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Vergabe von Spenderorganen
Bei Anruf Leber

Rund 10.000 Menschen warten in Deutschland auf ein Organ. Wer eine der raren Lebern oder Nieren bekommt, entscheidet die Warteliste, geführt bei Eurotransplant im niederländischen Leiden. So sollte es zumindest sein. Doch was wenige wissen: Fast jede zweite Leber wird mittlerweile in einem Verfahren vermittelt, das diese Liste umgeht.

Von Thomas Liesen | 04.03.2016
    Ein abgelegter Telefonhörer
    Die Vergabe im telefonischen Wettbewerbsmodus war eigentlich als Ausnahme gedacht. Doch tatsächlich werden bis zu 40 Prozent der Lebern derzeit so verteilt. (dpa / picture-alliance / Rolf Vennenbernd)
    Wenn bei einem Organspender der Hirntod festgestellt wird, beginnt die Organallokation – so der Fachbegriff für die Vermittlung eine Herzens oder einer Leber an jene Patienten, die dringend auf ein Organ warten. Die Vermittlung läuft über Eurotransplant. In den dortigen Büros suchen Organvermittlerinnen wie Lydia Aytogmus am Computer einen passenden Empfänger.
    "Diese Datenbank führt die ganze Patientenliste von Eurotransplant aus acht Ländern, ca 15.000 Patienten. Mit jeder Spende wird der komplette Pool von Eurotransplant abgeglichen."
    Wer von den wartenden Patienten das Organ bekommt, wird maßgeblich bestimmt von seiner Position in dieser Datenbank, allgemein bekannt als Warteliste. Nach einigen Minuten Rechenzeit spuckt das System einen Namen aus und nennt das betreuende Transplantationszentrum. Damit wäre eigentlich das Vergabeverfahren erfolgreich beendet. Doch Tatsache ist: Wenn die betreuenden Zentren von Eurotransplant kontaktiert werden, lehnen sie in vielen Fällen das Organ ab. Häufige Begründung: Es sei qualitativ nicht gut genug. Dann versucht Eurotransplant es bei der nächsten Klinik. Doch bald drängt die Zeit, denn das Organ droht zu verfallen.
    "Und hier macht man jetzt ein sogenanntes Zentrumsangebot."
    Undine Samuel, ärztliche Direktorin von Eurotransplant. Zentrumsangebot klingt neutral. Aber es birgt Zündstoff. Und so läuft es ab:
    "Also wenn sie mehreren Zentren gleichzeitig das Angebot geben. Und der als Erster zum Telefon greift und Eurotransplant meldet, der bekommt es."
    Der plötzliche Wettlauf um das Organ
    Eurotransplant ruft also mehrere Transplantationszentren an. Die Ärzte dort sollen schauen, ob sie einen passenden Empfänger haben. Wenn ja, rufen sie Eurotransplant möglichst schnell zurück, um das Organangebot anzunehmen. Vor dem Rückruf steht allerdings der Check der Organ-Daten: Alter des Spenders, Vorerkrankungen, Organwerte. Doch interne Protokolle belegen das Unglaubliche: Zwischen Anruf von Eurotransplant und Rückruf durch eine Klinik vergeht manchmal kaum mehr als eine Minute. Dabei umfasst die typische Datenliste eines Organs über 100 Posten und Werte, verteilt auf 5,6 Seiten. Hartmut Schmidt, Direktor der Klinik für Transplantationsmedizin in Münster, kritisiert dieses Verfahren. Es sei viel zu intransparent.
    "Ich persönlich würde schon manchmal gerne wissen wollen, gerade wenn es im Rahmen einer Verteilung kurzfristig über Telefonate entschieden wird, wie dieser Prozess zustande gekommen ist. Man kann durchaus, selbst wenn man innerhalb von weniger als 60 Sekunden reagiert, eine negative Rückmeldung bekommen, dass das Organ schon vergeben ist. Das wirft natürlich Fragen auf."
    Obwohl die Organe bereits von anderen Ärzten abgelehnt wurden, entbrennt im Telefonverfahren offenbar der Wettbewerb unter den Kliniken. Bei Eurotransplant weiß man um die zweifelhaften Turbo-Rückrufe. Undine Samuel:
    "Eurotransplant kann natürlich über die Sorgfalt, die in einem Zentrum zur Prüfung eines Angebots beiträgt, keine Aussage machen. Wir gehen davon aus, dass immer Sorgfalt waltet, wenn man ein Angebot annimmt."
    Die Vergabe im Wettbewerbsmodus war eigentlich als Ausnahme gedacht. Doch tatsächlich werden bis zu 40 Prozent der Lebern derzeit so verteilt. Eine Verfahrensänderung soll jetzt zwar bewirken, dass die Zahlen sinken, aber ob das gelingt, bleibt ungewiss. All das ist jedenfalls ein Grund, warum Transplantationsmediziner Schmidt daran zweifelt, dass Organe gerecht verteilt werden.
    "Das Problem besteht eigentlich darin, dass aufgrund der Strukturen, die wir derzeit haben, es zumindest nicht sehr transparent nachvollziehbar ist, inwieweit in einzelnen Details wirklich jeder auf einer Warteliste in den einzelnen Regionen die gleiche Chance hat, ein Organ zu bekommen."