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Verliebt in den Wissenschaften

Emilie du Chatelet, so ihr verkürzter Name, ist eine Frau ihrer Zeit und dieser doch weit voraus. Geschuldet ist dies neben ihrer Intelligenz sicher dem Einfluss eines gewissen Herrn Voltaire, den Emilie - ihrer Zeit voraus - als Liebhaber nahm, um schließlich zu einer geachteten Naturwissenschaftlerin zu reifen.

Rezensiert von Martin Ebel | 05.05.2009
    Ihr voller Name lautete Gabrielle Emilie de Tonnelier de Breteuil du Châtelet. Sie war eine äußerst bemerkenswerte Frau. Sie las und sprach nicht nur mehrere Sprachen, sondern übersetzte Vergils "Aeneis" und verfasste einen Bibelkommentar; sie war eine begabte Mathematikerin und schrieb ein Werk über Newtons bahnbrechende physikalische Entdeckungen, das diese in Frankreich erst bekannt und begreifbar machte. Sie korrespondierte mit Gelehrten in ganz Europa und wurde in die Wissenschaftliche Akademie von Bologna aufgenommen. Auf ihrem Schloss in Cirey in der Champagne experimentierte sie, um die Natur des Feuers und des Lichts zu entschlüsseln. Wenn man heute eine Galionsfigur für einen Werbefeldzug "Frauen in die Naturwissenschaften!" suchte, wäre sie die ideale Kandidatin, nicht weniger jedenfalls als die viel populärere Marie Curie: denn Emilie du Châtelet lebte anderthalb Jahrhunderte früher, von 1706 bis 1749. Ihr früher Tod ist einer späten Schwangerschaft und dem Kindbettfieber geschuldet, das man damals nicht einmal erkennen, geschweige denn heilen konnte.

    Zu Emilies Lebzeiten steckten die Naturwissenschaften noch in den Kinderschuhen, und diese Schuhe steckten noch tief im gedanklichen Schlamm des Mittelalters, als man nicht seinen Augen und seinem Verstand traute, sondern nur den Autoritäten, die ihre Weisheiten über die Jahrhunderte von anderen Autoritäten abgeschrieben hatten. Emilie hatte einen klugen Vater, der selbst an den erwachenden neuen Wissenschaften Gefallen hatte und an der raschen Auffassungsgabe seiner Tochter ebenfalls. So durfte sie alles lernen, was sie wollte, übrigens auch reiten und fechten, statt ihre Zeit wie üblich mit sogenannten Damenbeschäftigungen zu vertun. Das war eine tolle Chance, aber auch eine schwere Hypothek, denn eine Frau, die sich lieber über Formeln und Theorien unterhalten wollte als über Frisuren und Kleider, fand damals nicht ihresgleichen zur Gesellschaft und nur schwer einen Mann. Da Emilie aber hübsch war, von Adel und nicht ganz mittellos, ergab sich dann doch eine passende Heirat und zum zweiten Mal hatte sie Glück: Der Auserwählte, Florent-Claude du Châtelet, war zufrieden, als seine Frau ihre Pflicht erfüllt und ihm zwei Kinder geboren hatte. Als Militär meist ohnehin abwesend, ließ er ihr alle Freiheiten, die damals möglich waren – wenn man sie mit der nötigen Dezenz wahrnahm. Dazu gehörte auch, sich Liebhaber zu nehmen. Und unter denen, die Emilie nahm, war, dritter Glücksfall, einer der brillantesten Geister der Epoche: Voltaire. 1733 lernten sie sich kennen; einige Jahre waren sie ein Liebespaar mit stürmischen Aufs und Abs, eine Lebensgemeinschaft nach eigenem Gesetz, und eng befreundet blieben sie bis zu Emilies Tod.

    Die Beziehung dieser beiden außergewöhnlichen Menschen, der hochbegabten Naturwissenschaftlerin, für die die Zeit noch nicht reif war, und des genialen Autors, der mit seinen frechen Aufklärungsschriften dafür sorgte, dass die Zeit ein bisschen schneller voranschritt: Das ist ein Stoff, wie gemacht für einen guten Erzähler. Und David Bodanis kann erzählen, das hat er unter anderem bewiesen mit seinem Buch "Bis Einstein kam", einer Geschichte all der Entdeckungen und Erkenntnisse, die notwendig waren, damit die Relativitätstheorie formuliert werden konnte. Erstaunlich, dass dieser erfahrene Sachbuchautor hier mit dem ungleich süffigeren Stoff schlechter zurecht kommt.

    Bodanis hat die Geschichte von Emilie und Voltaire zum Abenteuerroman umgeschrieben; darunter leidet die Sachlichkeit, darunter leidet auch das Vertrauen, das man den Thesen und Wertungen des Autors entgegenbringen möchte. Unter denen findet sich allerlei Seltsames, Kurioses und Absurdes. Zu den Kuriosa gehören der Vergleich der Korruption am französischen Hof mit der in der aktuellen US-Regierung sowie die ästhetischen Betrachtungen über die Lautsprecherdurchsagen auf französischen Bahnhöfen. David Bodanis weiß Dinge, die ein Historiker nicht wissen kann, etwa wenn er die Bettqualitäten verschiedener Maitressen bewertet oder gar vermutet, Emilie und Voltaire hätten ein Mikroskop mit ins Schlafzimmer genommen, um nach dem Sex dem Sperma näher auf den Leib zu rücken. Bodanis' saloppe Sprache tut dem Buch ebenfalls nicht gut. "Alles lief bestens", heißt es, oder "dort ging es dann richtig zur Sache". Eine Cousine "nervt", und Voltaire macht "Mätzchen". Das soll munter wirken und ist doch bloß unseriös. Auch der Übersetzer Hubert Mania, obwohl populärwissenschaftlich ausgewiesen, ist sprachlich nicht immer auf der Höhe seines Gegenstandes.

    Trotz dieser kleinen Ärgernisse ist die Lektüre von "Emilie und Voltaire" keine vergeudete Zeit, entsteht doch ein recht plausibles Bild einer einzigartigen Beziehung in einer aufregenden Zeit. Schön arbeitet Bodanis auch den Antagonismus der beiden unterschiedlichen Charaktere heraus; ganz entkamen sie ihren jeweiligen Rollen dann doch nicht. So war Voltaire eitel genug, um eine ganz und gar ebenbürtige Frau neben sich doch nicht ertragen zu können, und Emilie war Frau genug (in dem Sinne ihrer Zeit), ihr Licht notfalls auch einmal unter den Scheffel zu stellen. Als sie sich beide um eine wissenschaftliche Preisfrage bewarben, arbeitete Emilie an ihrer Lösung nachts und heimlich; gewonnen haben sie dann beide nicht.

    Voltaire hatte, anders als andere Aufklärer, zwar den Ehrgeiz, auch als Wissenschaftler zu reüssieren, aber keinerlei Eignung dazu. Eine pointierte Formulierung zog er dem langwierigen Experimentieren, Prüfen, Messen und Auswerten allemal vor. Im wissenschaftlichen Denken war ihm Emilie weit überlegen. Die "Elemente der Philosophie Newtons", die unter ihrer beider Name erschienen, sind ganz überwiegend ihr Werk, und sie verdient es, nicht nur als besonders intelligente Geliebte Voltaires im Gedächtnis zu bleiben. Das Kind, an dem sie starb, war übrigens nicht von ihm.

    Nun ist ihre Wiederentdeckung in vollem Gang; aus Anlass ihres 300. Geburtstags im vergangenen Jahr sind in Deutschland und Frankreich Kolloquien veranstaltet worden, und die französische Philosophin und Feministin Elisabeth Badinter hat ihr eine enthusiastische Biographie gewidmet. Das Schloss Cirey schließlich, in dem das Paar seine besten Jahre verlebte, inmitten von physikalischen Instrumenten und einer Bibliothek von 21.000 Bänden, kann heute besichtigt werden – auch das kleine Theater, das Voltaire dort einrichtete. Auf irgendeiner Bühne musste er eben immer stehen.

    David Bodanis: Emilie und Voltaire. Eine Liebe in Zeiten der Aufklärung.
    Aus dem Englischen von Hubert Mania. Rowohlt, Hamburg. 442 S., 22,90 Euro