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"Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke deutlich über 15 Jahre"

Aus der CDU kommen unterschiedliche Stimmen zur Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken und zur finanziellen Belastung, die das für die Energiekonzerne bringen soll. Christean Wagner, CDU-Fraktionsvorsitzender in Hessen, dass die Atomkraft "eine ausdrückliche Energieform der Gegenwart" sei.

Christean Wagner im Gespräch mit Jasper Barenberg | 27.08.2010
    Jasper Barenberg: Von einer einheitlichen Position in der Energiepolitik scheint die Union immer noch weit entfernt, und das gilt auch für die Atomkraft. Mehr Klarheit versprechen wir uns jetzt vom Fraktionsvorsitzenden der CDU in Hessen. Einen schönen guten Morgen, Christean Wagner.

    Christean Wagner: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Die Atomkonzerne sollen für den Ausbau der Erneuerbaren zur Kasse gebeten werden. Aus Ihrer Sicht der richtige Weg?

    Wagner: Es gab ja eine ganz klare Koalitionsaussage, die besagte, die Laufzeit der Kernkraftwerke wird verlängert – erstens. Zweitens: Aus diesen hier hervorgehenden Gewinnen soll es Geld geben für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Ich bin der Auffassung, das hätte man bereits schon im letzten Jahr nach der Bundestagswahl und nach dem Abschluss der Koalition über die Bühne bringen können.

    Barenberg: Und soll das auch heißen, Herr Wagner, dass Investitionen, die die Konzerne selber tätigen im Bereich der Erneuerbaren, angerechnet werden auf diese Abgabe oder diesen Beitrag?

    Wagner: Das ist ein vernünftiges Denkmodell. Ich sage dabei ganz freimütig, die Vielzahl der unterschiedlichen Vorschläge in den letzten Wochen und Monaten trägt zu einer ausgesprochenen Unübersichtlichkeit in dieser gesamten Diskussion bei.

    Barenberg: Wo liegen die klaren Linien Ihrer Politik?

    Wagner: Meine klaren Vorstellungen wären, Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke deutlich über 15 Jahre, auf der Grundlage selbstverständlich eines Höchststandards von Sicherheit. Da sind unsere deutschen Kernkraftwerke aber international wettbewerbsfähig. Wir haben die Sicherheitsstandards immer selbst auch mitbestimmt und vorgegeben.
    Zweitens ist es jetzt unvernünftig, ganz konkrete Zahlen zu sagen, die ohnehin zusätzlich verwirren. Zusätzlich muss es einen sichtbaren Beitrag geben aus den zusätzlichen Gewinnen, der den erneuerbaren Energien und deren Ausbau zugeführt wird. Das wird sicherlich eine Milliarden-Summe sein, aber das darf auch alles nicht dann so begriffen sein, dass sich zum Schluss der Strom, der ja bekanntlicherweise bei der Produktion in Kernkraftwerken erheblich kostengünstiger ist, so verteuert, dass der normale Kunde, aber auch unsere Industrie ohne zusätzliche Lasten bleiben müssten.

    Barenberg: Sie sagen, der Atomstrom oder wenn man die Atomkraftwerke länger am Netz behält, dann wird der Strom billiger. Wie viel billiger wird er denn?

    Wagner: Nein. Ich habe gesagt, dass er verteuert werden kann, wenn man die Kernkraftwerke zu stark mit zusätzlichen Abgaben belastet. Es gibt zweifellos Gewinne in erheblichem Maße, was ja auch nichts Schlechtes ist. Das kommt der Sicherung der Arbeitsplätze und vielem anderen ja auch zugute. Aus diesen Gewinnen muss eine deutliche Zahl – ich werde mich jetzt hier nicht festlegen, weil unterschiedlichste Zahlen ja auch in der Öffentlichkeit herumschwirren -, ein erheblicher Betrag, der eine Milliarden-Höhe beinhaltet, dem Ausbau der erneuerbaren Energien zugeführt werden.

    Barenberg: Es sind die Berater der Bundesregierung, Herr Wagner, die längst nachgewiesen haben und in Gutachten belegt haben, dass eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten gar nicht nötig ist, um auf erneuerbare Energien umzustellen. Warum wollen Sie trotzdem daran festhalten?

    Wagner: Aus ganz einfachen Gründen, weil der Strom aus Kernkraftwerken auch im internationalen Vergleich, aber auch hier in Deutschland, erheblich kostengünstiger ist als alle anderen Stromquellen. Zweitens, weil die Erzeugung von Strom aus Kernkraftwerken CO2-frei ist, also umweltfreundlich ist. Und zum Dritten, weil wir bei der Erzeugung von Strom aus Kernkraftwerken erheblich weniger vom Ausland abhängig sind als zum Beispiel bei Gas und anderen Energieträgern.

    Barenberg: Die Bundeskanzlerin sagt, das Zeitalter der erneuerbaren Energien soll so schnell wie möglich erreicht werden. Sie widersprechen Angela Merkel also in diesem Punkt?

    Wagner: Ich bleibe ausdrücklich bei dem, was wir als Union immer gesagt haben. Wir wollen einen vernünftigen Energiemix und zu diesem Energiemix gehören sowohl die erneuerbaren Energien als auch die Kernkraftwerke und moderne, möglichst umweltfreundliche Kohlekraftwerke.

    Barenberg: Aber das heißt auch, Norbert Röttgen hat ja die Vorstellung, den Atomstrom möglichst zügig durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Das sehen Sie anders?

    Wagner: Das sehe ich völlig anders. Ich bin im hohen Maße überrascht, dass entgegen unseren jahrzehntelangen Feststellungen, aber auch entgegen der Feststellung im Koalitionsvertrag in Berlin, Herr Röttgen für einen möglichst schnellen Ausstieg aus der Kernenergie plädiert. Das kommt in die gefährliche Nähe dessen, was Herr Trittin als früherer Bundesumweltminister häufig gesagt hat. Ich glaube, beides gehört zusammen. Man darf nicht vergessen, dass die durchaus von uns angestrebten erneuerbaren Energien im Augenblick noch sehr teuer sind. Und es ist auch die Frage, ob man mit den erneuerbaren Energien vollständig den Energiebedarf in Deutschland abdecken kann.

    Barenberg: Das jedenfalls sagt das Umweltbundesamt, das sagt die Energieagentur, das sagt auch der Umweltsachverständigenrat der Regierung. Haben sie da unrecht?

    Wagner: Ich glaube, dass man hier ein Stückchen auch barrierefrei denken muss, was die Diskussion über die Kernenergie angeht. Das ist eine Frage der Vernunft, der Abwägung. Und ich frage mich: Was spricht gegen Kernkraftwerke, wenn weltweit im Augenblick 50 Kernkraftwerke im Bau sind? In den USA, in Schweden steigt man ein, in Italien steigt man ein, es sind weitere 50 geplant. Wir sind in diesem Bereich in Deutschland ganz offenbar der Geisterfahrer auf der Autobahn.

    Barenberg: Atomenergie also eine Energieform der Zukunft und nicht der Vergangenheit, wie sich derzeit abzeichnet?

    Wagner: Der Gegenwart, eine ausdrückliche Energieform der Gegenwart, mit einer überschaubaren Zukunft, bis kostengünstig und umweltfreundlich und vom Ausland unabhängig weitere Energiequellen hinzutreten. Dazu gehören ganz eindeutig auch die erneuerbaren Energien.

    Barenberg: Als Gegenargument wird ja immer wieder angeführt, Herr Wagner, dass ein Ausbau oder eine Verlängerung der Laufzeiten für die Atomkraftwerke auch dazu führt, dass der Ausbau alternativer Energieträger, auch durchaus konventioneller Energieträger dadurch blockiert wird.

    Wagner: Ja. Das halte ich ja nun wirklich für ein widersinniges Argument. Auch im Bereich der Erzeugung von Energien leben wir ja in einer sozialen Marktwirtschaft, in dem auch Wettbewerb gelten muss. Und diejenige Energieform, die besonders kostengünstig ist, die uns international wettbewerbsfähig erhält, die außerdem deshalb auch zum Erhalt von Arbeitsplätzen beiträgt, die muss, wenn sie den übrigen Anforderungen entspricht – ich sagte es ja bereits: umweltfreundlich, sicher und vom Ausland unabhängig -, ja auch dann ihre Chance haben.

    Barenberg: Sie haben gerade in einem Papier die Atomkraft als Beispiel dafür genannt, dass die CDU in den letzten Jahren an ihrem konservativen Profil verloren hat und sich an die Wähler der SPD und der Grünen angebiedert habe. Heißt das also auch, die Atomkraft sollte programmatisch ein neuer Schwerpunkt der CDU sein, auch in der Konsequenz, wie Sie sie hier darstellen?

    Wagner: Nein. Erstens ist das keine Frage von konservativ oder modern, überhaupt nicht. Ich glaube, das ist eine ideologiefreie Angelegenheit, über die richtige Energieform oder einen richtigen Energiemix zu diskutieren. Das hat nichts mit konservativ oder anderen Begriffen zu tun. Aber man muss klar und deutlich sagen, dass die Union aufgerufen ist, sich ihrer Stammwähler wieder stärker zu erinnern, insbesondere der wirtschaftsliberalen Wähler, die bei der letzten Bundestagswahl zur FDP rübergelaufen sind. Und der wertkonservativen Wähler, die zu den Nichtwählern rübergelaufen sind. Die CDU hat leider ein sehr schlechtes Ergebnis bei den letzten Bundestagswahlen erzielt und wir wollen wieder 40+X haben. Das heißt, wir müssen uns unserer Stammwählerschaft besser entsinnen. Man verliert schneller Stammwähler, als dass man neue Wähler im Bereich der SPD und Grünen dazugewinnt.

    Barenberg: Der Fraktionsvorsitzende der CDU in Hessen, Christean Wagner, heute Morgen im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Danke schön!