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Verlorene Freunde
Viele nützliche Bakterien sind verschwunden

Schon seit längerem wissen Forscher, dass bei Menschen mit bestimmten Krankheiten auch die Bakteriengemeinschaft im Körper gestört ist. Wissenschaftler suchen nach Hinweisen darauf, warum sich diese Mikrobiota verändert hat. Nun haben kanadische Forscher das Miteinander im Darm von Ureinwohnern in Papua Neu Guinea mit der Darmflora US-Amerikaner verglichen und kamen zu einem erstaunlichen Ergebnis.

Von Christine Westerhaus | 17.04.2015
    Fastfood, saubere Toiletten und häufiges Händewaschen - das Leben eines US-Amerikaners unterscheidet sich grundsätzlich vom dem eines Ureinwohners in Papua Neu Guinea. Diese leben in Großfamilien, ernähren sich eher von ballaststoffreicher Nahrung und entleeren sich oftmals im Freien. Diese Unterschiede wirken sich offenbar auf das Miteinander ihrer Bakterien im Darm aus, wie Jens Walter von der University of Alberta in Kanada gemeinsam mit seinen Kollegen herausgefunden hat. Ursprünglich stammt der Biologe zwar aus Deutschland. Doch nach 15 Jahren im Ausland findet er es einfacher, auf englisch über seine Forschungsergebnisse zu sprechen.
    "Wir haben beobachtet, dass die Bakteriengemeinschaft im Darm der Ureinwohner Papua Neu Guineas vielseitiger ist. Bestimmte Bakterienstämme waren bei den untersuchten US-Amerikanern deutlich seltener oder ganz verschwunden. Das Bakterium Lactobacillus reuteri beispielsweise. In den 50er, 60er Jahren war dieser Keim in der menschlichen Darmflora noch sehr dominant, zumindest in Deutschland. Jetzt konnten wir ihn praktisch nicht mehr nachweisen."
    Ureinwohner haben andere Bakterien als Menschen in Industrienationen
    Die Forscher suchten in den Exkrementen der Studienteilnehmer nach den darin lebenden Bakterien. Dabei entdeckten sie auch, dass im Darm aller untersuchten Ureinwohner Papua Neu Guineas sehr ähnliche Mikrobengemeinschaften lebten. Die Mikrobiota der US Amerikaner hingegen war eher eigentümlich und setzte sich aus individuell unterschiedlichen Mikroben zusammen. Auch andere Forscher hatten bereits beobachtet, dass sich die Bakteriengemeinschaften sehr ursprünglich lebender Völker von Menschen in der westlichen Welt unterschieden. Doch Walter und seine Kollegen konnten diese Unterschiede erstmals dank mathematischer Modelle auf die Lebensumstände in der westlichen Welt zurückführen. Vor allem auf die Hygienestandards.
    "Unsere Studie legt nahe, dass der Austausch nützlicher Bakterien untereinander ein wichtiger Mechanismus ist, um das Gleichgewicht der Symbiose zwischen dem Menschen und seinen Bakterien zu erhalten. Ich glaube, was gerade in der westlichen Welt passiert ist, dass wir dieses Miteinander stören, weil wir Antibiotika schlucken, den nützlichen Bakterien den Nährboden entziehen, weil wir uns falsch ernähren und weil wir so hygienisch leben, dass wir kaum noch Bakterien untereinander austauschen."
    Störungen in der Bakteriengemeinschaft im Darm
    Unter unhygienischen Bedingungen können nützliche Bakterien viel leichter ausgetauscht und damit ersetzt werden, falls sie bei einem Menschen verloren gehen, meint Jens Walter. Und das könnte auch erklären, warum sehr ursprünglich lebende Menschen deutlich seltener an Zivilisationskrankheiten wie Asthma, Diabetes oder entzündlichen Darmerkrankungen leiden.
    "Es gibt diese Krankheiten in der westlichen Welt und wir wissen, dass sie mit Störungen in der Bakteriengemeinschaft im Darm zusammenhängen. Und jetzt zeigen uns Studien tatsächlich, dass viele nützliche Bakterien aus der Mikrobiota verschwunden sind, während gleichzeitig immer mehr Menschen in der westlichen Welt Zivilisationskrankheiten entwickeln. Wir haben zwar noch keinen direkten Beweis dafür, dass diese Krankheiten dadurch ausgelöst werden, dass Bakterien fehlen. Aber es gibt starke Hinweise darauf."
    Theoretisch wäre es also denkbar, bestimmte Zivilisationskrankheiten zu behandeln, indem man die Bakteriengemeinschaft wieder in ihren ursprünglichen Zustand versetzt. Beispielsweise durch eine Fäkal-Transplantation. Doch bevor solche Experimente gemacht werden, sollte klar sein, dass dabei keine Krankheiten übertragen werden, meint Jens Walter.
    "Sobald wir wissen, dass es ungefährlich ist, verloren gegangene Bakterien von einem Menschen auf den anderen zu übertragen, können wir darüber nachdenken. Ich denke, eines Tages werden wir das machen, aber momentan ist das noch Science Fiction."