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Verloren im Geschlechtstrakt
Warum Mäuse größere Spermien haben als Elefanten

Was die Fortpflanzung angeht, hat die Maus dem Elefant einiges voraus. Die Spermien von Mäusen sind deutlich größer als die der großen Rüsseltiere. Was kurios klingt, ist ein Ergebnis der Evolution und ergibt biologisch durchaus einen Sinn. Forscher sind den Gründen in einer Studie für das Fachmagazin Proceedings of the Royal Society B auf den Grund gegangen.

Von Lucian Haas | 18.11.2015
    Elefanten und eine Maus
    Mäuse haben längere Spermien als Elefanten - warum ist das so? (imago / blickwinkel)
    Stefan Lüpold ist Evolutionsbiologe an der Universität Zürich. Sein Spezialgebiet sind Spermien.
    "Was mich als Evolutionsbiologe besonders fasziniert an den Spermien, ist die unglaubliche Diversität in Form und Größe dieser Zellen. Die Spermien sind wohl die vielfältigsten Zellen überhaupt im ganzen Tierreich. Und dies obwohl sie doch alle dieselbe Funktion haben, nämlich die Eier der Weibchen zu befruchten."
    Allein schon bei den Säugetieren ist die Diversität der Spermien immens. Je nach Tierart können sie groß sein oder klein, lange oder kurze Fortsätze aufweisen, mal in riesigen, mal auch in vergleichsweise kleinen Mengen im Ejakulat enthalten sein. Stefan Lüpold interessiert sich vor allem dafür, welchen Zusammenhang es gibt zwischen der Größe von Tieren und ihrer Spermienmenge. Um das zu klären, machte er statistische Untersuchungen. Seine Berechnungen basieren auf Daten zur Spermienproduktion von 100 Säugetierarten - von der Maus bis zum Elefanten. Setzt man die Spermienmengen in Beziehung zur Größe des Geschlechtstraktes der jeweiligen Weibchen einer Art, bestätigt sich die sogenannte Verdünnungshypothese.
    "Die Verdünnungshypothese besagt, dass wenn Spermien einen großen weiblichen Geschlechtstrakt durchqueren müssen, dass das Risiko viel größer ist, dass sie unterwegs verloren gehen. Oder dass das Ejakulat als solches in diesem großen Volumen verdünnt wird. Und wenn das der Fall ist, müssen Männchen dafür kompensieren, indem sie größere Mengen an Spermien übertragen und so ins Rennen schicken. So dass sie garantieren können, dass genügend Spermien überhaupt bis in die Nähe der Eier kommen und dort um die Befruchtung der Eier wetteifern können."
    Große Tiere, mehr Spermien
    Stefan Lüpolds Daten zeigen: Je größer die Tiere sind, desto mehr Spermien produzieren sie. Die Zahlen steigen nicht nur absolut, sondern auch relativ gesehen. Das heißt: Ein doppelt so großer Hoden erzeugt unter Umständen viermal so viele Spermien. Das gilt vor allem für Arten, die damit rechnen müssen, dass ein Weibchen sich mit mehreren Männchen paaren wird. Dann herrscht echte Konkurrenz und jedes Männchen ist bestrebt, noch mehr eigene Spermien ins Rennen zu schicken. Das hat allerdings seinen Preis. Der Selektionsdruck, möglichst viele Spermien zu produzieren, um sich durchzusetzen, geht auf Kosten der Spermiengröße. So kommt es, dass Elefanten deutlich kleinere Spermien besitzen als zum Beispiel Mäuse. Lüpold:
    "Bei den Elefanten ist der weibliche Geschlechtstrakt sehr groß, den die Spermien durchqueren müssen. Und daher steigt das Risiko des Spermienverlusts oder der Spermienverdünnung. Und daher sind Männchen unter einem starken Selektionsdruck, möglichst viele Spermien zu übertragen. Und dies können sie nur tun, indem sie kleine Spermien produzieren wegen des Kompromisses zwischen Spermiengröße und Anzahl, die durch den Hoden einer gewissen Größe produziert werden können. Bei den Mäusen hingegen ist das Verlustrisiko viel kleiner. Und daher kann der Vorteil von längeren Spermien eigentlich erst wirklich ausgenutzt werden."
    Mäusespermien sind gute Sprinter
    Längere Spermien haben den Vorteil, schneller schwimmen zu können. Solche Sprinterqualitäten sind gerade im kleinen Geschlechtstrakt eines Mäuseweibchens von Nutzen, wenn es darum geht, schneller bei der Eizelle zu sein als die Spermien eines konkurrierenden Männchens. Die Evolution hat sich hier sogar noch einen besonderen Trick einfallen lassen. Viele Nagetierarten haben Spermien, die an ihrem Kopf hakenartige Fortsätze aufweisen, erklärt Lüpold:
    "Die genaue Funktion dieser Haken ist noch nicht ganz klar. Doch zumindest in gewissen Arten erscheint es, also ob es diese Haken den Spermien erlauben würden, sich gegenseitig an den Köpfen einzuhängen und so in Gruppen schneller zu schwimmen als einzelne Spermien."