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''Verhältnismäßig marginale Steigerung''

Bahntechnik. - Am Freitag wird der sogenannte Stresstest für den geplanten Stuttgarter Hauptbahnhof öffentlich vorgestellt und diskutiert. Schon einmal einen genaueren Blick in die Unterlagen hat der Wissenschaftsjournalist Sönke Gäthke geworfen. Im Gespräch mit Monika Seynsche bewertet er das Urteil über "Stuttgart 21".

Sönke Gäthke im Gespräch mit Monika Seynsche | 28.07.2011
    Seynsche: Herr Gäthke, was ist denn herausgekommen bei diesen Stresstest?

    Gäthke: Also es ist rausgekommen, dass es im Prinzip geht, was nach den Schlichtungsgesprächen gefordert wurde: nämlich 49 Züge zur Spitzenverkehrszeit auf diesen acht Gleisen im geplanten Bahnhof Stuttgart 21 durchzuführen. Aber es ist auch durchgekommen, dass der Stresstests selbst, den die DB erarbeitet hat, nicht ganz ohne Kritik ist unter Experten, sage ich mal. Es ist ja so gewesen: die DB hatte sich bereit erklärt, einmal durchrechnen zu lassen, ob das überhaupt geht, 30 Prozent mehr Züge zu fahren als heute gefahren werden. Dafür hat man sich erst einmal die gesamte Infrastruktur genommen, man hat die Gleise genommen, Signale, alles einprogrammiert und hat einen Fahrplan simuliert, Züge simuliert - wie eine virtuelle Eisenbahn. Und dann hat man das ganze 100 Mal durchlaufen lassen mit möglichen Fehlern drin und hat geguckt: Läuft das Ganze stabil, oder ist irgendwo eine Situation, dass sich dann eben Verspätungen aufschaukeln. Ergebnis: Gibt es nicht. Aber, dieser ganze Bericht, den die DB abgeliefert hat, an dem üben diese Verkehrsexperten aus der Schweiz, von dem Büro SMA, erhebliche Kritik. Sie sagen, dieser Bericht sei nicht selbsterklärend, er weise inhaltliche Mängel auf und biete keine vollständige Dokumentation der durchgeführten Arbeiten. Außerdem, so die weitere Kritik, wurden diese Kriterien, nach denen ausgewertet wurde, gar nicht mit der SM A abgestimmt. Insgesamt allerdings bleiben auch die Schweizer dabei: das Ergebnis stimme, man könne tatsächlich diese 49 Züge in Stuttgart abfertigen.

    Seynsche: Das klingt aber etwas widersinnig: Das Ergebnis ist korrekt, aber das Verfahren nicht?

    Gäthke: Es klingt etwas widersinnig, aber die Schweizer haben selber einige Ergänzungen gefordert. Sie haben also... Sie haben also jedes Element noch einmal durchgeguckt von diesem Stresstests, und haben gesagt: Hier müsst Ihr dieses ändern, hier müsst Ihr das ändern, hier müsst Ihr jenes ändern. Dann wurde das ganze noch einmal durchgerechnet und das Ergebnis, das dann dabei herausgekommen ist, zeigte zwar ein leicht schlechteres Ergebnis als das von der DB, nämlich dass es schon auf dem Zulauf und auf dem Ablauf vom Bahnhof, zum Bahnhof hin und vom Bahnhof wieder weg, Verspätungen gibt, aber dass im Bahnhof selber Verspätungen abgebaut werden können. Und damit gilt es als stabil, damit gilt die Grundtendenz eben auch als richtig.

    Seynsche: Das heißt, die Befürworter von Stuttgart 21 können sich jetzt freuen?

    Gäthke: Die Befürworter können sich freuen, aber ich sehe... offensichtlich... nicht ganz zu Recht. Also eher ja und nein. Es ist schon interessant nämlich zu sehen, was dieser Test nicht gebracht hat. Man hat jetzt nicht geguckt, ob die Fahrpläne tatsächlich auch stabil laufen können, überhaupt. Das ist mit so einem Test überhaupt nicht möglich. Es ist auch gar nicht kontrolliert werden, was es eigentlich bedeutet, die besondere geographische Lage dieses Bahnhofs, der nämlich eine sehr, sehr hohe Neigung hat. Eine Neigung von 15 Promille klingt wenig, ist aber sechsmal schräger als ein Bahnhof eigentlich gebaut werden soll. Normalerweise sollen solche Bahnhöfe gar nicht gebaut werden. Das ist nur mit erheblichen Ausnahmegenehmigungen möglich. Und was für sicherheitstechnische Auflagen noch möglich sind, zum Beispiel automatisch Feststellbremsen, wurde überhaupt nicht da erwähnt. Und ob es sinnvoll ist überhaupt diesen Bahnhof zu bauen, das kann man daraus auch nicht ablesen, aus diesem Stresstests.

    Seynsche: Aber Sie haben doch gesagt, dass 30 Prozent mehr Züge gefahren werden können. Das klingt da schon sehr sinnvoll!

    Gäthke: Das klingt sehr sinnvoll, wenn man das bezieht auf die Fahrten, die heute im Kopfbahnhof gefahren werden. Nur, es wurde überhaupt nicht der Kopfbahnhof durchgerechnet. Es wurde eine Zahl für den geplanten Tiefbahnhof durchgerechnet. Tatsächlich ist es aber so, dass der Kopfbahnhof früher auch schon einmal 47 Züge hat abwickeln können. Das war im Fahrplan 1970 so. Da fuhren zu Spitzenzeiten 47 Züge. Das waren zwei weniger als die geforderten 49 Züge. Das ist es kein großer Unterschied mehr. Und dafür jetzt 4 Milliarden Euro mehr auszugeben oder überhaupt nur auszugeben, um eine verhältnismäßig marginale Steigerung hinzubekommen, das kann man hinterfragen.

    Seynsche: Das heißt, Ihre Einschätzung fällt nicht positiv aus, entnehme ich Ihren Worten?

    Gäthke: Nein. Ich würde denken, das Geld, das wir da rein geben, das fehlt an wesentlichen anderen Projekten, die wir eigentlich dringend bräuchten, um die Kapazität des Schienennetzes erheblich, erheblich zu steigern.