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Vergessene Hochwasseropfer

Wochenlang kannten Medien und Politiker im vergangenen Jahr kein anderes Thema als das Hochwasser an der Weichsel. Inzwischen interessiert sich niemand mehr für die damals verwüsteten Gebiete. Dabei sind die Schäden, die das Wasser anrichtete, noch längst nicht beseitigt.

Von Florian Kellermann | 02.03.2011
    Krzysztof Czajka ist in die Küche gekommen und probiert, ob das Kartoffelgratin gut schmeckt. Der 32-Jährige besitzt ein sogenanntes Hochzeitshaus - eine Art Restaurant, das nur für Familienfeiern geöffnet wird. Heute Abend wird der 18. Geburtstag eines jungen Mannes gefeiert. 400 Gäste fasst der Saal, auf den Krzysztof Czajka besonders stolz ist. Die Gesellschaft, die am Abend kommt, wird sich darin verlieren - nur 40 Personen. Trotzdem ist der Unternehmer froh über den Auftrag.

    "Letztes Jahr haben wir nur Verluste gemacht. Die Hochzeitsfeiern, die für den ganzen Sommer geplant waren, mussten wir absagen, wegen des Hochwassers. Deshalb haben wir auch für dieses Jahr kaum Bestellungen: Die Menschen haben Angst, dass das Wasser noch einmal kommt, und reservieren woanders. Ich habe mein Auto verkauft, damit wir das Hochzeitshaus wieder herrichten konnten und endlich wieder etwas verdienen."

    Der Staat unterstützt den Krzysztof Czajka zwar bei der Renovierung, für die entgangenen Einnahmen gibt es aber keine Entschädigung. Die Bank wollte ihm nicht einmal den Kredit aussetzen - weil die Regierung während des Hochwassers nicht den Notstand ausgerufen hatte. Für das Haus, in dem Krzysztof Czajka wohnte, blieb deshalb erst einmal kein Geld übrig, es ist immer noch nicht renoviert. Mit seiner Frau, den beiden Kindern und der Schwiegermutter wohnt er notdürftig im ersten Stock des Hochzeitshauses.

    Wie ihm geht es vielen Menschen im Dorf Wilkow. Die Folgen des Hochwassers vom vergangenen Jahr sind noch lange nicht überstanden. Zweimal kamen die Fluten der Weichsel hierher, wochenlang stand das Wasser bis zu drei Meter hoch.

    Spuren davon zeigt auch das Haus von Janina Kutyla. Die Außenmauern sind mit Plastikplanen verkleidet - für einen neuen Putz reicht das Geld nicht.

    Innen liegt immer noch ein modriger Geruch in der Luft, obwohl hier ist inzwischen fast alles neu ist. Die 62-jährige Witwe ist nach Monaten des Renovierens erschöpft.

    "Die ganze Kücheneinrichtung und auch alle anderen Möbel haben uns Verwandte und Bekannte geschenkt. Oder Bekannte von Bekannten. Vom Geld der Regierung durfte man nur die Wände und den Boden erneuern und einige wenige Möbel kaufen, ein Sofa zum Beispiel. Aber ich kann ja kaum mit meinen beiden Kindern, die noch bei mir wohnen, auf einem Sofa schlafen."

    Die Unterstützung der Regierung - im Fall von Janina Kutyla rund 25.000 Euro - ist längst verbraucht. Sie weiß nicht, wovon sie einen neuen Außenputz bezahlen soll. Von ihrer Rente jedenfalls nicht, denn sie beträgt umgerechnet 220 Euro im Monat. In normalen Wintern ernährt sich die Witwe von Kartoffeln, die sie im Garten anbaut. Aber das Hochwasser vernichtete die Ernte.

    Janina Kutyla ist verbittert - vor allem, weil sie dem Staat die Schuld an ihrem Unglück gibt.

    "Unser Dorf ist von Dämmen geschützt. Nur ein kleiner Abschnitt, zweieinhalb Kilometer vielleicht, war nicht fertig - und genau dort ist das Wasser durchgebrochen. Jetzt, heißt es, hätten sie den Damm dort verstärkt. Aber ich habe ihn mir angesehen - das ist immer noch nur ein Provisorium. Ich hoffe, die Katastrophe wiederholt sich nicht in diesem Sommer."

    Anderen Einwohnern von Wilkow ist das schon fast egal. Ein alter Hopfenbauer stapft müde durch die Pfützen auf seinem Hof, um den Hund zu füttern. Seinen Namen will er nicht nennen, mit resignierter Geste bittet er ins nur halb renovierte Haus.

    "57 Jahre habe ich gearbeitet - und nichts ist geblieben. In den renovierten Zimmern bildet sich Schimmel an den Wänden, weil sie nicht ausgetrocknet sind. Zu allem Unglück ist auch noch meine Hopfenmaschine kaputt gegangen, und natürlich ist die Ernte vernichtet. Ich habe nicht einmal genug Geld, um neues Saatgut zu kaufen. Innerhalb von einer Stunde hat mir das Wasser alles zerstört."

    Der Hopfenbauer sieht keine Zukunft für sich und für Wilkow. Auch die Rentnerin Janina Kutyla würde wegziehen, wenn sie könnte, wenn sie nur einen Käufer für ihr Haus fände. Der Unternehmer Krzysztof Czajka dagegen hofft noch, dass sich das Dorf wieder erholt und sein Hochzeitshaus Gewinn abwirft. Trotzdem denkt er darüber nach, vorübergehend im Ausland zu arbeiten - in Deutschland, um mit dem Geld sein Haus zu renovieren.