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Verhältnis zur Türkei
Von Normalität noch weit entfernt

Erstmals seit Monaten haben Abgeordnete des Bundestags wieder die im türkischen Incirlik stationierten deutschen Soldaten besucht. Aber beendet die Reise tatsächlich die Eiszeit zwischen den Regierungen beider Länder? Aus Ankara war vor allem Empörung in einer anderen Sache zu vernehmen.

05.10.2016
    Eine große Türkeifahne hängt am Gelände des Parlamentes in Ankara.
    Die Türkeifahne neben einem Atatürk-Denkmal am Parlament in Ankara: Gehisst für den Besuch aus Deutschland (picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
    Ausgerechnet Böhmermann! Keine Ermittlungen mehr gegen den TV-Satiriker - als sich diese Pressemitteilung der Mainzer Staatsanwaltschaft verbreitet, landen gerade die sieben Abgeordnete des Bundestags in Ankara. Sie sind gekommen, um die Wogen zu glätten. Nach den Streitigkeiten über Incirlik und die Armenien-Resolution. Wegen der Entscheidung des deutschen Parlaments (von Völkermord im Zusammenhang mit den hundertausendfachen Morden im Osmanischen Reich zu sprechen) hatte die türkische Regierung den deutschen Politikern in den vergangenen Monaten eine Reise zu dem Luftwaffenstützpunkt der Nato verwehrt.
    Am Dienstagabend kamen die deutschen Verteidigungsexperten dann zunächst mit türkischen Kollegen zusammen. Nach erster "Gespanntheit" habe sich die Atmosphäre "deutlich gelockert", sagte der CSU-Vertreter Florian Hahn anschließend im Deutschlandfunk. In dem zweistündigen Gespräch seien "alle Themen besprochen worden".
    "Das Gespräch war so gut, dass wir sehr zufrieden sind, dass wir das Eis gebrochen haben", so schilderte Delegationsleiter Karl Lamers (CDU) seine Eindrücke des Abends. Ähnlich äußerte sich Rainer Arnold: Er habe den "Eindruck, dass wir ein bisschen helfen konnten, dass die Eiszeit, die ein bisschen geherrscht hat, beendet ist und wir jetzt darauf setzen können, dass in allen Bereichen nicht nur im Bereich der Verteidigungspolitik wieder Routine unter Partnern einkehrt", sagte der SPD-Politiker.
    Türkische Regierung will nicht mit Abgeordneten sprechen
    Zu dieser Routine gehöre auch, dass man kritische Themen gegenseitig vortragen kann. Und genau das tat Arnold dann auch gleich - in die eigene Richtung: Nach dem Besuch in Incirlik am zweiten Tag der Türkei-Reise kritisierte der Verteidigungsexperte den Zustand der Bundeswehrunterkünfte als "nicht mehr angemessen" für die Soldaten. Die Zusammenarbeit der Bundeswehrsoldaten mit den Soldaten der anderen stationierten Länder sei aber "gut", das gelte ausdrücklich auch für die türkischen Kollegen.
    Aber trifft das auch für die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Ankara zu? Zum von der deutschen Delegation erhofften Treffen am zweiten Reisetag mit Vertretern der türkischen Regierung kam es nicht - und auch nicht zu einer Begründung.
    AKP spricht von "Skandal" in Sachen Böhmermann
    Dafür war diese Schelte aus der türkischen Hauptstadt in Richtung Deutschland zu vernehmen: Bei der Entscheidung, das Verfahren gegen Jan Böhmermann einzustellen, handele es sich um einen "Skandal", schimpfte der Vorsitzende des Menschenrechtsausschuss des türkischen Parlaments, Mustafa Yeneroglu von der Regierungspartei AKP. Offenbar habe sich die Staatsanwaltschaft von der allgemeinen Stimmung gegen den türkischen Präsidenten mitreißen lassen und dabei jegliches Gespür für die juristische Rechtsanwendung verloren. Erdogan selbst hat inzwischen Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt.
    Böhmermann selbst nahm heute in einer Videobotschaft Stellung "zur Sache": Er freue sich, "dass die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss gekommen ist, dass ich - verkürzt gesagt - ein unseriöser Quatschvogel ist, der beruflich Blödsinn macht". Der Moderator kritisierte, "wenn ein Witz eine Staatskrise auslöst, ist das kein Problem des Witzes, sondern des Staates". In der Türkei säßen Menschen in Haft, "ohne Chance auf einen fairen Prozess" oder verlören ihren Job, "weil sie sich kritisch mit ihrem Land auseinander gesetzt haben", erinnerte Böhmermann.
    Die Bundesregierung mochte den Streit um die TV-Satire nicht mehr kommentieren. "Es ist alles gesagt", erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert. Und auch die Worte von Oppositionsvertretern lassen erahnen, dass das deutsch-türkische Verhältnis von Normalität noch weit entfernt ist: Grünen-Chef Cem Özdemir bezeichnete den Incirlik-Besuch gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland als "leisen Triumph der Demokratie". Der außenpolitischer Sprecher der Linken, Jan van Aken, bezeichnete die Visite dagegen im Sender Phoenix als Ergebnis einer "knallharten Erpressung" der türkischen Regierung.
    (bor/tzi)