Donnerstag, 28. März 2024

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Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels an den nigerianischen Schriftsteller Chinua Achebe

Es gehört zu den liebgewonnenen und auch politisch unverzichtbaren Eigenheiten der Paulskirchenveranstaltung, dass die Preisträger die Erwartungshaltung des Publikums durchkreuzen, indem sie tun, wofür sie ausgezeichnet wurden: ihre eigene Stimme ganz eigenwillig zu erheben. Chinua Achebe hätte viel zu sagen gehabt über Rassismus, koloniale Unterdrückung und die schwierigen Bedingungen seines Landes nach der Unabhängigkeit, als die Sezessionsbemühungen seiner ostnigerianischen Heimat Biafra zum einem Bürgerkrieg führten, die mindestens einer Millionen Menschen das Leben kosteten. Statt dessen hat er zwei Geschichten erzählt: Eine von vor drei Jahren, die deutlich machte, wie unbekannt das Afrika, das die afrikanische Literatur selbst seit einem halben Jahrhundert - und anders als Ernest Hemingway oder Joseph Conrad - beschreibt, auch in den kritischen Kreisen Europas und Amerikas immer noch ist. Schlimmer noch: Zum Unwissen kommt die paternalistische Haltung, wie sie etwa Albert Schweizers Diktum vom Afrikaner als dem "jüngeren Bruder" prägte. Achebe, dessen Vater als erster seines Stammes zum Christentum übertrat, hält das für eine "ungeheuerliche, wenn auch damals weit verbreitete Gotteslästerung". - So lakonisch kurz war in Frankfurt noch nie ein Säulenheiliger des "besseren Europa" gestürzt worden.

13.10.2002
    Die zweite Geschichte stammt aus seinem ersten Buch "Okonkwo oder das Alte stürzt", das 1958 erschienen ist, den Autor über Nacht berühmt machte und inzwischen in mehr als 50 Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft wurde. Chinua Achebe las ein Stück daraus vor - in der Szene kommt der Familienrat zusammen - und die politische Bedeutung dieser Lesung lag weniger darin, dass er auch heute darauf bestand, dem vorkolonialen Afrika eine Stimme zu geben, sondern dass er auf diese Weise die Emanzipiertheit und Eigenständigkeit der afrikanischen Kultur und Literatur behauptete.

    Chinua Achebe, Jahrgang 1930, gehört dem Volk der Ibo an, einer der drei großen Ethnien im Osten des Vielvölkerstaats Nigeria. Nach dem Besuch der Missionsschule und dem Studium arbeitete er erst beim nigerianischen Rundfunk. Er war Sonderbotschafter Biafras in Europa und den USA, wo er dann auch lehrte, er hat die Literaturzeitschrift Okike gegründet und er war lange Jahre Berater für die "African Writers Series" des Heinemann Verlages, die erstmals den Literaturen Afrikas zu weltweiter Verbreitung verhalf. Seine Romane entstammen der und schildern eine Kultur, die mündlichen Traditionen folgt. Damit leistete er unendlich Wichtiges: die Rehabilitierung der vor-kolonialen afrikanischen Gesellschaft, und nicht als unschuldige Idylle. Er hat mit kritischer Distanz auch die postkolonialen Verhältnisse, das Versagen der afrikanischen Elite und die Bedrohung seines Landes durch die Militärregierung analysiert. Seine Bücher sind hochmodern, indem sie schon in den 50er Jahren den Diskurs um den Begriff der kulturellen Identität vorwegnehmen. Und im Hinblick auf die kulturelle Kolonisierung heute maß der Präsident von DAAD und der Universität Würzburg ihnen geradezu prophetische Züge bei.

    Berchems Forderung, die Geschichte Afrikas in den Schulbüchern nicht erst mit dem Zeitalter des Imperialismus beginnen zu lassen, sondern endlich um die Kulturgeschichte der schwarzafrikanischen Königreiche vor Beginn des portugiesischen Sklavenhandels zu erweitern, weist die Aufgaben der Zukunft. Auf Seiten der Europäer gibt es hier mehr zu tun, als uns lieb sein kann.

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