Donnerstag, 25. April 2024

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Verleger Klaus Flügge
Wanderer zwischen den Welten

Das Leben des deutsch-britischen Verlegers Klaus Flügge könnte selbst ein Buch füllen: Geboren in Hamburg, aus der DDR geflohen, wanderte er 1959 in die USA aus und wurde später in England einer der renommiertesten Kinderbuchverleger. Auch mit 80 Jahren denkt er nicht ans Aufhören.

Von Nils Kahlefendt | 28.02.2015
    Uwe Schubert: "Das ist das Traditions-Kabinett, wo das gerettet wurde, oder Teile davon gerettet worden sind, was aus der alten..."
    Klaus Flügge: "Geh'n wir mal rein..."
    Uwe Schubert: "Hier zum Beispiel: Das sind die ehemaligen Direktoren der Buchhändler-Lehranstalt, also, das ist so die Ahnenreihe..."
    Leipzig, ein Sommertag im Herzen des ehemaligen "Grafischen Viertels". Für den Verleger Klaus Flügge, der sich vom stellvertretenden Schulleiter Uwe Schubert durch die Räume der Gutenbergschule führen lässt, ist es ein Wiedersehen der besonderen Art. Kurz vor seinem 80. Geburtstag besucht er die alte Buchstadt, in der er vor mehr als 60 Jahren die ersten Schritte in den Beruf nahm. Die Buchhändler-Lehranstalt, 1853 in Leipzig gegründet, war deutschlandweit die erste Ausbildungsstätte ihrer Art. Doch die Zeiten haben sich geändert: Heute werden im "Beruflichen Schulungszentrum der Stadt Leipzig" Medienkaufleute und -gestalter, aber nur noch wenige Buchhändler ausgebildet. Die Konkurrenz zum attraktiven Mediencampus Frankfurt ist groß.
    Schubert: "Von Tradition können wir nicht leben - also, das ist einfach so. Und wenn man die Verlage sich anschaut..."
    Flügge: "Aber die Tradition ist hier! Nicht in Frankfurt!" (lacht)
    Schubert: "Das stimmt. Aber es ist nun mal leider so..."
    Flügge: "Und die Facilities, also, die Einrichtungen - das ist alles hier..."
    Schubert: "Aber es wächst was nach. Und die kleinen neuen Verlage - das dauert noch, bis da große Umsätze entstehen. Aber da sind viele Ideen dahinter, wo ich denke: Das ist was, was sich durchsetzen wird."
    Flügge: "Hoffen Sie?"
    Schubert: "Ja. Bin ich optimistisch. Weil da viele tolle, junge Leute dahinter stehen, die sich interessieren. Die was bewegen. Und ich denke, gegen die ganz großen Verlage kommen so und so nur kleine, innovative Verlage an."
    Flügge: "Kleine Verlage wird's immer wieder geben! Weil sie innovativer sind. Weil sie mit neuen Ideen kommen!"
    Erster Job in einer renommierten Buchhandlung
    Wache Augen unter buschigen Brauen, ein hin und wieder ins Englische fallender norddeutscher Bass und ein Leben, so aufregend wie das Jahrhundert: Wenn Klaus Flügge ins Erzählen kommt, sind seine 80 Jahre nicht zu spüren.
    "Ich bin 1934 geboren, in Hamburg, ja, ein waschechter Hamburger eigentlich bin ich gewesen. Meine Mutter hat drei Kinder, ich war in der Mitte - eine jüngere Schwester, eine ältere Schwester. 1943 wurde Hamburg zerbombt. Und meine weise Mutter hat uns weggenommen von Hamburg, bevor unser Haus zerstört wurde. Einen Tag zuvor ist sie mit ihren drei kleinen Kindern nach Mecklenburg gegangen, eine kleine Stadt, die heißt Grabow. Sie hatte da einen entfernten Verwandten, der uns behilflich war. Und eine Wohnung gefunden hat. Und da sind wir stecken geblieben. Mein Vater starb im Krieg. Und dann kam 1945. Und dann war's plötzlich die Ostzone."
    Flügge hat Glück: Bereits im letzten Grundschuljahr beginnt er, in der kleinen Buchhandlung am Grabower Markt zu arbeiten. Das ehemals privat geführte Geschäft wird nach 1945 verstaatlicht, doch kann die Volksbuchhandlung "Theodor Körner" an den guten Ruf aus Vorkriegszeiten anknüpfen. Selbst aus der Kreisstadt Ludwigslust kommt Kundschaft.
    "Die Buchhandlung war in dem Umkreis ziemlich renommiert. Wir haben nie genug Bücher gehabt. Oder die richtigen Bücher. Wir haben natürlich Marx, Engels, Lenin, Stalin verkauft. Aber wenn's um Thomas Mann ging, bekamen wir ein Dutzend Bücher, wenn ein neuer Titel rauskam. An großer Auswahl gab es natürlich nicht viel, damals. Es gab einige gute Bücher natürlich. Aber zur damaligen Zeit gab es Zensur, und gewisse Bücher konnten nicht erscheinen. Die amerikanischen Bücher zum Beispiel, die verlegt wurden in der DDR, waren Bücher, die sozialkritisch waren - wie zum Beispiel Theodore Dreiser oder Upton Sinclair. Und Jack London, der war irgendwie 'gesellschaftskritisch'."
    Der Flüchtlingsjunge aus Hamburg macht sich unentbehrlich: Er wischt Staub, packt Bücherpäckchen, übernimmt Botendienste. So kommt es, dass ihn die Buchhandlung nach dem Schulabschluss übernimmt. Schon damals liest Klaus Flügge, was ihm unter die Finger kommt.
    "Ich war immer von Büchern fasziniert. Wenn mich Leute gefragt haben: Warum bist du Verleger geworden, hab' ich gesagt: Ja, weil ich als Kind nicht viele Bücher gehabt habe."
    Leipzig wird zum Erweckungserlebnis
    Der Krieg und die prekären Lebensumstände der kleinen, in den Osten gespülten Familie hatten Flügges Lesehunger früh Grenzen gesetzt. Ein Umstand, den er später durch besonders exzessive Lektüre auszugleichen hofft.
    "Wir haben natürlich alles verloren, 1943. Und wir hatten sehr wenig Geld. In der DDR hat meine Mutter keine Pension bekommen, sie hat in der Wäscherei gearbeitet. Und konnte sich auch nicht viel leisten. Auch keine Bücher. Wenn man an die wenigen Bücher, die ich als Kind gelesen habe, denkt, dann ist es wahrscheinlich "Emil und die Detektive" gewesen. Oder Sachen wie Wilhelm Busch - den ich noch mal verlegt habe, vor einigen Jahren." (lacht)
    1949 nimmt Klaus Flügge seine Sortimenter-Lehre in Grabow auf. Zur Ausbildung gehört auch der Besuch der Deutschen Buchhändler-Lehranstalt in Leipzig: Die sächsische Großstadt, die der Schriftsteller Uwe Johnson einst als "heimliche Hauptstadt der DDR" bezeichnete, wird für den wissbegierigen Jungen aus der Provinz zum Erweckungserlebnis. Leipzig selbst ist noch von den Wunden des Krieges gezeichnet und macht auf Flügge einen eher tristen Eindruck. Es ist vor allem die Gemeinschaft mit den rund 60 gleichaltrigen Lehrlingen auf der Buchhändlerschule, die ihn aufleben lässt. Zum Ausgehen fehlt vielen schlicht das Geld, viel lieber diskutieren die Jugendlichen nächtelang mit heißen Ohren über Bücher und Politik. So entstehen Freundschaften, an die im 6.000-Seelen-Städtchen Grabow nicht zu denken war.
    "Der Kurs dauerte acht Wochen. Und eigentlich musste man drei Mal da gewesen sein, jedes Jahr ein Mal. Ich hab's zwei Mal geschafft, im zweiten und im dritten Lehrjahr. Und das war eine ganz tolle Zeit - denn ich hab' mich zum ersten Mal mit Leuten unterhalten können, die Büchernarren waren. Und die auch gebildeter waren als ich, der eine ziemlich miserable Schulbildung gehabt hat - durch den Krieg natürlich; 45 gab es nicht viel. Nach 45 haben die Kommunisten viele Lehrer rausgeschmissen und neue eingestellt, die nicht unbedingt sehr qualifiziert waren."
    Mit offener Kritik am System hält man sich zurück, doch wenn die Lehrlinge aus allen Teilen Ostdeutschlands unter sich sind, nimmt kaum einer ein Blatt vor den Mund. Kann es für sie eine Zukunft in der DDR geben? Immer öfter gehen auch Klaus Flügges Gedanken auf große Fahrt.
    "Der Westen hieß: die Freiheit. Die Freiheit zu lesen, die Freiheit zu sprechen. Und natürlich auch die "Errungenschaften des Kapitalismus", die fasziniert haben. Ich habe immer bisschen anders ausgesehen, weil ich eine Tante in Amerika hatte, die uns Care-Parcels geschickt hat. Und in den Care-Parcels war auch Kleidung. Teilweise war's wahrscheinlich gebrauchte Kleidung, aber es war jedenfalls der amerikanische Stil. Ich bin dann mit amerikanischen Schlipsen rumgelaufen und amerikanischen Hemden, die wirklich ausgefallen waren. Ich hab' immer an die Freiheit gedacht - vielleicht bin ich auch infiziert worden von den Care-Parcels und den schönen Schlipsen? Das ist möglich. Aber so ging's uns fast allen."
    Job bei Abelard-Schuman wird zum Sprungbrett
    Auch über den Marktplatz der mecklenburgischen Kleinstadt Grabow rollen nach dem 17. Juni 1953 sowjetische Panzer. Spätestens als Klaus Flügges Pflasterstein in Richtung der T-34-Tanks fliegt, ist der Entschluss gefasst: Er wird die DDR verlassen. Über Westberlin und ein Auffanglager in Niedersachsen kehrt er zurück nach Hamburg, in die alte Heimat. Doch die junge Bundesrepublik empfängt den Flüchtling aus dem Osten nicht mit offenen Armen. Im Gegenteil: Man begegnet ihm mit Misstrauen, seine Abschlüsse werden nicht anerkannt, und statt des erhofften Verlagsjobs bei Rowohlt oder Hoffmann & Campe schuftet er schließlich als Lagerist beim Barsortiment Lingenbrink.
    1959 wandert Klaus Flügge, der zu diesem Zeitpunkt nur Deutsch und Russisch spricht, in die USA aus. Ein kleiner Frachter schippert ihn über den Atlantik. Onkel und Tante in New York haben das Abenteuer möglich gemacht, sie bürgen für ihn. In Brooklyn angekommen, büffelt Flügge Englisch und schlägt sich als Laufbote an der Wall Street durch. Die Freiheit in der Neuen Welt währt jedoch nicht viel länger als ein Jahr. Flügge wird zum Militär einberufen - selbst die Plattfüße, die er sich in den Straßen Manhattans gelaufen hat, können das nicht verhindern. Als GI ist er anderthalb Jahre in Frankreich stationiert und lernt in Nancy seine spätere Frau kennen. Zurück in den Staaten, zieht der junge Mann, der nun bei einer Buchhandlung nahe der Grand Central Station Arbeit gefunden hat, endlich seinen Lotto-Fünfer mit Zusatzzahl: Lew Schwartz, ein aus Deutschland emigrierter Jude und Verleger bei Abelard-Schuman, New York, heuert Flügge als Assistent an.
    "Nach zwei Jahren in seinem Verlag hat er mir gesagt: Klaus, wenn Du nach England gehst, kannst Du da was aufbauen! Damals haben viele amerikanische Verleger Dependancen gehabt in England. Und ich hab das interessant gefunden - und hatte dann die Chance, wirklich Verleger zu werden. Und dieser komische deutsche Auswanderer, der dann in Amerika noch nicht mal richtig heimisch geworden war, ist dann zurück nach Europa. Und hat dann einen Verlag aufgebaut: Abelard-Schuman, London. Und das war natürlich eine interessante Sache - aber auch eine ziemlich schwierige Sache! Denn dass der Mann mir so viel Vertrauen entgegengebracht hat, war erstaunlich; immerhin wusste ich nichts vom englischen Verlagsleben. Und, ja: Er hat irgendwie gewusst: Ich bin ein harter Arbeiter. Fleißiger Deutscher! (lacht) Und ich werd' mir das schon aneignen."
    Einige Monate sind seit unserer Leipziger Begegnung vergangen, und auch die rauschende Geburtstagsparty zum Achtzigsten im "Groucho Club" in Soho hat Klaus Flügge inzwischen geschafft. Das kleine Verleger-Büro von Andersen Press im Random-House-Sitz an der Vauxhall Bridge wirkt noch immer wie eine begehbare Glückwunschkarte: Geschenkpakete, signierte Bücher, Blumen; an den Wänden einige der aberhundert, von Flügges Künstler-Freunden liebevoll bemalten Brief-Kuverts aus aller Herren Länder: Letters to Klaus. Durchs Fenster sieht man ein Stück Themse und den antennenbewehrten Betonklotz des Geheimdiensts MI 6. Quer im Raum ein über und über mit Manuskriptstapeln bedeckter Holzschreibtisch, der wie ein Uralt-Erbstück wirkt.
    "Den hab' ich angeschafft, als ich zuerst nach England kam, 1961. Und der ist dann mitgewandert in die verschiedenen Häuser, wo ich mein Büro hatte. Zuerst noch - das war vor Andersen: Das war Abelard-Schuman."
    Vom Independent-Verlag zu renommierter Adresse
    In der King Street von Covent Garden, damals noch nahe des Londoner Obst- und Gemüsemarkts, ist Klaus Flügge seinem Kindheitstraum sehr nahe gekommen. Wieder muss er viel lernen; einen Verlag mit mehr als 20 Mitarbeitern aus dem Nichts aufzubauen, ist eine Herausforderung - umso mehr, da der britische Markt eigenen Gesetzen gehorcht. Ein Faible fürs Bilderbuch hat er damals schon - immer öfter gelingt es ihm, US-Autoren mit jungen britischen Illustratoren zusammenzuspannen. London wird in den Swingin' Sixties zu Klaus Flügges neuer Heimat; fast 15 Jahre führt er hier die Geschäfte für Lew Schwartz. Als Abelard-Schuman Mitte der 70er-Jahre verkauft wird, beschließt er, seinen eigenen Verlag zu gründen - einen Kinderbuchverlag. Nicht nur das finanzielle Risiko scheint so kalkulierbarer, für Flügge ist die Entscheidung eine Herzenssache. Doch - wie soll das Kind heißen?
    "Ich hab' zuerst an Flugge Books gedacht. Aber man hat damals, mehr als heute, irgendwie ausländische Namen nicht aussprechen können - und nicht aussprechen wollen. Und dann plötzlich hab' ich gesagt: OK, es wird ein Kinderbuch-Verlag: Wer ist der international wichtigste oder berühmteste, beliebteste Kinderbuch-Schriftsteller gewesen? Und das war Hans Andersen! Ich hab' mir das überlegt: Darf ich das überhaupt? "Cheeky", würde man sagen auf Englisch. Aber ich hab's dann gemacht - und jeder hat es akzeptiert. Selbst die dänischen Verleger, die Andersen-Books gekauft haben, haben das sehr gut gefunden."
    Über die Jahre entwickelt sich der kleine Independent-Verlag zu einer der renommiertesten britischen Kinder- und Jugendbuch-Adressen. Der Grund, warum man ihn heute unterm Dach von Random House findet, ist relativ simpel: Als Flügge startet, sucht er einen starken Partner für Vertrieb und Werbung - seine Wahl fällt auf Century Hutchinson, wo nur eine kleine Kinderbuchliste existiert. Seit der Übernahme von Hutchinson durch Random House ist der Konzern mit 20 Prozent bei Andersen Press beteiligt. Mehr als 2.000 Titel sind seit dem Start im Jahr 1976 erschienen, die meisten von ihnen, erstaunlich genug, noch lieferbar. Während man Kinderbuch-Übersetzungen in den Verlagen des Vereinigten Königreichs lange Zeit mit der Lupe suchen musste, erschienen bei Andersen Press Bücher von Peter Härtling und Christine Nöstlinger, Janoschs "Panama"-Reihe oder Otfried Preußlers "Kleines Gespenst".
    "Ich habe natürlich auch Übersetzungen verlegt, die nicht unbedingt berühmt geworden sind. Zum Beispiel das letzte Buch aus Deutschland, das ich verlegt habe, ist gerade rausgekommen: "Tschick" - jeder Deutsche kennt wahrscheinlich das Buch by Herrndorf! Der leider Gottes nicht mehr lebt. Ich habe natürlich auch Zweifel gehabt, wie sich das in England verkauft. Ich meine, es ist ein ziemlich "deutsches" Buch, im Grunde genommen, nicht nur die Landschaft, die sie durchstreifen oder durchfahren, sondern auch teilweise die Mentalität, teilweise das Problem der Einwanderer. Das ist ziemlich spezifisch für Deutschland, würde ich sagen. Aber ich musste es einfach verlegen!"
    Lebenslange Freundschaft zu David McKee
    Umgekehrt haben Flügges Bücher auch dem deutschen Kinderbuch-Markt manchen Stempel aufgedrückt: Mit "Ich komme dich holen!" von Tony Ross oder "Du hast angefangen! Nein, du!" von David McKee erhielten Andersen-Bücher zwei Mal den Deutschen Jugendliteraturpreis, Titel wie Susan Varleys "Leb wohl, kleiner Dachs" oder die "Frosch"-Geschichten von Max Velthuijs sind auch hierzulande moderne Klassiker geworden. Was Andersen Press in England berühmt gemacht hat, sind die Bilderbücher. Populärste Figur ist dabei zweifellos "Elmar" - David McKees Serie um den bunt-karierten Elefanten wurde mittlerweile in mehr als 50 Länder verkauft, ein Dauerbrenner. Die Freundschaft, die McKee mit dem nur ein Jahr älteren Klaus Flügge verbindet, reicht bis ins Jahr 1964 zurück - damals erschien sein erstes Buch "Two Can Toucan" bei Andersen.
    "Ich kann mich nicht mehr genau an das Jahr erinnern, aber ich glaube, es war in einem griechischen Restaurant in der Nähe des Fitzroy Square, wo wir uns abends zum Essen verabredet hatten. Wir saßen da in der Abendsonne vor diesem Lokal beim Wein. Es war einer dieser lässigen Abende, und wir waren wohl bei unserem zweiten Brandy, als Klaus mich fragte: Wer ist eigentlich dein bester Freund? Ich dachte kurz nach und meinte: Tja - das bist du! Und er sagte: Ja, mir geht's genau so. Seitdem sind wir also beste Freunde. Aber ich denke, er ist nicht nur mein bester Freund: Er ist der beste Freund von einer Menge Leuten. Weil er einer ist, der sich wirklich um sie kümmert."
    Zu den Eigenschaften, die David McKee an seinem Freund besonders schätzt, gehört dessen Leidenschaft für Bücher - die manchmal dazu führt, dass Klaus Flügge in einer Buchhandlung gleich drei oder vier Exemplare eines von ihm geschätzten Titel einkauft: Einfach so - als Geschenk für Freunde.
    "Diese nicht nachlassende Liebe für Bücher ist einfach beeindruckend. Klaus ist gerade 80 geworden - aber seine Energie hat die 80 noch längst nicht erreicht. Er hat die Energie eines jungen Mannes. Es ist unglaublich: Er ist morgens der Erste im Büro und abends der letzte. Und immer voller Leidenschaft - besonders, wenn die Dinge gut laufen."
    Dass die Verhältnisse auf dem britischen Kinderbuchmarkt rauer geworden sind, kann Flügge täglich spüren. In Großbritannien grassiert seit Jahren ein regelrechtes Bibliothekssterben, dessen Ende nicht abzusehen ist.
    "Früher habe ich 50 Prozent meiner Bücher an Bibliotheken verkauft. Da gab es Bibliotheks-Großhändler, fünf, sechs... Jetzt gibt es noch einen wichtigen, die anderen sind übernommen worden von Barsortimenten und so weiter. Also, das Geld ist nicht da! Jetzt im Augenblick besonders, wo Bibliotheken zumachen. Es ist skandalös, was da passiert, in England im Augenblick! Für ein zivilisiertes Land, sich derart schlimm mit Bibliotheken zu benehmen, finde ich wahnsinnig! Und natürlich: Wir haben die Tragödie in England, dass jeder Bücher zu irgendeinem Preis verkaufen kann! Wir haben keinen festgesetzten Ladenpreis, wie ihr Deutschen das habt. Und dadurch wird der Einzelhandel beschädigt."
    "Ja, ich kann es noch!"
    Die Buchpreisbindung fiel in Großbritannien bereits 1997, in der Folge setzte ein ruinöser Verdrängungswettbewerb ein. Die großen Buchketten fluteten den Massenmarkt mit Bestsellern zu Tiefstpreisen, ein Geschäft, in das bald auch Supermarktketten wie Tesco oder Sainsbury's einstiegen. Für kleinere, unabhängige Buchhandlungen, die zusätzlich mit der Konkurrenz aus dem Netz und hohen Mieten zu kämpfen haben, sind solche Rabattschlachten pures Gift - doch gerade sie sind eigentlich natürliche Verbündete von Independent-Verlagen wie Andersen Press.
    "Es ist sehr viel härter geworden. Wird auch noch härter werden. Bis jetzt geht's Andersen immer noch gut, wir sind immer noch profitabel. Wir haben Geld in der Bank - was für einen Verlag sehr wichtig ist! Und können uns neue Bücher leisten. Selbst, wenn wir nicht sicher sind, ob sie sich verkaufen lassen. Das gute Buch ist immer noch das, was den Ausschlag gibt - bei mir jedenfalls."
    Ans Aufhören denkt der Mann, den die Stadt Bologna, Schauplatz der weltgrößten Kinderbuchmesse, 2013 zum Ehrenbürger machte, ganz und gar nicht. Gerade eben hat er die neu etablierte Kinderbuchmesse in Schanghai besucht - und erzählt mit funkelnden Augen vom boomenden chinesischen Markt. Mag Klaus Flügges Haar inzwischen ebenso weiß sein wie das seiner berühmtesten Künstlerfreunde David McKee, Tony Ross oder Michael Foreman, die ihm seit Jahrzehnten die Treue halten: Gemeinsam sind sie immer noch für jede Überraschung gut - wahrscheinlich ist es gerade diese Freundschaft, die den Verleger in Schwung hält. Was ihn treibt, ist eigentlich ganz einfach:
    "Vielleicht ein gutes Buch zu finden, morgens um acht? Vielleicht meine Freunde... Diese wichtigen Künstler, die ich zum Beispiel verlege, sind auch in meinem Alter now.. Es macht mir Spaß! Es macht mir genau so viel Spaß, wie es mir vor 25 Jahren Spaß gemacht hat. Ich hab' keine Komplexe mehr, ich weiß, was ich tue! Es geht gut weiter. Wie der Michael Foreman, der jetzt auch fast 80 ist: Jeden Morgen schaut er in den Spiegel und streckt die Arme und sagt: Ja, ich kann es noch! Das kann ich auch sagen."
    Wach und neugierig ist er geblieben, geschäftig, ohne der letzten Mode auf dem schnelllebigen Kinderbuch-Markt nachzujagen. Wir Leser, egal welchen Alters, können ihn wohl nur beneiden. Kein Zweifel: Klaus Flügge, den der süße Duft der Freiheit ins Verlegerleben schubste, hat den schönsten Beruf der Welt.