Donnerstag, 18. April 2024

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Verlag "Das Wunderhorn" feiert 40. Geburtstag
Unter dem Pflaster liegt die Poesie

Der Name sorgte anfangs für Irritation: Dem Erfolg von "Das Wunderhorn" hat es dennoch nicht geschadet. Seit 40 Jahren publiziert der Verlag vorwiegend Poesie und Lyrikbänder. In einer Zeit, in der es unabhängige Verlage schwer am Markt haben, beweisen die Wunderhorn-Verleger Mut zur Nische.

Von Ulrich Rüdenauer | 19.06.2018
    Wer nichts weiß über den Heidelberger Verlag "Das Wunderhorn", wer noch keines seiner Bücher in Händen hielt, dem seien die beiden Motti dieses seit 40 Jahren bestehenden Hauses ans Herz gelegt, um einen ersten Eindruck zu bekommen: "Die Poesie liegt auf der Straße", so lautet das eine. Und das andere: "Die Erneuerung der Literaturen kommt aus den Peripherien und nicht aus den Metropolen"
    Die Poesie liegt zuweilen tatsächlich auf der Straße. In Heidelberg tat sie das bereits im frühen 19. Jahrhundert. Da schalteten die beiden Dichterfreunde Achim von Arnim und Clemens Brentano Annoncen in den Zeitungen, um Volkslieder und Volkslyrik zu sammeln. 1805 erschien die erste Ausgabe von "Des Knaben Wunderhorn".
    Manfred Metzner:
    "In den 70er Jahren lag in der allerhintersten Ecke im Kurpfälzischen Museum, völlig verstaubt, die Erstausgabe von "Des Knaben Wunderhorn". Das war sozusagen das Symbol eigentlich, wie sich Heidelberg mit seiner eigenen literarischen Geschichte beschäftigt hat: verstaubt, versteckt, man hat damit nichts zu tun haben wollen, man wollte diese Stadt, das macht man ja zum Teil bis heute, unter diesem Tourismus-Romantik-Aspekt verkaufen nach draußen in die Welt.
    Und die Touristen herholen. Und da fanden wir das doch sehr subversiv, uns diesen Namen zu geben, weil ja auch – und das wollte man ja hier lange auch nicht wahrhaben –, dass eben Brentano und Arnim und das ganze Umfeld der Romantiker, das waren ja anfangs auch Sozialrevolutionäre, das waren eigentlich frühe Grüne zum Beispiel, die sind raus in die Natur, die haben Naturgedichte geschrieben, die fühlten sich wohl, die sind Wandern gegangen. Und und und…."
    Der Name irritierte zunächst
    Richtig gut angekommen ist der Name zunächst nicht, erinnert sich Manfred Metzner. Weder bei den Stadtoberen noch bei der dogmatischen Linken, die in den 70er Jahren das Universitätsstädtchen diskurstechnisch noch ziemlich im Griff hatte. Die damaligen Jurastudenten und Verleger in spe Manfred Metzner, Hans Thill und Angelika Andruchowicz rechneten sich eher der hedonistischen Linken zu: Es ging um emanzipatorische Bewegungen; Frauen- und Männergruppen wurden gegründet; so genannte Dritte-Welt-Läden entstanden; man las durchaus wieder schöne Literatur, und man blickte mit Neugierde und romantischer Sehnsucht auf die Nachbarländer und vor allem die vermeintlichen Ränder des üblicherweise Wahrgenommenen.
    "Und ich glaube, das was uns nach wie vor auszeichnet ist diese Offenheit, diese Öffnung in diese Welten der Literatur und Poesie hinein und auch der anderen kulturellen Bereiche. Das war ja auch ein Grund zu sagen, wir verlegen Bücher, wir verlegen wieder Poesie, wir verlegen wieder Literatur, das war ja nicht selbstverständlich nach den 68er Jahren, wo man ja die Literatur oder die Poesie mehr oder weniger bekämpft hat in der Studentenbewegung und nur dogmatische Texte Gültigkeit hatten. Und da waren wir immer dagegen."
    Am 17. Juli 1978 wurde der Verlag "Das Wunderhorn" von Angelika Andruchowicz, Manfred Metzner und Hans Thill offiziell gegründet. Die drei kannten sich vom Studium und von vielen kulturellen Projekten, die seinerzeit in Heidelberg blühten. Für Metzner sind die 70er das kreativste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts: Alternative Veranstaltungsorte und kommunale Kinos entstanden, Sponti-Zeitschriften wurden herausgegeben, und die verschiedenen Zentren des alternativen Aufbruchs standen miteinander in regem Kontakt und Austausch. Diese Verbindungen nutzten die drei jungen Verlagsgründer selbstverständlich für ihre ersten Programme.
    "Man war solidarisch. Also, das ist ja ein Wort, das heute so gut wie nicht mehr vorkommt."
    Es gab mehrere Gründungsimpulse: Nicht nur wollte man die Poesie von der Straße auflesen. Auch die politischen Auseinandersetzungen in den 70er Jahren, zumal die Beschäftigung mit der unrühmlichen Geschichte der Heidelberger Universität während des Dritten Reichs gab Anstöße für eigene Publikationen.
    "Die ersten beiden Bände, die wir ja damals 1978 verlegt haben, das waren zwei Lyrikbände. Der erste war von Michael Buselmeier, "Nichts soll sich ändern". Und der zweite von Jörg Burkhard, das war der erste linke Buchhändler in Deutschland damals, der 1966 schon in Heidelberg seinen linken Buchhandel eröffnet hatte, und dem sein Gedichtband hieß "In Gauguins alten Basketballschuhen". Und dann, um das noch zu ergänzen, erschien noch ein drittes Bändchen – das waren wirklich Bändchen – unter dem Titel "Wunsch und Revolution" von Félix Guattari. "Nichts soll sich ändern", "In Gauguins alten Basketballschuhen" und am Ende "Wunsch und Revolution" – das ist das ganze Projekt, und das besteht ja bis heute eigentlich."
    Erste Autoren waren Mutmacher für die Jungverleger
    Der erste Erfolg kam mit Jean Carrières "Der Sperber von Maheux" im Jahr 1980. Carrière hatte den Prix Goncourt gewonnen, als erster Autor aus der französischen Provinz. Und Manfred Metzner, der sich im Kampf für die okzitanische Unabhängigkeit engagiert hatte, kannte den südfranzösischen Autor aus diesem Kontext. Die nächste wichtige Wegmarke in der Verlagsgeschichte: Die Herausgabe des Werks von Philippe Soupault und später auch der Fotobände seiner Frau Ré Soupault. Metzner lernte den Surrealisten 1981 in Heidelberg kennen:
    "Ich hab mich dann dem Philippe Soupault vorgestellt und hab ihm das erläutert, dass es ja nichts auf Deutsch von ihm gäbe, und dann guckte er mich eben an und sagte: "Junger Mann, ich würde Ihnen das nicht raten, mein Verleger zu werden, weil alle meine deutschen Verleger haben Konkurs gemacht. Aber wenn Sie sich nicht abhalten lassen, kommen Sie, besuchen Sie uns nächste Woche in Paris." Und dann bin ich eben gleich nächste Woche nach Paris gefahren, und daraus entstand die Philippe Soupault-Werkausgabe."
    Bekanntlich hat Wunderhorn nicht Konkurs angemeldet. Im Gegenteil. Philippe und Ré Soupault, dann auch die Arbeiten des postkolonialistischen Denkers Édouard Glissant und des Islamtheoretikers Abdelwahab Meddeb waren nicht nur entscheidend für die Ausrichtung des Verlags. Diese Autoren waren außerdem Mutmacher für die Jungverleger:
    "Glissant oder auch Meddeb und die beiden Soupaults, die schätzten uns, die schätzten das, was wir taten, und die sind auch ja nicht zu anderen Verlagen gegangen, obwohl sie von ihrer Qualität, von ihrer Wichtigkeit her jederzeit bei großen Verlagen hätten natürlich dann publizieren können, nachdem wir sie bekannt gemacht haben. Und das war und ist, glaub ich, auch bis heute sozusagen, dass wir da mutig geblieben sind, weil die uns auch unterstützt haben. Die haben gesagt, Mensch, macht da weiter, ihr seid auf dem richtigen Weg. Macht das. Die Diskussion brauchen wir, die wir da über Euren Verlag jetzt führen können."
    Poesie bildet Schwerpunkt des Verlagsprogramm
    Mut braucht es auch, wenn ein Gutteil der Verlagsproduktion aus Lyrikbänden besteht – gerade für kleine Häuser ist das ein enormes ökonomisches Risiko. Vom ersten Verlagsprogramm an bis heute aber hat Wunderhorn an der Poesie festgehalten, etliche Reihen etabliert – "Poesie der Nachbarn" zusammen mit dem Künstlerhaus Edenkoben oder "Versschmuggel" mit dem Haus für Poesie in Berlin. Dabei geht es, wie die Titel bereits andeuten, um Austausch, um Übersetzungen, um Dialog. Daneben erscheinen immer wieder Einzelpublikationen von Dichtern aus der ganzen Welt.
    Die Reihe "AfrikAWunderhorn" stellt Erstlingsbücher afrikanischer Autoren vor, der Literatur des Maghreb widmet sich der Verlag ebenso wie Künstlereditionen, Sachbüchern oder Fotobänden. Neben vielfältigen internationalen Kooperationen bildet die Auseinandersetzung mit Heidelberg und der Region weiterhin einen Schwerpunkt.
    "Also, das sind durchaus alles Themen, wenn man die mosaikartig eben in der Schau sieht, dann ist eben das genauso, das eine hängt mit dem anderen zusammen. Und das war ja auch unter anderem Édouard Glissant, der diese rhizomatische Denkweise auch in die Philosophie – neben Félix Guattari – eingeführt hat, dieses rhizomatische Denken, dieses Wurzelgeflecht-Denken, alles hängt mit allem zusammen, und das hat eigentlich auf den Verlag über Glissant diesen großen inhaltlichen Hintergrund auch nochmal ganz stark auf diese Beine gestellt, weil wir, glaub ich, Menschen sind, die nicht mehr zentristisch denken und die absolut von diesem Eurozentrismus, der diese Kolonisierung der Welt hervorgebracht hat, gar nicht mehr infiziert sind, sondern wir denken rhizomatisch und führen einen anderen Diskurs. Und da gibt es noch wahnsinnig viel zu tun."
    Jubiläumsprogramm bildet Optimismus ab
    Die 90-er und 2.000-er Jahre waren für die meisten unabhängigen Verlage durchaus problematisch Die großen Buchhandlungsketten setzten auf Bestseller. Kleinere Häuser waren in den Läden kaum noch vertreten. Langsam scheint sich das durch das Erstarken unabhängiger Buchhandlungen wieder ein wenig zu ändern. Der Buchhandel ist für Metzner der entscheidende Ort – der Vermittlung, der Begegnung, des Austauschs. Insofern blickt der Verleger durchaus optimistisch auf die nächsten Jahre.
    Im Jubiläumsprogramm bildet sich der Optimismus ab, und auch die Geschichte des Verlags und die nicht nachlassende Neugier werden darin sichtbar. Das Jubiläumsplakat ziert eine großartige Fotografie von Klaus Leidorf, eine Luftaufnahme, die ein kleines Boot auf einem prächtig grünschimmernden See zeigt. Darüber ein Zitat von Philippe Soupault: "Die Welt ist groß und ihr werdet nie ankommen." Man wundert sich – der Wunderhorn Verlag soll nicht angekommen sein.
    "Ja, der Wunderhorn Verlag als Verlag ist sicherlich angekommen, aber wir als Verleger sind sicherlich noch nicht angekommen. Deswegen sind wir immer noch auf der Reise zu neuen Entdeckungen, zu neuen Autorinnen und Autoren, zu anderen Arten von Poesie auf dieser Welt."