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"Vergiß dieser Wangen so rosigen Glanz"

Oft sind die Texte von Mozarts italienischen Opern ins Deutsche übertragen worden. Und jede Epoche hat dabei dem Werk ihren Stempel aufdrücken wollen, wie Ragni M. Gschwend in ihrem Buch "Figaros flehn und flattern" nachweist. Gschwend hat sich eine Arie des Figaro vorgenommen, deren Seitenhiebe gegen das Militär nicht jeder Übersetzer wahr haben wollte.

Von Lerke von Saalfeld | 09.05.2006
    "Die Hochzeit des Figaro" - heute nicht musikalisch betrachtet, sondern "Mozart in den Fängen seiner Übersetzer". Ragni Maria Gschwend hat sich die kecke Arie des Figaro vorgenommen, die so genannte Militärarie, in der der Lakai das zukünftige Schicksal des aristokratischen Pagen Cherubino besingt. Es ist aus mit der galanten Koketterie, Cherubino wird als Strafe für seine Tändeleien zum Militär geschickt, wo ein rauerer Wind weht als am Hofe. Da Ponte hatte das italienische Libretto geschrieben, aber schon Ende des 18. Jahrhunderts erschienen allein sechs deutsche Übertragungen, darunter auch eine von Christian August Vulpius. Am bekanntesten aus dieser Zeit blieb die Übersetzung von Adolph von Knigge aus dem Jahre 1788. Ragni Maria Gschwend:

    " Was ich herausgefunden habe, dass die verschiedenen Übersetzer sich haben leiten lassen vom Zeitgeist, zum Beispiel Freiherr von Knigge, der das alles sehr ernst genommen hat, der die Arie pädagogisch übersetzt hat, gegen die Musik und auch nicht in einer geradezu wunderschönen Sprache."

    Dort vergiß leises Flehn, süßes Wimmern
    Da wo Lanzen und Schwerter nur flimmern,
    Sey dein Herz unter Leichen und Trümmern
    Nur voll Wärme für Ehre und Muth


    Mit Texttreue hat dieser Anfang der Arie wenig zu tun, denn es geht im Original zunächst um das flatterhafte Wesen des Cherubino, noch nicht um seine soldatische Zukunft. Und da, wo Figaro das Militär mit maliziöser Ironie besingt, kann Knigge nun gar nicht folgen. Wo es bei Da Ponte heißt "molto onor, poco contante" - viel Ehr, wenig Kleingeld - die Musik die Aussage bewusst wiederholt - da wird bei Knigge nur gehopst und gebückt:

    Mit der Flinte auf dem Rücken
    Springen bald und bald dich bücken.


    Die Arienbeispiele hat die Autorin auf eigene Initiative von dem Sänger Dominik Hosefelder und dem Pianisten Bernhard Benzikowski aufzeichnen lassen, dem Buch als CD beigelegt.

    " In der Romantik, der Franz Kugler, da hat man das Gefühl, er hat sich wirklich sehr Mühe gegeben, sowohl sprachlich als auch in bezug auf die Sangbarkeit. Aber er übersetzt es natürlich dann aus einem romantischen Geist heraus. Insofern ist dann auch vom Wortschatz her manches veraltet. "

    Nicht mehr schweifst du in zärtlichem Kummer,
    Nicht mehr läßt du die Cither ertönen,
    Unsern Schönen zu stören den Schlummer,
    Süßes Fäntchen nach Minnegebrauch


    Das süße Fäntchen nach Minnegebrauch, das versteht heute wirklich keiner mehr. Mozart hatte in einem Brief an seinen Vater geschrieben: "Bey einer Opera muss schlechterdings die Poesie der Musik gehorsame Tochter sein." Aber wenn es dann gar um eine Übersetzung geht, dann gehört noch mehr dazu: Neben den Vorgaben durch die Musik auch noch die inhaltliche Treue zum Original und die sprachliche Eleganz - ein dreifacher Salto, der kaum gelingen kann. Und noch ein Aspekt:

    " Es ist überhaupt so - auch in der Literatur -, dass die Übersetzungen, die Interpretation, schneller altern als das Original. Bei Mozart/Da Ponte ist es einfach so dieses wirkliche Zusammenfallen von Text und Musik, dass die beiden Teile eine Einheit bilden, was in keiner Übersetzung ganz der Fall sein kann; denn man kann eben nicht Wörter, die denselben Sinn haben wie im Original aber auch die gleiche Tonlage, dass dunkle Vokale auf dunkle Töne und helle auf helle kommen, und den gleichen Rhythmuns, und dass sich das noch reimt, das kann keine Übersetzung leisten. Jeder Übersetzer arbeitet eben mit seinem Sprachkleid, nach seinem Zeitgeist und jede Übersetzung ist subjektiv. "

    Es wurde weiter munter übersetzt, mal mehr, mal weniger subjektiv. Die deutsche Fassung des Arientextes, die sich schließlich im 20.Jahrhundert durchsetzte, stammt von Hermann Levi aus dem Jahr 1895. Levi hatte einen klugen Vorgänger. Eduard Devrient vom Dresdner Hoftheater, der einst Levi als Kapellmeister engagiert hatte. Levi übernahm die ersten vier Zeilen, dann dichtete er selbst weiter:

    Nun vergiß leises Flehn, süßes Kosen
    Und das Flattern von Rose zu Rosen;
    Du wirst nicht mehr die Herzen erobern
    Ein Adonis, ein kleiner Narziß.
    Nun vergiß diese prangenden Federn,
    Diese Blumen, die schimmernden Bänder,
    Diese Locken, die seid'nen Gewänder,
    Dieser Wangen so rosigen Glanz.


    Mit Levi war eine sangliche Fassung gefunden, die Bestand hatte und auch die Ironie des Originals zum Ausdruck brachte. Zwar bemühte sich noch der Dichter Karl Wolfskehl an einer weiteren Übersetzung; mit Schmackes übersetzte er vor allem die Gräuel des drohenden Militärlebens und dichtete auch noch "Wölfe, die in Schluchten wohnen" hinzu, aber seine Fassung kam nie auf die Bühne. In Schwierigkeiten gerieten allerdings die Nazis. Die Fassung eines Juden durfte nicht gespielt werden; eine eigens in Auftrag gegebene Fassung misslang.

    " Jede Bühne musste ja den Spielplan dem Propagandaministerium vorlegen, sprich Goebbels, und der Figaro konnte nicht aufgeführt werden, weil man keine genehmigte Übersetzung hatte bis 1939. Jedenfalls hat man dann, um dem abzuhelfen, den Leiter des Konservatoriums in Berlin beauftragt, den Professor Georg Schünemann, eine neue Textfassung zu erstellen, und er hat dann im Grunde die Levische Fassung etwas frisiert, revidiert, in Kleinigkeiten auch verbessert. Es handelt sich nur um kleine Korrekturen. Dann hat man ein ganz ausführliches langes Vorwort geschrieben, dass man auf den Urtext und die Quellen zurückgegangen sei und heraus kam dann die genehmigte, so genannte arische gleichgeschaltete Schünemann-Übersetzung, die im wesentlichen gar nichts Neues brachte, und damit waren alle zufrieden. "

    Nicht nur die Nazis hatten ihre Probleme. Die über zweihundertjährige Geschichte der verschiedenen Übersetzungs-Versionen liest sich wie eine Kulturgeschichte einerseits, aber wirft auch ein politisches Licht auf die jeweilige Zeit. In der Zeit der antinapoleanischen Befreiungskriege zum Beispiel war es unschicklich, über das Militär zu spotten. Aber auch heute gibt es manche Kuriosa. Um sich aus dem Dilemma holpriger oder allzu freier Übertragungen zu befreien gehen viele Bühnen dazu über, die italienische Originalfassung mit Übertiteln aufzuführen:

    " Ich habe in einer ganz modernen Inszenierung, wo in den Übertiteln dann auch 'Tschüß' und 'Hallo' und so was stand, aber plötzlich beschimpfen sich Susanna und Marzelline. Die Susanne sagt dann "hinfällige Sybille", steht da oben. Das kann man natürlich im Italienischen - "Sybilla dicrepita" - könnte man so übersetzen, aber in dem Fall hätte man dann eben schreiben müssen "alte Schachtel" oder irgend so was. "

    Mozart in den Fängen seiner Übersetzer hat einiges zu erleiden. Mit Esprit und äußerst kenntnisreich beschreibt Ragni Maria Gschwend diesen gewunden Pfad der Annäherung an eine geniale Opernarie, kongenial in Musik und Text. Und so schreibt die Autorin in ihrem Ausklang, jedes Zeitalter, jede Generation hat sich ihren eigenen 'Figaro' geschaffen, aber das originale Meisterwerk - ein altes Reclam-Heft vor hundert Jahren zitierend - "wirkt noch heute in unverwelklicher Frische".

    Ragni M. Gschwend: Figaros flehn und flattern. Mozart in den Fängen seiner Übersetzer
    (Straelener Manuskripte)