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Verkehrskonzepte
Ohne Stau und Stress

Auf der Fachmesse ConCarExpo dreht sich alles um vernetzte Fahrzeuge und Mobilitätssysteme der Zukunft. Beim Konzept "Kollaboratives Routing" geht es darum, für die Gemeinschaft der Autofahrer die besten Routen zu finden. Das ist anders als bei herkömmlichen Navis, die nur für den einzelnen Verkehrsteilnehmer die schnellste Route suchen.

Von Michael Gessat | 02.07.2016
    Ein Navigationsgerät
    Herkömmliche Navigationsgeräte verfolgen die egoistische Strategie: Autofahrer sind Einzelkämpfer, von denen jeder so schnell wie möglich ans Ziel will (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    Wer als Besucher der ConCarExpo mit der Rolltreppe hinauffuhr zur Messehalle, bekam als erstes zu sehen: einen Tesla. Die prominente Platzierung passt zur klaren Vorreiterrolle des US-amerikanischen Start-up-Unternehmens, das nicht nur mit seinem elektrischen Antriebskonzept den klassischen Automobilherstellern vorangeprescht ist, sondern auch mit seinem Fahrassistenzsystem.
    Tesla selbst bewirbt das System als "Autopilot" und wie zahlreiche Videos im Internet zeigen, nehmen manche stolzen Besitzer des High-Tech-Gefährts das offenbar allzu wörtlich, wo sie doch nach wie vor die Hände am Lenkrad und die Füße über den Pedalen lassen sollten.
    Aber der Weg zum vollautonomen Fahrzeug ist nicht mehr weit, und das liegt nicht zuletzt an der vor ein paar Jahren noch undenkbaren Rechenkraft auf kleinstem Raum, die Ingenieure nun in die Autos hineinpacken können.
    Nvidia setzt auf "Deep Learning"
    "Wir haben einen Supercomputer für das Auto entwickelt, den "Drive PX” Der hat die Rechenkraft von 150 Macbook Pros, also wirklich ein Supercomputer. Und der kann dann in Echtzeit die Umgebung rund um das Auto interpretieren. Da kommen also die Sensordaten von Kameras, Radar, Lasern in den Supercomputer, und wir können verstehen, was passiert – in Echtzeit."
    Danny Shapiro ist der Leiter der "Automotive”-Sparte beim Grafikprozessorhersteller Nvidia. Bei der Programmierung setzt Nvidia auf "Deep Learning" und neuronale Netze. Trainiert werden die mit Sensordaten aus aufgezeichneten Fahrten mit menschlichen Fahrern – mit vorbildlichen Fahrern, wie Shapiro betont:
    "Wir wollen natürlich auch sicherstellen, dass das System mit außergewöhnlichen Ereignissen klarkommt. Dazu nutzen wir Simulationen, computergenerierte Bilder ähnlich wie in Videospielen oder Filmen und können also Szenarien entwerfen, in denen Gefahren drohen. Wir sind also auch im Simulator Millionen Meilen gefahren und haben das System damit trainiert, Gefahrensituation zu erkennen und angemessen mit ihnen umgehen zu können."
    Unfehlbar wären autonome Steuerungssysteme gewiss nicht, aber ihr Einsatz würde das Fahren insgesamt sicherer machen, davon ist Shapiro überzeugt - die allermeisten Unfälle passierten nun einmal durch menschliche Fehler oder Unzulänglichkeiten.
    Kollaboratives Routing: Was ist für alle die beste Entscheidung?
    Die sind übrigens auch verantwortlich für den alltäglichen Stau-Wahnsinn, so die These des Software-Start-ups Graphmasters aus Hannover. Denn momentan seien alle Autofahrer als Einzelkämpfer unterwegs – jeder wolle so schnell wie möglich am Ziel sein. Und auch die herkömmlichen Navigationsgeräte verfolgen diese egoistische Strategie, kritisiert Entwickler Karsten Klompmaker:
    "Die kriegen zwar die Verkehrsmeldungen zugepusht, aber entscheiden dann für sich, was ist für mich jetzt die beste Entscheidung. Was wir halt haben, wir haben ein zentrales System, und wir entscheiden, was ist für alle die beste Entscheidung."
    Die beruht wie bei der Konkurrenz auf möglichst umfassenden Echtzeit-Verkehrsdaten – die App "Nunav" schickt aber eine gewisse Anzahl von Autos von vornherein auf eine alternative Strecke, bevor auf der Hauptroute nichts mehr geht. Das setzt voraus, dass es solche Ausweichstrecken überhaupt gibt – im Zweifelsfall wären dies in Städten dann eben auch Wohngebiete. Und es bedeutet ganz klar: Einzelne Fahrer sind dann länger unterwegs – für das Gesamtwohl.
    Bei Patric Stieler, Abteilungsleiter im Amt für Verkehrsmanagement in Düsseldorf, rennt man mit so einem Konzept des "kollaborativen Routings" quasi offene Türen ein:
    "Wir unterstützen diese Strategien sehr stark, weil sie letztendlich den städtischen Interessen entgegenkommen, weil sie die Bevölkerung vor Emissionen schützen, weil sie der Effizienz der Verkehrsnetzausnutzung dienen."
    Das automatisch fahrende Fahrzeug als Ergänzung
    Noch sind die Hightech-Visionen von vernetzten und autonom agierenden Fahrzeugen weit weg vom Alltag des Straßenverkehrs. So sieht es Stieler. Das beginnt bei veralteten Navigationsgeräten mit statischem Routing, geht über veraltete Infrastruktur bei Ampeln und Verkehrsleitsystemen in den Kommunen bis hin zur puren Trägheit, die schon vorhandenen Verkehrsinformationen schlicht auch abzufragen und zu nutzen.
    Dass autonome Fahrzeuge schon bald für stress- und staufreie Straßenverhältnisse sorgen, das glaubt Verkehrsmanager Stieler nicht, solange die Menschen an ihrem individuellen Auto hingen:
    "Von daher stellt sich das automatisch fahrende Fahrzeug mehr oder minder in Ergänzung dar, um gegebenenfalls in Ergänzung zum öffentlichen Personennahverkehr Bedienungslücken auszugleichen und damit auch für diese Verkehrsart wieder attraktiver zu werden. Mit dem Ziel tatsächlich dann, die Menge der Fahrzeuge im Stadtverkehr zu verringern."