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Verleumdung im Netz
Deutsch-Ukrainerin für Propaganda instrumentalisiert

Die Deutsch-Ukrainerin Olga Wieber sieht sich als Opfer einer Verleumdungskampagne aus Russland. Im Deutschlandfunk erzählte sie, wie russische Aktivisten falsche Informationen über sie verbreitet hätten. Das Ziel sei es, Deutschland und Europa zu diskreditieren. Es handle sich um ein ganzes logistisches System.

Olga Wieber im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 22.07.2014
    Der Begriff "Shitstorm" in einer Großansicht im Duden.
    Der Duden definiert Shitstorm als "Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht". (dpa / Jens Kalaene)
    Zuerst im Internet und dann auch im staatlichen russischen Fernsehen wurde eine Geschichte über Olga Wieber verbreitet, nach der sie an internationalem Organhandel beteiligt sei. Ihr sei vorgeworfen worden, als Ärztin - die sie nicht ist - Aufträge an ukrainische Politiker zu geben, damit diese Organe von lebenden Soldaten entnehmen sollen. Auftraggeber sei die deutsche Ärzteschaft, die damit in Verruf gebracht werde - zusammen mit der Bundesregierung, denn - so werde suggeriert - so etwas könne nur mit deutscher Unterstützung gelingen. Ziel ist es laut Wieber, europäische Werte zu diskreditieren.
    Durch die Aktion ist Olga Wieber zur weltweiten Hass-Figur geworden. Sie sei bedroht worden, auch mit dem Tod, ihre Freunde seien angeschrieben worden, im Internet werde diskutiert und die Texte in viele Sprachen übersetzt. Es gebe Links auf ihr Profil im Internet, unter anderem bei Facebook.
    Die Vorwürfe wies Wieber entschieden zurück. Sie sei noch nicht einmal Ärztin, dafür aber Deutsche mit ukrainischen Wurzeln. Die Aktivisten hätten jemanden gebraucht, der aus Deutschland komme, aber noch mit der Ukraine zu tun habe. "Mein Profil hat vielleicht gepasst."

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Der Konflikt um die Ukraine ist immer auch ein Konflikt um die Deutungshoheit, ein Kampf um die öffentliche Wahrnehmung. Wir haben hier im Deutschlandfunk schon mehrfach darüber berichtet, dass vor allem die russische Seite diesen Feldzug sehr geschickt führt, auch im Internet, mit Bloggern und Netzaktivisten, die die Ansichten des Kreml auch noch im hintersten Winkel des World Wide Web verbreiten. Dass dabei auch völlig Unbeteiligte schnell in Schwierigkeiten geraten, das zeigt der Fall einer Frau im badischen Waldkirch. Die Deutsch-Ukrainerin Olga Wieber ist von einem Tag auf den anderen zu einer weltweiten, kann man sagen, Hassfigur geworden, ohne dass sie wusste warum. Sie ist jetzt bei uns am Telefon. Schönen guten Morgen, Frau Wieber!
    Olga Wieber: Guten Morgen.
    Armbrüster: Frau Wieber, was genau ist Ihnen passiert?
    Wieber: Im Internet wurde eine Geschichte verbreitet und dann auch im staatlichen russischen Fernsehen, als ob ich eine Beteiligte in einem illegalen Organhandel bin, und diese Geschichte wurde mit meinem Namen verbunden und auch ein Link gesetzt auf meine persönliche Seite.
    Armbrüster: Was genau wird Ihnen da vorgeworfen?
    Wieber: Mir wird vorgeworfen, dass ich eine Beteiligte bin, die Aufträge abgibt an die ukrainischen Politiker. Einer von denen ist der Rechtsanwalt von Julia Timoschenko, einer ist Kommandeur eines Bataillons im Donbass. Und das ist so, als ob ich eine Bestellung mache für die Organe und sage, die Organe sollen frisch sein, das heißt von lebenden Soldaten entnommen werden.
    Armbrüster: Und was genau ist Ihnen nach diesen Äußerungen im Internet passiert?
    Wieber: Ich wurde attackiert von allen Seiten, von speziellen Kommentatoren. Die haben mich beschimpft, mir gedroht. Sie haben mir geschrieben, wir wissen, wo Du wohnst, wir kommen, Du bist Faschistin und so weiter. Meine Freunde aus meinen Kontakten wurden auch angeschrieben und man hat versucht, auch denen Zweifel einzubringen, was für eine Freundin habt ihr, und so weiter. Im Internet wird überall diskutiert und diese Geschichte wird verbreitet im ganzen Netz und übersetzt in viele, viele Sprachen.
    Armbrüster: Wie haben Sie das gemerkt, Frau Wieber? Sie haben mir im Vorgespräch erzählt, dass da Ihr Postfach auf einmal regelrecht übergequollen ist.
    Wieber: Nein, umgekehrt. Niemand hat meine Seite gehackt. Es war so: Man hat einfach Links gemacht auf mein Profil im Internet, und mein Profil ist ganz normal wie von hundert Millionen Menschen in dieser Welt in Facebook und es gibt so eine Seite im russischen Facebook, und das hat gereicht, einfach einen Link zu machen auf mein Profil, und ich wurde deswegen attackiert.
    "Das hat mit der Wirklichkeit gar nichts zu tun"
    Armbrüster: Jetzt lautet der Vorwurf, wenn ich Sie richtig verstehe, Sie arbeiten zusammen mit einem ukrainischen Politiker und fädeln mit dem einen illegalen Organhandel ein. Hatten Sie jemals in Ihrem Leben etwas mit Organtransplantationen zu tun?
    Wieber: Nein, gar nicht. Ich komme überhaupt nicht aus diesem Bereich. Ich habe auch keine Medizin studiert. Ich bin auch keine Ärztin, was in dieser Geschichte behauptet wird, oder Chirurgin. Das hat mit der Wirklichkeit gar nichts zu tun und meine Person ist überhaupt falsch für diese Sachen ausgewählt worden.
    Armbrüster: Was glauben Sie denn, wie die Leute hinter dieser Netzattacke auf Sie gekommen sind?
    Wieber: Ich glaube, sie sind auf mich gekommen, weil ich Deutsche bin. Ich habe Wurzeln in der Ukraine, komme aus der Ukraine, und sie haben so eine Person gebraucht, die von deutschen Ärzten quasi kommt, aber mit der Ukraine noch etwas zu tun hat. Mein Profil hat vielleicht gepasst.
    Armbrüster: Und was sind das jetzt für Drohungen, die Sie zu hören bekommen?
    Wieber: Ich habe auch Drohungen von Menschen bekommen, die in Deutschland leben und im russischsprachigen Internet sich befinden, dass sie wirklich dann irgendwie zu mir kommen, mich töten, oder Beschimpfungen. Aber was mich so wütend macht ist nicht nur mein persönlicher Fall, sondern auch, dass im russischen staatlichen Fernsehen die deutsche Ärzteschaft als Auftraggeber für Mörder dargestellt wird, und man bringt damit nicht nur mich und die deutschen Ärzte, sondern ganz Deutschland mit seiner Regierung in Verruf. Genauer wurde berichtet, es handelte sich um ein ganzes logistisches System, und die Kommentatoren schreiben jetzt überall, das kann nur passieren, wenn es von Deutschland komplette Unterstützung gibt. Das macht mich auch wütend.
    Armbrüster: Wenn Sie jetzt so plötzlich im Zentrum einer solchen Verleumdungskampagne stehen, was sind denn Ihre eigenen Erkenntnisse? Gibt es da irgendeinen Weg, wieder herauszukommen? Gibt es irgendjemand, der Ihnen da schützend zur Seite stehen kann, oder diese Vorwürfe quasi rückgängig machen kann?
    Wieber: Ja. Ich glaube, der einzige Weg ist die Konsolidierung von der Gesellschaft. Ich muss sagen, ich habe unglaublich viele Freunde jetzt bekommen während dieser Zeit, weil die Leute verstehen, was passiert. Alle verstehen, dass die Propaganda zum Ziel hat, Europa, europäische Politik und Werte, europäische Regierungen zu diskreditieren, und man muss zusammenhalten und diese Fakes nicht so ernst nehmen und eventuell noch dagegen was machen.
    "Mein Leben hat sich schon verändert"
    Armbrüster: Hat sich Ihr Leben durch diese Kampagne verändert?
    Wieber: Ja, mein Leben hat sich schon verändert. Ich führe ein ganz normales Leben natürlich, weil ich muss für mein Brot arbeiten. Aber ich bin jetzt in die Öffentlichkeit gegangen und viele Leute schreiben mich an. Es gibt sogar einige, die einfach auf ihrer Webseite irgendwelche Beiträge, ganz gute Beiträge über die Situation lassen und versuchen, mit mir in Kontakt zu kommen, und ihre Hilfe anbieten, und ich glaube, dass sich rund um mich konsolidiert meine Umgebung und auch viele andere Leute überall in der Welt, von Amerika bis Europa, Ukraine, Russland und so weiter.
    Armbrüster: Haben sie Kontakt aufgenommen oder Zuschriften von Leuten bekommen, denen Ähnliches passiert ist?
    Wieber: Nein. Mein Fall ist interessant dadurch, dass ich jetzt die erste Person bin, die plötzlich mit der Geschichte verbunden wurde. So wie ich das gesehen habe, hat man bis jetzt immer Fakes gemacht, die man nicht prüfen kann. In meinem Fall war ich die echte Person und ich glaube, das war entweder nicht so durchgedacht, oder man hat erwartet, dass ich mich verstecke in diesem Fall, und dann geht die Geschichte auch in die Richtung, dass die Person es nicht mehr gibt, oder sie sich versteckt hat. Aber ich habe mich ein bisschen anders benommen in diesem Fall.
    Armbrüster: Indem Sie damit ganz offensiv an die Öffentlichkeit gehen?
    Wieber: Ja. Ich gehe in die Öffentlichkeit, weil mir war es schon bewusst, dass es so etwas gibt, zum Beispiel auch in meinem privaten Leben. Ich habe immer meinen Eltern zum Beispiel verboten, das russische Fernsehen anzuschauen, weil man merkt bei älteren Leuten von dieser älteren Generation, die nur Russisch verstehen und nicht so gerne deutsche Nachrichten schauen, die Leute werden einfach umprogrammiert von dieser Propaganda und dann leben sie in einer anderen Realität. Davon berichten auch viele zum Beispiel ehemalige Schüler von meinem Ehemann, die auch russische oder ukrainische Wurzeln haben und über ihre Eltern schreiben, sie können nicht mehr sprechen, sie leben in einer anderen Welt.
    Armbrüster: ..., sagt Olga Wieber. Sie ist Vorstandsassistentin im badischen Waldkirch und im Internet zu einer Zielscheibe von russischen Netzaktivisten geworden, völlig unerwartet und auch unberechtigt. Frau Wieber, vielen Dank, dass Sie uns heute Morgen hier Ihre Erfahrungen geschildert haben. Einen schönen Tag noch.
    Wieber: Vielen Dank! Danke, Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.