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Vergewaltigungsvorwurf gegen WikiLeaks-Gründer
Schwedens Justiz lässt Assange in London befragen

Seit mehr als vier Jahren hält sich WikiLeaks-Gründer Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London auf, um einer Auslieferung an Schweden zu entgehen. Heute soll er dort erstmals zu den Vergewaltigungsvorwürfen befragt werden - auch wenn die Schweden offiziell nicht von einem Verhör sprechen.

Von Carsten Schmiester | 14.11.2016
    Wikileaks-Gründer Julian Assange spricht nach der Bekanntgabe des UNO-Gutachtens per Videoübertragung auf einer Pressekonferenz.
    Julian Assange spricht per Videoübertragung bei einer Pressekonferenz - Schweden zeigt nun ein zunehmendes Interesse an einer schnellen Lösung seines Falls. (dpa-Bildfunk / EPA / Will Oliver)
    Die Umstände der Befragung, die Schweden sprechen offiziell nicht von einem "Verhör", sind wie der Fall auch seltsam. Assange soll sich in der Botschaft vor einem ecuadorianischen Staatsanwalt zum Vorwurf der Vergewaltigung äußern, den die schwedischen Ermittler ihm gegenüber erhoben haben. Die zuständige schwedische Staatsanwältin und ein schwedischer Polizist werden anwesend sein.
    Ein komplizierter Kompromiss. Ursprünglich hatte Schweden nämlich die Auslieferung von Assange gefordert, sich im Januar dann aber erstmals dazu bereit erklärt, den inzwischen 45-jährigen Australier in London zu befragen. Diese Befragung wurde beantragt, von Ecuador jedoch zunächst ablehnt. Auch ein erster Termin im Oktober wurde abgesagt. Heute also der Versuch, Klarheit zu schaffen.
    Assange hatte die Vorwürfe als politisch motiviert zurückgewiesen
    Gegen Assange liegt nach wie vor ein internationaler Haftbefehl wegen des Verdachts auf Vergewaltigung vor, weitere Vorwürfe wegen angeblicher sexueller Belästigung sind allerdings verjährt. Die Befragung sei von "entscheidender Bedeutung" für den weiteren Verlauf des Verfahrens, heißt es in der offiziellen Stellungnahme der Staatsanwaltschaft.
    Vom Ergebnis hänge ab, ob es überhaupt zu einer Anklage gegen Assange komme, der die Vorwürfe bereits als falsch und politisch motiviert zurückgewiesen hat. Er fürchtet, an die USA ausgeliefert und dort wegen der "Wikileaks"-Veröffentlichungen geheimer Dokumente zu einer hohen Haftstrafe verurteilt zu werden.
    Anwalt Assanges kritisiert späten Zeitpunkt der Befragung
    Thomas Olsson, Assanges Anwalt, kritisiert die geplante Befragung: Ein Verhör sechs Jahre nach Erhebung der Vorwürfe komme zu spät, die Vorermittlungen seien in der Zwischenzeit "irreparabel beschädigt". Und auch die aktuellen Sympathiebekundungen aus dem Umfeld des künftigen US-Präsidenten Trump dürften Olsson nicht weiter beeindrucken. "Wikileaks" hatte Tausende Emails von Hillary Clinton und ihrem Wahlkampfteam öffentlich gemacht und ihr damit offenbar erheblich geschadet. Im schwedischen Rundfunk hatte Assanges Anwalt zuvor aber erklärt:
    "Es ist doch ganz klar, dass es ein langes und ernstes Strafverfahren in den USA gegen ihn geben wird, wo seine angebliche Quelle schon 35 Jahre Gefängnis bekommen hat. Es geht gegen die leitenden Personen von 'Wikileaks'. Deshalb hat man ihm hier politisches Asyl gewährt."
    Vereinte Nationen bewerten Botschaftsexil als "willkürliche Inhaftierung"
    Mit seiner "Flucht" in die Londoner Botschaft Ecuadors hatte sich Assange im Juni 2012 der drohenden Festnahme und Auslieferung an Schweden entzogen. Der Haftbefehl ist von ihm mehrfach angefochten und von der schwedischen Justiz immer wieder bestätigt worden. Auch, nachdem eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen das Botschaftsexil des 45-Jähriges im Februar als – Zitat – "willkürliche Inhaftierung" bewertet und Assange das Recht auf Freiheit und eine Entschädigung zugesprochen hatte. Seither hat der "Wikileaks"-Gründer Hoffnung:
    "Es gibt gute Leute in den britischen, schwedischen und amerikanischen Außenministerien, sogar im US-Militär. Auch ihnen und ihrer anhaltenden Unterstützung habe ich diesen Sieg zu verdanken."
    Es war ein Sieg, aber es war eben nicht das Ende des Botschaft-Asyls, wie sich schnell herausstellte. Vielleicht kommt das nach der heutigen Befragung. Schweden hat offenbar ein zunehmendes Interesse an einer schnellen Lösung des "Falls Assange" - etwa durch den Verzicht auf eine offizielle Anklage? Die Staatsanwaltschaft hier hat diese Möglichkeit im Vorfeld zumindest nicht ausgeschlossen.