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"Vergleiche mit der Vergangenheit hinken sehr schwer"

Die Arbeitslosenzahl ist unter die drei Millionen gesunken, das verkündete Arbeitsministerin Ursula von der Leyen gestern, heute stellte Arbeitsagentur-Chef Frank-Jürgen Weise die gesamten Details vor.

Gustav Adolf Horn im Gespräch mit Gerd Breker | 28.10.2010
    Gustav Adolf Horn, Leiter des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung, ordnet die Arbeitsmarktdaten ein und fordert eine Stärkung der Binnennachfrage, um den Aufschwung zu stabilisieren.

    Gerd Breker: Am Telefon bin ich nun verbunden mit Gustav Adolf Horn. Er ist Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung. Guten Tag, Herr Horn.

    Gustav Adolf Horn: Guten Tag!

    Breker: Kaum sinken die Arbeitslosenzahlen unter drei Millionen, da geistert auch schon die Vollbeschäftigung durch den politischen Raum. Vollbeschäftigung in Deutschland – ein Wunschtraum, oder aus Ihrer Sicht ein realistisches Ziel?

    Horn: Ich würde sagen, ein Traum. Es ist ein Ziel, das man erreichen kann, aber der Weg dorthin ist noch sehr weit. Wir haben immerhin noch drei Millionen Arbeitslose und wir bräuchten ein deutliches Wachstum noch, um tatsächlich die Zahl der Arbeitslosen sagen wir mal unter eine Million zu bringen. Das wäre dann die Marke, ab der ich dann so allmählich anfange, über Vollbeschäftigung zu reden. Dieser Weg ist sicherlich noch weit. Man darf davon träumen, dass man ihn zurücklegen kann, aber realistisch ist er noch nicht.

    Breker: Wem oder was verdanken wir eigentlich diese Entwicklung? Ist die Kurzarbeit der Heilsbringer gewesen? War das die Lösung?

    Horn: Es sind mehrere Entwicklungen. Erstens würde ich sagen, tatsächlich die adäquate Krisenreaktion der Großen Koalition. Das betrifft die Konjunkturprogramme, die aufgelegt wurden, in Deutschland, aber auch im Ausland. Insofern muss man denen auch Kredit schulden. Es betrifft auch die Kurzarbeiterregelung, die hier tatsächlich gewirkt hat. Nicht zu vergessen sind aber auch die Arbeitsmarktreformen von unten, wie ich sie nenne. Das sind jene Reformen, die die Flexibilität in den Betrieben erhöht hat, und man hat ja dort auch auf Betriebsebene über Reduzierung der Arbeitszeit die Menschen in Beschäftigung gehalten. Das hat sich sehr bewährt in dieser Phase.

    Breker: Wenn wir einen genaueren Blick auf die Zahlen der Statistik werfen, unter drei Millionen Arbeitslose, da sind eine ganze Reihe von Menschen aber nicht erfasst, die ebenfalls keine Arbeit haben.

    Horn: Ja. Wenn man schon diese Zahl so symbolisch nimmt, dann sollte man sie natürlich auch richtig interpretieren. Insbesondere Vergleiche mit der Vergangenheit hinken sehr schwer. Es sind in den letzten Jahren herausgerechnet worden alle Menschen, die über private Arbeitsvermittler vermittelt werden, es sind Ein-Euro-Jobber draußen, die Statistik ist sehr stark nach unten gedrückt worden und man kann seriöse Berechnungen anstellen, die sagen, wenn man alles wieder mit einbezieht, würde man eher noch bei vier Millionen Arbeitslosen liegen als bei unter drei.
    Hinzu kommt, dass der Rückgang, den wir hier in der Arbeitslosigkeit gesehen haben, doch sehr stark auch saisonalen Effekten zu danken ist, die im Moment noch positiv wirken. Schaut man auch sich diese Bereinigung an, lägen wir auch noch über der Drei-Millionen-Grenze.

    Breker: Auch bei denjenigen, die nun Arbeit haben, zeigt sich ein differenziertes Bild. Es sind unterschiedliche Formen von Arbeit. Die Zeitarbeit und Leiharbeit, die haben zugenommen.

    Horn: Das ist richtig. Die Unternehmen scheuen noch davor zurück, feste Arbeitsverträge zu geben. Sie versuchen immer noch, flexible Arbeitsverträge zu machen, Menschen jetzt zu beschäftigen, die sie relativ schnell wieder los werden können. Das heißt, die Qualität der Beschäftigungsverhältnisse, die wir sehen, ist noch deutlich zu niedrig, also auch da gibt es noch einiges zu tun.

    Breker: Das sogenannte Job-Wunder, Sie haben es eben angedeutet, verdanken wir auch den Konjunkturprogrammen der anderen, verdanken wir unserem Export. Wie gesichert ist denn die Konjunkturbelebung in Deutschland? Was ist, wenn die Risiken greifen mit Blick auf USA oder die Immobilienblase in China?

    Horn: Die entscheidende Herausforderung für die Wirtschaftspolitik ist im Moment, dass wir diese kräftige Erholung - ich nenne es Erholung, noch nicht Aufschwung, weil wir das Vorkrisen-Produktionsniveau noch nicht erreicht haben -, dass wir diese Erholung in einen selbsttragenden Aufschwung überführen. Die Gefahr, die an diesem Wegesrand liegt, ist die, dass in vielen Ländern Europas im Moment mächtig auf die Bremse getreten wird, sodass nicht gesichert ist, dass unsere Exporte weiterhin sehr gut laufen werden. Das gilt auch für außereuropäische Länder wie die USA, wo die Lage alles andere als erfreulich ist im Moment. Zudem können die USA sich einfach auch nicht mehr leisten, in Zukunft so viel auf den Weltmärkten zu kaufen, wie sie dies in der Vergangenheit getan haben. Da fällt also ein sehr potenter Nachfrager aus aus der Vergangenheit. Das weckt Zweifel, ob dieser Aufschwung mit der Dynamik sich fortsetzen wird, und da muss man eben sehr vorsichtig sein.

    Breker: Um diesen Aufschwung selbsttragend werden zu lassen, was muss da geschehen, der Binnenmarkt gefördert werden?

    Horn: Das wäre die sicherste Strategie. Wir können uns einfach nicht darauf verlassen, dass es im Ausland so gut weitergeht wie bisher. Und in diese Strategie gehören dann auch wieder Lohnzuwächse hinein, die den Produktivitätszuwächsen entsprechen, also dem Zuwachs an Leistungsfähigkeit der Wirtschaft. Hier wird ja von allen Seiten dies auch nun gefordert, aber der Weg zur Umsetzung ist auch da noch weit. Tarifverträge haben eine relativ lange Geltungsdauer. Aber das wäre in der Tat der richtige Weg, dass wir jetzt mehr für die Binnennachfrage tun und damit unsere Wirtschaft voranbringen.

    Breker: Lässt sich da schon eine Zahl nennen? Wie hoch war der Produktionszuwachs?

    Horn: Wir erwarten jetzt für nächstes Jahr einen Produktionszuwachs von knapp zwei Prozent. Da ist aber noch viel Tempo von diesem Jahr drin. Idealeriter würden die Löhne oder die Lohnabschlüsse in Richtung drei Prozent gehen. Dann würden tatsächlich die Einkommen der Beschäftigten steigen und sie würden ein Großteil dieses Einkommens auch wieder ausgeben und davon würde die Wirtschaft profitieren.

    Breker: Gehen wir noch einmal auf den Arbeitsmarkt. Welche Rolle spielt da eigentlich der demografische Wandel?

    Horn: Wir erleben gerade einen sehr interessanten Wandel in der öffentlichen Debatte. Bisher wurde die Demografie als eine Bedrohung empfunden, die unsere Gesellschaft sehr stark schädigt. Mittlerweile wird der demografische Wandel eher als Segen interpretiert, denn es ist ja auch richtig. Wenn wir weiterhin so eine hohe Produktion haben, dann sorgt der demografische Wandel, nämlich die Abnahme derjenigen, die Arbeit suchen, dafür, dass die Zahl der Arbeitslosen gleichsam automatisch sinkt. Man kann es als Rückenwind auf dem Arbeitsmarkt verstehen. Aber auch einen Rückenwind muss man erst mal ausnutzen.

    Breker: Der berüchtigte Facharbeitermangel, wie wirkt der sich aus?

    Horn: Nun, das ist eigentlich eher eine Diskussion der Zukunft. Im Moment wirkt er sich noch gar nicht sehr stark aus. Es ist für die Unternehmen vielleicht nicht mehr so leicht, Facharbeiter zu finden, wie vorher und insbesondere nicht so leicht, zu den geltenden Löhnen sie zu finden. Was wir aber in der Zukunft machen müssen in der Tat ist, sämtliche Reserven des gegenwärtigen Arbeitsmarktes zu mobilisieren. Das heißt, es müssen junge Menschen relativ schnell auf den Arbeitsmarkt kommen, es müssen ältere Menschen länger darauf bleiben, es müssen auch Menschen von außen dazu kommen und wir müssen unsere Menschen, die hier sind, besser ausbilden, sodass sie besser noch auf den Arbeitsmarkt passen. Das heißt, Mobilisierung aller Reserven für den Arbeitsmarkt ist das erste Thema, Zuwanderung das Zweite. Nur mit Zuwanderung würden wir allerdings die Probleme nicht lösen.