Leugnungen – das ist ja ein eigener Straftatbestand -, warum wird das so wenig verfolgt?
Feuerberg: Es ist ganz sicher kein rechtsfreier Raum, aber es ist ein Raum, in dem es sehr, sehr schwer ist, zu rechtskräftigen Verurteilungen zu gelangen, weil es die Möglichkeit gibt, sich zu anonymisieren, und davon wird weidlich Gebrauch gemacht.
Die Bundesjustizministerin hat am Tag vor dem Anschlag in Halle in einer Podiumsdiskussion den Anstoß gegeben zu sagen, sie möchte gerne, dass die Provider, die Plattformbetreiber stärker in die Pflicht genommen werden, ähnlich etwa wie bei den Anfangsverdachtsanzeigen bei Geldwäsche von sich aus aktiv zu werden, wenn sie bei sich etwas wahrnehmen, das bei den Behörden zur Anzeige zu bringen. Das zeigt die Intensität der Diskussion.
"Ein Großteil dieser Verfahren muss eingestellt werden"
Schulz: Hat Berlin da vielleicht auch ein spezielles Problem? Wir haben gerade von diesem Gerichtsurteil gehört, in dem gesagt wurde, "die Beleidigungen, gegen die sich Renate Künast wehren wollte, wo gesagt wurde, Drecksfotze, Stück Scheiße", das seien keine Beleidigungen. Können Sie uns das erklären?
Feuerberg: Nein, ich kann es nicht erklären, aber auch deswegen nicht, weil es nicht in unserem Bereich stattfindet. Es handelt sich um eine zivilgerichtliche Auseinandersetzung, die dort vor dem Landgericht geführt wurde. Ich habe persönlich auch meine erheblichen Probleme mit den Äußerungen und so etwas für zulässig zu erklären. Dafür gibt es Instanzgerichte, die sich das noch mal anschauen werden und gucken, ob das so richtig sein kann. Ich würde bei uns im Strafrecht andere Maßstäbe anlegen wollen.
Schulz: Jetzt haben wir ganz wenig Zeit, aber noch kurz die Frage: Horst Seehofer, der Innenminister kündigt ja an, dass das erleichtert werden soll, solche Hass-Postings zu bestrafen. Können Sie das überhaupt leisten?
Feuerberg: Ich glaube nicht, dass das ein Problem der Kapazitäten ist. Die Kapazitäten werden geschaffen werden. Ein Großteil dieser Verfahren muss eingestellt werden, weil wir uns noch in einem Bereich befinden, der noch nicht als strafbar angesehen wird. Wir haben eine sehr liberale Rechtsprechung in dem Bereich. Ich will nicht ausschließen, dass die Diskussion an der Stelle erst anfängt und vielleicht auch mittlerweile zu anderen Ergebnissen führt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.