Donnerstag, 25. April 2024

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Vergessen und verschlampt

Sie verstauben auf den Fluren, sie zerfallen in den Kellern, sie modern auf den Dachböden der Universitäts-Institute vor sich hin: die wissenschaftlichen Sammlungen der Hochschulen. Viele Kollektionen, die bereits im 19. Jahrhundert zu Forschungs- und Lehrzwecken angelegt worden sind, lösen sich nach und nach auf. Obwohl die Objekte häufig einen unschätzbaren historischen – und auch künstlerischen Wert besitzen. Doch nun soll sich alles ändern. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat jetzt ein Projekt zur Untersuchung dieser Bestände bewilligt, das Berliner Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik soll sich dieser vergessenen Uni-Sammlungen annehmen.

Von Jens P. Rosbach | 15.11.2004
    Wir sehen hier Arenicola marina, das ist ein Meeresborstenwurm, der auch als Wattwurm bekannt ist. Jeder, der schon mal an der Nordsee durch ein Watt bei Ebbe gelaufen ist, kennt diese spiraligen kleinen Häufchen, das ist der Kot von diesem Wurm, der in einer U-förmigen Röhre lebt und sich durch das Sediment frisst.

    Professor Gerhardt Scholz legt den Wurm vorsichtig in die Vitrine zurück. Um Himmelswillen, bloß nicht die vielen kleinen Borsten zerbrechen! Und nicht gegen die kleine Qualle stoßen, die daneben liegt, oder das kugelige Strahlenplankton! Die Meerestierchen sind nämlich schon 150 Jahre alt – und aus Glas.

    Glas war damals der Werkstoff, der damals die lebensnaheste Darstellungsweise ermöglicht hat und man muss sich auch vorstellen, dass die Leute im 19. Jahrhundert ja nicht so einen Zugang zu solchen Tieren hatten wie heutzutage. Es gab weder Fernreisen noch so viele Aquarien, noch die Möglichkeit irgendwelche Videos sich anzuschauen, sondern die Leute bekamen nur über dieses Medium Glas einen Eindruck von der Lebensgestalt dieser Organismen.

    Die filigranen Lehrmodelle stammen aus der Hand eines Dresdner Glasbläsers und gelten als echte Kunstwerke. Doch nur durch das Engagement des Biologen Scholz sind sie – und ein Dutzend weitere gläserne Unterrichtsobjekte - heute an der Berliner Humboldt-Uni zu bestaunen.

    Als ich hier meinen Dienst angetreten habe, war die Sammlung in einem schrecklichen Zustand. Und interessanter Weise hätte ich - ohne dass irgendein Hahn danach gekräht hätte - auch alles wegschmeißen können.

    Cornelia Weber ist die Chefin des Helmholtz-Zentrums für Kulturtechnik an der Humboldt-Universität. Die Forscherin recherchiert seit drei Jahren nach wissenschaftlichen Sammlungen in Deutschland. Wobei ihr die Uni-Leitungen überhaupt nicht helfen konnten.

    Das sind wirkliche Schätze, die wir in unseren Universitäten haben. Ich meine, dass man das wirklich zum Teil verkommen lässt, also ich versteh es auch ehrlich gesagt nicht.
    Und ich hab mich zunächst natürlich gewundert, aber dann ist mir natürlich klar geworden: die Universität selbst, also die Leitung, weiß es oft gar nicht. Oft sind die Sammlungen wirklich nur den einzelnen Institutsmitarbeitern bekannt, die sind nicht registriert, nicht inventarisiert und das heißt: die Universitätsleitung kann auch gar nichts davon wissen.


    Webers Alptraum: Sparmaßnahmen, Institutsauflösungen – und die wertvollen Kollektionen landen auf dem Müll. Robert Kochs Hygienemuseum etwa löste sich einst dadurch auf, dass die Sammlung mehrmals umzog und sich niemand dafür interessierte. Die Expertin spricht von einem riesigen Verlust für die Wissenschaftsgeschichte.

    Sammlungen sind ja vor allem dann entstanden, wenn eine neue Universität gegründet wurde, wenn eine neue Disziplin aufgebaut wurde oder eine neue Professur und von daher ist der Aufbau einer Sammlung sehr eng verbunden mit der Disziplinengeschichte.

    Das Helmholtz-Zentrum erstellt nun – mit Unterstützung der DFG – eine detaillierte Übersicht aller Hochschulsammlungen. Ein Anfang ist bereits gemacht – im Internet.

    Wir haben da ne kleine Datenbank aufgebaut mit den bekannten Universitäts-Sammlungen und Museen in Deutschland, das sind inzwischen 412 Sammlungen registriert und wann immer es einen Link gibt, können Sie eben die Universitätssammlung über den Link erreichen, über das Portal. Und das ist natürlich auch ne Chance, gerade für solche Sammlungen, die nicht öffentlich zugänglich sind. Da kann man eben ne Diashow oder eine virtuelle Tour anbieten. Also da tut sich sehr, sehr viel.

    Das Projekt sieht auch Konferenzen und Workshops für die "Sammelfreaks" der Universitäten vor. Ferner ist eine Vernetzung im Rahmen des europäischen Hochschul-Verbundes "Universeum" geplant - ein Verbund, der sich für einen freien Zugang zu den Kollektionen einsetzt. Die Gretchenfrage: Sind viele alte Uni-Sammlungen nicht besser in einem öffentlichen Museum aufgehoben? Biologe Scholz von der Humboldt-Uni etwa verleiht seine Wurm- und Quallen-Modelle aus dem 19. Jahrhundert durchaus für Ausstellungen, will sie ansonsten aber unbedingt im Institut behalten.

    Ja, auch heutzutage werden die Glasobjekte in der Lehre verwendet. Allerdings werden die nicht mehr in die Kursräume gebracht, weil es ja doch zu zerbrechlich ist das Material, sondern die Studierenden werden da zentral hingeführt. Und dann sind durchaus große Anteile der Studierenden davon sehr angetan und sagen: Das ist ja toll!