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Vermittler im Atomstreit, Partner in Eurasien

Von der EU hingehalten, von Russland neuerdings umworben und selbstbewusst wie nie: Die Türkei scheint Europa nicht zu brauchen - und spielt gar auf der politischen Vermittlerbühne beim Thema Iran eine nicht mehr unerhebliche Rolle. Eine Bestandsaufnahme.

Von Gunnar Köhne | 21.05.2010
    Am vergangenen Sonntag in Teheran: Drei Männer halten sich an den Händen und werfen sie wie zum Zeichen des Triumphs in die Luft. In der Mitte Irans Präsident Mahmoud Ahmadinedschad, rechts von ihm Brasiliens Staatschef Lula da Silva und auf der anderen Seite der türkische Premier Tayyip Erdogan. Die beiden nichtständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats Türkei und Brasilien hatten Teheran überredet, einem Kompromiss in der Atomfrage zuzustimmen – in der Hoffnung, damit drohende Sanktionen gegen das Land zu verhindern.

    Ob das gelingen wird, ist derzeit allerdings unklar, denn der Westen ist skeptisch. Er verdächtigt Teheran, heimlich am Bau einer Atombombe zu arbeiten. Ein Papier mit neuen Sanktionen, auf die sich die fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats bereits verständigt haben, liegt auf dem Tisch. Jetzt müssen die zehn nichtständigen Mitglieder, zu denen auch die Türkei zählt, darüber befinden.

    Die Haltung seines Landes in dieser Frage hat Tayyip Erdogan unlängst deutlich gemacht:
    "Gab es nicht bereits Sanktionen gegen den Iran? Zwei Mal wurden Sanktionen verhängt. Und? Haben die irgendetwas gebracht? Jetzt sollen ein drittes Mal Sanktionen verhängt werden und wir werden gefragt: Macht ihr da mit? Nur: Im UNO-Sicherheitsrat gibt es kein anderes Land, das direkter Nachbar des Iran ist. Beide Länder haben ein Handelsvolumen von zehn Milliarden Dollar. Nach Russland ist der Iran unser wichtigster Energielieferant. Sollen wir einfach so auf zehn Milliarden Kubikmeter Gas verzichten?"
    Außenminister Davutoglu warnt vor einer weiteren Vergiftung des Klimas im Falle neuer Sanktionen gegen den Iran. Das Vorgehen des Weltsicherheitsrates wird in der Türkei als Affront betrachtet, konterkariert es doch die eigenen Vermittlungsbemühungen.
    Der Umgang mit dem Iran könnte also zum Testfall für die türkisch-amerikanischen und türkisch-europäischen Beziehungen werden. Eines zeigt die Angelegenheit jedenfalls deutlich: In Ankara pflegt man ein neues außenpolitisches Selbstverständnis: Die Türkei sieht sich als wirtschaftliche und politische Macht, ohne die in dieser Region weder Europa noch Amerika etwas ausrichten können.

    Die Übereinkunft, die man zu Beginn der Woche in Teheran so stolz präsentierte, sieht vor, dass in der Türkei 1.200 Kilogramm iranisches Uran mit einem niedrigen Anreicherungsgrad gelagert werden. Im Gegenzug soll Teheran 120 Kilogramm höher angereichertes Uran zu medizinischen Forschungszwecken erhalten. Türkischen Medien zufolge, will Iran bereits in einem Monat mit dem Tauschhandel beginnen. Ein Schritt, den die Partner Iran und Türkei mit Blick auf den UNO-Sicherheitsrat als Entgegenkommen verstanden wissen wollten. Komme es jetzt dennoch zu Sanktionen, so verlautet es aus dem Iran, werde auch nichts aus dem Tauschhandel.

    Rückblende: Erdogan war Sonntagfrüh in die iranische Hauptstadt geflogen, um den von seinem Außenminister Ahmet Davutoglu maßgeblich eingefädelten Kompromiss zu besiegeln. Lange hatte sich der Iran einer solchen Lösung verweigert. Nun willigte Ahmadinedschad in den Uran-Tausch in der Türkei ein - vielleicht auch eine Geste an Erdogan persönlich. Denn dieser hatte sich im Streit über das iranische Atomprogramm beharrlich vom übrigen Westen abgesetzt und immer wieder darauf hingewiesen, dass man nicht von Irans Atomplänen reden und von Israels mutmaßlicher Atombewaffnung schweigen könne:
    "Jeder sollte das Recht haben, Atomenergie zu besitzen. Aber Atomwaffen wollen wir in unserer Region nicht haben. Nun gibt es aber bereits Atomwaffen in unserer Region. Dieses Land wird aber nicht kritisiert."
    Heftige Kritik an Israel, wohlwollende Worte über Irans Diktator, den Erdogan sogar 'einen Freund' nennt. Im Westen beginnt man, sich über die außenpolitische Orientierung der Türkei Sorgen zu machen. Wendet sich das NATO- und EU-Beitrittskandidatenland vom Westen ab? Nein, sagt Suat Kiniklioglu, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Parlaments in Ankara für die gemäßigt-religiöse "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung", AKP. Für sein Land sei aber die Zeit gekommen, in der Weltpolitik eine größere Rolle zu spielen:
    "2002 hatte die Türkei kein Selbstbewusstsein, sie hatte gerade eine schwere Wirtschaftskrise hinter sich. Dann wuchs die Wirtschaft des Landes fünf Jahre in Folge um je 7,5 Prozent. Heute ist das Land Beitrittskandidat der EU, es ist Mitglied im UNO-Sicherheitsrat und der G-20. Wir glauben, wir haben heute die Stärke, um eine größere Rolle anzunehmen."
    Diese Ambitionen zeigten sich auch bei einem anderen Zusammentreffen nur wenige Tage vor dem Teheraner Gipfel. Der russische Präsident Medwedjew stattete der Türkei einen Staatsbesuch ab – und auch hier ging es um das Thema Atom.
    Am Ende des Besuchs unterzeichneten beide Länder einen Vertrag über den Bau des ersten Atomkraftwerks in der Türkei. In der Nähe des türkischen Mittelmeerhafens Mersin werden die russischen Firmen Rosatom und Atomstroyexport einen rund 16 Milliarden Euro teuren Reaktor errichten und zunächst auch selbst betreiben. Ein ähnliches Projekt haben die Russen bereits in Syrien geplant. Und auch die Nuklearanlage Buschehr im Iran, die im August den Betrieb aufnehmen soll, wurde von den russischen Unternehmen gebaut. Die Energieversorgung im Nahen Osten gerät zunehmend in russische Hand, fürchten viele. Und Umweltschützer warnen vor einer zivilen atomaren Aufrüstung der ganzen Region. Hilal Atici von Greenpeace Türkei:
    "In der Region raufen sich die Anbieter von Atomkraftwerken um Aufträge. Die Russen bauen im Iran und Syrien, die Franzosen in Marokko. Und jetzt sagt die Türkei: Ich will auch zu den Atomländern gehören. Aber wir haben schon vor zehn Jahren den Bau eines AKWs an der türkischen Mittelmeerküste gestoppt. Mithilfe der Menschen vor Ort wird uns das auch dieses Mal gelingen."
    Doch nicht bloß über die umstrittene Atomkraft wurde bei Medwedjews Besuch in Ankara gesprochen. Auch die Pipeline "South Stream", über die Russland durchs Schwarze Meer via die Türkei Öl nach Europa leiten will, scheint beschlossene Sache zu sein. Diese Rohrleitung soll die türkischen Meerengen Bosporus und Dardanellen entlasten, über die heute ein Großteil des russischen Erdöls und Gases verschifft wird.
    Während des Besuchs des russischen Präsidenten schlossen beide Staaten insgesamt 20 Verträge im Bereich Energie, Handel und Tourismus - Wirtschaftsverträge mit einem Investitionsumfang von mehr als 20 Milliarden Euro. Überraschend wurde auch die Aufhebung der gegenseitigen Visapflicht vereinbart – dadurch könnte sich die Zahl russischer Touristen in der Türkei – so die Prognosen – binnen eines Jahres verdoppeln. Das bilaterale Handelsvolumen beider Länder soll bis 2015 auf 60 Milliarden Euro verdreifacht werden. Damit würde Russland Deutschland als wichtigsten Handelspartner der Türkei weit hinter sich lassen.
    Lange Zeit sahen sich Russland und die Türkei als regionale Rivalen. Den Herrschern im Kreml war die türkische Kontrolle über die Meerengen immer ein Dorn im Auge gewesen. Bosporus und Dardanellen waren für ihre Flotte die einzige Passage zu den eisfreien Schwarzmeerhäfen.

    Als Ankara nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verwandtschaftliche Bande zu den zentralasiatischen Turkrepubliken entdeckte, sah Moskau dies als Einmischung in die Angelegenheiten ihres Hinterhofes an.
    Die Türkei beschuldigte Russland, die muslimischen Minderheiten in Tschetschenien und Inguschetien zu unterdrücken. Doch heute kommen sich beide Länder im Kaukasus nicht länger in die Quere. Die Türkei akzeptiert vorerst die politischen Vormachtansprüche Russlands in der Region und beschränkt sich auf den Ausbau wirtschaftlicher Beziehungen mit den kaukasischen Nachbarn. Im Gegenzug beobachtet Moskau kommentarlos die Annäherung der Türkei an Armenien und die Entwicklung von Pipeline-Projekten vom Kaspischen Meer, bei denen Russland außen vor bleibt. Der AKP-Außenpolitiker Suat Kiniklioglu:
    "Das heute gute Verhältnis zu Russland hat wesentlich mit dem ausgezeichneten Verhältnis zwischen den beiden Führern tun. Man vertraut einander; was vereinbart wird, wird auch gehalten. Das ist etwas, was im Verhältnis zu anderen Staatsoberhäuptern fehlt."

    Das autokratisch geführte Russland findet zunehmend Freunde in der Türkei – insbesondere im streng kemalistischen Lager und in nationalistischen Militärkreisen. Mancher General sieht mit Gefallen wie Russland seine Interessen bedenkenlos gegen den Westen durchsetzt. Für sie ist ein loses Bündnis mit Moskau eine denkbare Alternative zur Europäischen Union. Das russische Demokratieverständnis ist ihnen übrigens genauso suspekt wie die Frömmigkeit der Araber und Iraner. Zu Zeiten des Schah sahen sich beide, die Türkei und der Iran, als Verbündete: westorientiert und säkular. Nach der islamischen Revolution 1979 fürchtete Ankara lange eine "radikale islamistische Ansteckung" aus dem Nachbarland, die Beziehungen zum Iran wurden mehr oder weniger eingefroren.
    Doch unter der muslimisch-konservativen Regierung Erdogan ist der Iran wieder zum gleichwertigen Partner aufgestiegen. Die Türkei gemeinsam mit dem Iran und Russland – ist das eine neue Eurasische Achse? Den Istanbuler Politologen Soli Özel ließ aufhorchen, dass während Medwedjews Besuch von einer "strategischen Partnerschaft" die Rede war:
    "In der Regierungspartei sehen manche die Beziehungen zu Russland tatsächlich als strategisch an. Dazu kommt, dass wir im Umgang mit dem Iran unsere westlichen Partner vor den Kopf stoßen und uns die Frage stellen lassen müssen, auf welcher Seite wir stehen, wenn es doch noch zu Sanktionen des UNO-Sicherheitsrates gegen Teheran kommen sollte. In beiden Fällen zeigen wir eine Haltung, die besagt: Das ist unsere Region und wir werden hier unsere eigene Rolle spielen."
    Dieses Gefühl der Stärke wird zusätzlich gestützt durch die immer größer werdende Rolle, welche die Türkei mittlerweile als Energietransitland einnimmt. Zahlreiche wichtige Öl- und Gaspipelines führen durch türkisches Territorium gen Westen. Europas Energieversorgung hängt zunehmend auch von der Türkei ab. Beispiel: die geplante Nabucco-Pipeline:
    Die EU setzt große Hoffnungen in diese Gaspipeline, die von Aserbaidschan, über Georgien, die Türkei weiter bis nach Österreich führen soll. 2013 soll sie bereits fertiggestellt sein, die Verträge sind unterschrieben, die acht Milliarden Euro Kosten aufgebracht, heißt es. Ankara bemüht sich derzeit in Verhandlungen mit Aserbaidschan sicherzustellen, dass genügend Gas in die Röhre eingespeist werden wird. Der Türkei winken jährlich dreistellige Millioneneinnahmen aus Transitgebühren.
    Überhaupt vermuten manche Beobachter hinter der neuen außenpolitischen Ausrichtung der Türkei – Motto: Null Probleme mit den Nachbarn - vor allem wirtschaftliche Motive. Im Gegensatz zu ihren Nachbarländern steht die türkische Wirtschaft solide da – die Wachstumsraten bewegen sich wieder auf die Sechs-Prozent-Marke zu. Und dies auch deshalb, weil sich türkische Unternehmer mehr und mehr auf die östlich gelegenen Märkte und den Balkan konzentrieren. 20 Prozent aller türkischen Exporte gehen heute in Länder des Nahen und Mittleren Ostens – 2004 waren es nur 12 Prozent. Türkische Firmen bauen Universitäten im Irak, Flughäfen in Georgien, brauen alkoholfreies Bier im Iran und betreiben Mobilfunknetze in Moldawien.
    Auch beim großen Nachbarn Iran erhofft sich die Türkei mehr Geschäftsmöglichkeiten: 2004 verhinderten Hardliner in Teherans Parlament zwei große Geschäftsabschlüsse mit türkischen Firmen. Es ging um den Bau eines neuen Flughafens in Teheran und die Gründung eines Mobilfunknetzes. Die Gegner der Türkei machten Sicherheitsbedenken geltend – wegen Ankaras gutem Verhältnis zu Israel. Solche Einwände gegen Geschäfte mit der Türkei wären aber derzeit schwer vorstellbar. Schließlich stehen sich Israel und die Türkei seit der heftigen Kritik Erdogans am Gazakrieg nahezu feindselig gegenüber.
    Auf der anderen Seite lockt die Türkei durch seine Öffnung gen Osten immer mehr Investoren aus dem Nahen Osten und Russland an. So kommen die größten Geldgeber für Immobilienprojekte in Istanbul und an der türkischen Mittelmeer-Riviera mittlerweile aus Russland oder den arabischen Golfstaaten.

    Dennoch: Neben dem wirtschaftlichen ist unübersehbar auch das politische Gewicht der Türkei zwischen Balkan und Persischem Golf gewachsen. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu, vormalig ein renommierter Hochschulprofessor, eilte in den vergangenen Monaten von einer Mission zur nächsten. Mit Syrien vereinbart er Visa-Freiheit, im kurdisch dominierten Nord-Irak kündigt er eine konsularische Vertretung seines Landes an und in Griechenland bereitet er den historischen Besuch seines Chefs vor. Während des zweitägigen Besuchs Erdogans im krisengeschüttelten Athen vergangene Woche wurden mehr als 20 Kooperationsabkommen unterzeichnet. Erstmals fand eine gemeinsame Kabinettsitzung beider Regierungen statt – das wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen.
    Die neue türkische Außenpolitik zeigt sich vor allem in den Gegenden besonders umtriebig, die einstmals zum Osmanischen Reich gehörten und sich von Nord-Afrika bis zum Balkan erstrecken. Das Schlagwort einer "neo-osmanischen" Außenpolitik Ankaras macht die Runde. Die Regierung weist diesen Verdacht zurück, man wolle Frieden, Wachstum und Stabilität für die Region fördern.
    Außenminister Davutoglu vergleicht die neue "multidimensionale Außenpolitik" der Türkei mit der westdeutschen "Ostpolitik" unter Willy Brandt. Sie diene letztlich auch dem europäischen Interesse an Frieden und Stabilität. Statt arm und bedrohlich solle die Region mit türkischer Hilfe wohlhabend und sicher werden.
    Europa spielt in der neuen türkischen Außen- und Wirtschaftspolitik, so scheint es, nur noch eine zweitrangige Rolle. Darin zeigt sich nicht nur die schon seit etlichen Jahren vorherrschende Enttäuschung über Europa und insbesondere über das Gespann Merkel-Sarkozy, von dem immer wieder zu hören ist, die Türkei gehöre gar nicht in die EU. Die Beitrittsverhandlungen verlaufen schleppend, gerade einmal zehn von 35 Verhandlungskapiteln wurden mit der Türkei seit 2004 eröffnet, erst eines – Wissenschaft und Forschung - konnte abgeschlossen werden.
    Zum Gefühl, nicht wirklich willkommen zu sein und immer bloß hingehalten zu werden, gesellt sich ein neues Element: Der Glaube, immer weniger auf Europa angewiesen zu sein. Die Türkei, bemerkte ein türkischer Kommentator, habe sich nicht von Europa abgewendet, aber sie schaue auch nicht mehr dorthin.
    So verwundert es nicht, dass die Begeisterung der Türken für Europa nach neuesten Umfragen einen Tiefpunkt erreicht hat. 81 Prozent der in einer Studie Befragten sind inzwischen der Meinung, das Ziel der EU sei es, das Christentum zu verbreiten.
    Iran statt Israel, Russland statt Brüssel. Wendet sich die Türkei vom Westen ab und Russland und dem Nahen und Fernen Osten zu? Noch lässt sich diese Frage nicht abschließend beantworten. Sicher ist: Die Türkei versucht, sich von Europa zu emanzipieren und ist entschlossen, ihre außenpolitischen Optionen zu mehren. Sie füllt im Nahen Osten eine Lücke als "Soft Power", als Zivilmacht, nachdem die USA und mit ihr der ganze Westen mit ihrer interventionistischen Politik gescheitert sind. Doch Hüseyin Bagici, Professor für Internationale Beziehungen in Ankara, schreibt, der Westen, vor allem Europa habe keinen Grund zur Sorge:
    Die Türkei ist, mit Ausnahme Israels, die einzige funktionierende Demokratie und Marktwirtschaft im gesamten Mittleren Osten. Die Frage ist nicht, wer hier wen braucht, sondern vielmehr, wie die Türkei und die EU in dieser Region gemeinsam zur Schlichtung der Konflikte und zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen können. ... Die Türkei geht dabei dem Westen nicht verloren, im Gegenteil. Denn die Türkei propagiert gemeinsame Werte im Nahen Osten. Die Türkei sieht sich als Vertreterin der Demokratie in der Region und bleibt im Westen verankert, auch unter Tayyip Erdogan.
    Um bei ihren Nachbarn und Partnern allerdings glaubwürdig als Vorbild und Vermittler auftreten zu können, müsste die Türkei ihre eigenen schwelenden innenpolitischen Konflikte lösen. Doch davon ist das Land noch weit entfernt – was man an der Kurdenfrage oder dem andauernden Machtstreit zwischen Kemalisten und religiösen Kräften sehen kann. Den außenpolitischen Erfolgen Erdogans steht eine lange Reihe unerfüllter innenpolitischer Reformversprechen gegenüber.

    In Washington und Brüssel dagegen sollte man sich nach Ansicht von Ian Lesser, Türkei-Experte beim German Marshall Fund, über Folgendes Gedanken machen:
    "Es geht nicht um Ost oder West, um die Islamische Welt oder um Eurasien. Die Türkei definiert ihre außenpolitischen Interessen neu und ähnelt dabei immer mehr Brasilien, Indien, China oder Russland. Sie bewegt sich in Richtung der blockfreien Staaten. Noch vor zehn Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass die Türkei so einen Weg gehen würde."