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Verkupplungsschiff
Auf dem Flirt-Dampfer zur Liebe des Lebens

An einem lauen Sommerabend ein Schiff auf der Ostsee besteigen und dabei eine neue Liebe finden, vielleicht sogar den Partner fürs Leben: Diesen Wunsch können sich Singles auf der "Heikendorf" erfüllen. Die Kieler Schlepp- und Fährgesellschaft lädt ein zur "Förde-Flirt-Fahrt" und hat guten Zulauf.

Von Johannes Kulms | 07.08.2017
    "Flirt ahoi"- Buttons in einem Korb
    Verkupplungshilfe: Wer jemanden kennenlernen will, bekommt eine Kennzeichnung (Deutschlandradio / Johannes Kulms)
    Reinhard Andreas fällt auf: Durch seine Kleidung, er trägt ein hellblaues Jacket, Einstecktuch und eine Sonnenbrille. Und weil er sich gerade aufregt, Darüber, dass er auf dem Schiff nicht seine eigene Musik spielen kann. Dabei hat sich der 72-Jährige extra noch für 200 Euro eine Lautsprecherbox gekauft. "Ich wollte hier einen drauf machen!", sagt Andreas. "Und was…?" "Aber es geht gar nicht, ist viel zu viel Lärm hier."
    Alle zwei Wochen wird geflirtet
    Andreas würde gerne jemanden kennenlernen an Bord der "Heikendorf", einer rund 30 Meter langen Fähre, die gerade durch die Ostsee pflügt. "Ich hab' immer Frauen gehabt, dicke Autos gefahren, Uhrentick habe ich. Ich hab' alles gehabt im Leben!" "Gehabt oder haben Sie immer noch?" "Nee, ich bin jetzt im Moment wieder Single."
    Knapp eine Stunde brauchen die Schiffe für die Fahrt vom Kieler Zentrum nach Laboe, wo das berühmte Ehrenmal steht. Die Fördefährlinie ist bei Touristen beliebt - für die Einheimischen stellt sie zunächst einmal ein wichtiges Nahverkehrsmittel dar.
    Das Fährtschiff "Heikendorf" in der Kieler Förde
    Alle zwei Wochen ist die "Heikendorf" kein gewöhnliches Fährschiff. (Deutschlandradio / Johannes Kulms)
    Von Ende Juni bis Ende August ist es anders: Alle zwei Wochen lädt am Freitagabend die Schlepp- und Fährgesellschaft Kiel ein zur "Förde-Flirt-Fahrt". Auf der Fähre wimmelt es dann von Menschen, die rosafarbene Buttons tragen. Verteilt werden sie von Jascha Paulsen.
    "Das sind Buttons, auf denen 'Flirt ahoi" draufsteht. Als Zeichen dafür dass sie 'willig' sind zu flirten. Dass sie Lust haben, neue Leute kennenzulernen, offen sind, auf Menschen zugehen und dadurch kommt das zustande."
    "Den Leuten helfen, in Gang zu kommen"
    Paulsen arbeitet als Webdesigner. Auf dem Schiff ist er ehrenamtlich unterwegs - sozusagen als gute Fee. "Ich helf' den Leuten etwas, in Gang zu kommen, vermittel', teil' Zettel aus und Telefonnummern aufschreiben, das allgemeine halt. Das heißt, wenn Fragen sind, bin ich immer da."
    Die "Heikendorf" hat inzwischen den Kieler Hafen verlassen, alle paar Minuten steuert das Schiff Anleger auf beiden Seiten der Förde an. Am Heck steht eine junge Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte. "Die Bayern gehen in Biergarten - und wir fahren Dampfer!"
    Gleich neun weitere Freundinnen hat sie im Schlepptau. Darunter auch Marleen. Eine Flirtfahrt mit der Fähre - das sei kein Anachronismus in Zeiten von Dating-Portalen und flinken Apps, findet die 34-Jährige.
    "Also, es ist einfach nett ins Gespräch zu kommen, man muss sich ja nicht 'ne Stunde unterhalten, weiß ich nicht, dass ist schon nett. Und auch das Gespräch mit jemanden Auge in Auge zu suchen, gerade ohne Netzwerke. Also, man kann auch nichts beschönigen und man merkt auch gleich, ob man auf einer Wellenlänge ist oder nicht."
    "Heute ist Frauenüberschuss hier!"
    Über eine steile Treppe geht es hinauf zum Oberdeck. Die Stimmung ist ausgelassen, wozu auch der reichlich fließende Alkohol beitragen dürfte. Dutzende Menschen stehen und sitzen hier unter freiem Himmel, mal vereinzelt, mal in kleinen Grüppchen. Hannah Kasten steht nahe des Schornsteins, zusammen mit zwei Freundinnen.
    "Ich mach' die Fahrt das zweite Mal, hab' die Fahrt schon mal vor 14 Tagen mitgemacht. Heute ist Frauenüberschuss hier!"
    Beim Kauf des Gruppentickets für die Fähre haben die Frauen Uwe Höver kennengelernt. Der lebt als gebürtiger Schwabe seit mehr als 35 Jahren in Norddeutschland. "Für Kiel ist das schon was besonderes. Überhaupt, je älter man wird, es ist schwer, Kontakte zu knüpfen."
    Zwei Frauen und ein Mann stehen an der Reeling des Schiffes und schauen aufs Meer.
    Partnersuche in ganz besonderer Atmosphäre. (Deutschlandradio / Johannes Kulms)
    In einer Kneipe oder einem Café hätte sie Höver nicht angesprochen, sagt Hannah Kasten. "Wenn er jetzt alleine am Tisch sitzen würde, würde ich ihn nicht ansprechen."
    "Das ist aber das Phänomen der Norddeutschen! Sie sind echt stur. Und meinetwegen da sind zehn Tische, neun davon sind besetzt, dann setzt der Norddeutsche sich an den zehnten Tisch, der nicht besetzt ist."
    Vollkommen gemischte Flirtgemeinde
    Vom Alter, von den Berufen und den Biografien her sei die Flirtgemeinde an Bord vollkommen gemischt, sagt "Kümmerer" Jascha Paulsen. Wie viele Paare sich hier schon gefunden haben, sei schwer zu sagen: " Man sieht natürlich schon, dass mal welche zusammen weggehen vom Boot . Aber alles andere kann ich persönlich nicht sagen, weil ich kein Feedback von den Menschen bekomme."
    Unklar ist damit auch, wie viele Menschen am Ende womöglich wieder enttäuscht von Bord gehen. So wie vielleicht auch José. Er ist der Ansicht: Viele Flirtende auf dem Schiff seien schon vergeben. "Alle, die schon einen Freund haben oder eine Freundin, die haben hier doch gar nichts zu suchen! Das ist doch hier ein Flirtboot und kein Fremdgehboot oder keine Ahnung…"
    Ein paar Meter weiter sitzt derweil eine Frau mit dunklen Haaren und einem etwas müden Gesicht. Aufgenommen werden will sie nicht. Sie sei Mutter, arbeite als Altenpflegerin und könne mit den Leuten hier nur wenig anfangen erzählt sie. Und dann kuschelt sie sich kurz an den großen Herren neben ihr, der mit seiner weißen Haar- und Bartpracht aussieht wie der Weihnachtsmann. "Du bist wirklich nett!" sagt sie. Der Sitzriese fühlt sich geschmeichelt, schiebt eine Visitenkarte rüber, die ihn als KfZ-Meister ausweist und meint: "Wir müssen mal essen gehen!"
    Zwei Mal läuft der Flirt-Dampfer in diesem Sommer noch aus: Am 11. und am 25.08, jeweils um 18:35 vom Anleger am Kieler Hauptbahnhof.