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Vermeintliche Wissenschaftssensation
Die heiße Luft um die Kalte Fusion

Unerschöpflich, umweltfreundlich, einfach zu produzieren: Vor einem Vierteljahrhundert gaben zwei Chemiker bekannt, angeblich die Energiequelle schlechthin entdeckt zu haben. Letztendlich stellte sich die Sache mit der Kalten Fusion als Mär heraus. Es gibt sie nicht. Und dennoch lohnt ein Blick zurück.

Von Frank Grotelüschen | 25.03.2014
    Zwei Stromkabel mit Stecker sind in an einer Mehrfachsteckdose angeschlossen
    Schnell entstanden, schnell geplatzt: der Traum von der unerschöpflichen Energiequelle dank Kalter Fusion. (dpa / Tobias Hase)
    23. März 1989, Salt Lake City. Die Universität des Bundesstaats Utah hat zu einer Pressekonferenz geladen, offenbar gibt es eine wissenschaftliche Sensation zu vermelden. In Scharen sind die Journalisten in die Provinz geeilt. Jetzt lauschen sie gespannt, was ihnen zwei Chemiker präsentieren, Martin Fleischmann und Stanley Pons:
    "Wir haben eine dauerhafte Fusionsreaktion hergestellt. Wir haben Deuterium, eine schwere Variante von Wasserstoff, in einen Metallstab aus Palladium-Metall geleitet. Dort sind die Deuteriumkerne zu einem größeren Atomkern verschmolzen, zu Helium. Und dabei wurde eine bemerkenswerte Menge an Energie frei – deutlich mehr Energie, als wir hineingesteckt hatten."
    Die Reporter sind elektrisiert. An sich, so wissen sie, ist Kernfusion nur bei Extrembedingungen möglich: Nur wenn Druck und Temperatur unvorstellbar hoch sind, können Wasserstoffkerne zu Helium verschmelzen. Dann aber wird enorm viel Energie frei – Fusionsenergie, wie die Sonne sie liefert. Nun behaupten Pons und Fleischmann, die kontrollierte Kernfusion in ihrem Laborkeller geschafft zu haben – mit Reagenzkolben, Metallelektroden und ein paar Stromkabeln.
    "Es scheint so, als gebe es hier eine Möglichkeit, eine fortlaufende Fusionsreaktion mit einer relativ billigen Vorrichtung zu realisieren."
    Auch Amateurforscher versuchten sich
    Die Fachwelt wird von der Ankündigung kalt erwischt. Die Physiker bauen seit Jahrzehnten an Fusionsreaktoren, versuchen für Millionenbeträge zig Millionen Grad heiße Gase in komplizierte Apparaturen zu sperren. Dass es auch anders gehen könnte, gilt als undenkbar. Überall auf der Welt versuchen Forscherteams das Experiment von Fleischmann und Pons nachzuvollziehen, erinnert sich Frank Close, Physikprofessor in Oxford.
    "Der Versuchsaufbau schien so einfach, dass es nicht nur die etablierten Institute versuchten, sondern auch Amateurforscher in ihren Hobbykellern. Was dann grob gesagt passierte, war folgendes: Viele Amateure beobachteten irgendwelche Phänomene, die sie nicht so recht verstanden – und nahmen an, sie hätten die kalte Fusion reproduziert. Alle etablierten Labors aber bekamen nach einigen Wochen heraus, dass an der Sache nichts dran war. Und sie konnten nachweisen, dass Fleischmann und Pons gravierende Fehler unterlaufen waren."
    Offenbar haben Fleischmann und Pons schlampig gearbeitet. Sie haben Messfehler nicht berücksichtigt und ungenau berechnet, wie viel Energie in die Zelle hineinfließt und wie viel wieder herauskommt. Noch schwerer aber wiegt ein anderes Manko:
    "Wenn Sie es schaffen, Atomkerne zu verschmelzen, produzieren Sie zwangsläufig auch Radioaktivität in Form von Neutronen und Gammastrahlung. Hätten Fleischmann und Pons tatsächlich die von ihnen behauptete Energiemenge erzeugt, hätte es in ihrem Labor so viel Strahlung geben müssen, dass sie die Experimente kaum überlebt hätten."
    Missachtung wissenschaftlicher Gepflogenheiten
    Bald ist von Betrug die Rede, oder zumindest von wissenschaftlichem Fehlverhalten, sagt Klaus Fischer, Professor für Wissenschaftstheorie an der Universität Trier.
    "Erst mal enthielten sie der Fachgemeinschaft viele Informationen vor, die die Kollegen gebraucht hätten, um ihre Ergebnisse zu überprüfen."
    Statt sich an die wissenschaftlichen Gepflogenheiten zu halten und ihr Experiment ausführlich in einer Fachzeitschrift zu beschreiben, stellen es Fleischmann und Pons zunächst nur in groben Umrissen der Öffentlichkeit vor. Der Grund: eine panische Angst, jemand könne die vermeintliche Entdeckung stehlen und damit Kasse machen.
    "Die University of Utah hatte eine ganze Reihe von Patenten eingereicht. Fleischmann und Pons ebenso. Auch das Institut für Chemie war dabei. Der Profit sollte durch drei geteilt werden."
    Die Aussicht auf das große Geld ist es, die die Universität offenbar dazu veranlasst, den beiden Chemikern blind zu vertrauen – zumindest eine ganze Zeit lang.
    "Fleischmann und Pons haben ihre Karriere ruiniert. Die University of Utah hat sie letzten Endes entlassen."
    Die kalte Fusion gibt es nicht, da sind sich nahezu alle Fachleute sicher. Heute glaubt nur noch eine kleine Schar von Außenseitern an die Sache – das aber mit nahezu religiöser Inbrunst.
    "Wenn es klappt, wird die gesamte Menschheit davon profitieren, und zwar für alle Ewigkeit."