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Vermittlungsausschuss
Schlichtungsstelle der Demokratie

Erbschaftssteuer-Reform, Digitalpaket, Hartz IV: Wenn es im Gesetzgebungsverfahren Streit gibt, ziehen Parlament und Länderkammer in den Vermittlungsausschuss. Hier werden Kompromisse zwischen Bundestag und Bundesrat gesucht und meist auch gefunden. Es geht um die Sache, aber auch um gute Kondition.

Von Mathias von Lieben | 24.01.2019
    Die Mitglieder des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat verhandeln am 08.09.2016 im Bundesrat in Berlin über die Reform der Erbschaftsteuer.
    Der Vermittlungsausschuss verhandelt über die Reform der Erbschaftsteuer (dpa / Rainer Jensen)
    Während einer Bundestagsdebatte im Jahr 2014 beschrieb Sigmar Gabriel, damaliger SPD-Vorsitzender, den Vermittlungsausschuss wie folgt:
    "Vermittlungsausschuss heißt: Wer zu früh müde wird, verliert."
    Er sprach aus Erfahrung: Während seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident war er von 2001 bis 2003 für die Bundesrats-Seite einer der beiden Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses. Sein Nachfolger damals: der Bremer SPD-Politiker Henning Scherf. Er sagt heute:
    "Schlafen ist nicht gut. Ich zum Beispiel trinke ja nur heißes Wasser. Also man muss konditionell gut drauf sein. Nüchtern bleiben ist richtig!"
    Konstituierende Sitzung am 30. Januar 2019
    Am 30. Januar kommt der Vermittlungsausschuss zu seiner konstituierenden Sitzung in dieser Legislaturperiode zusammen. Anlass sind mehrere strittige Änderungen am Grundgesetz, durch die der Bund im Bereich der Bildung oder des sozialen Wohnungsbaus auf Länderebene mitreden könnte.
    Die Länder im Bundesrat sehen nicht nur den Föderalismus in Gefahr, sondern stören sich auch an einem Passus, der bei gemeinsamen Bund-Länder-Projekten zukünftig eine 50/50-Finanzierung vorschreiben würde. Der Bundestag wiederum hat dem Vorhaben bereits zugestimmt. Was nun?
    "Wenn sich dann keine gemeinsame Linie findet, wenn der Bundesrat dem Bundestagsvorschlag nicht zustimmen möchte, gibt es die Möglichkeit den Vermittlungsausschuss anzurufen, in dem dann Vertreter aus beiden Gremien sitzen, um einen Kompromiss zu finden. Um dann am Ende eben doch noch eine Lösung zu finden, der sowohl Bundesrat als auch Bundestag zustimmen können", sagt Sophie Schönberger, Professorin für Öffentliches Recht an der Uni Düsseldorf.
    Gremium zwischen Bundestag und Bundesrat
    Zusammengesetzt ist der Vermittlungsausschuss aus 32 ordentlichen Mitgliedern: 16 aus dem Bundesrat – meistens in Person der Ministerpräsidenten und -präsidentinnen. Und 16 aus dem Bundestag, benannt entsprechend der Fraktionsstärke. Die Union hat sechs Sitze, die SPD drei, Linke, FDP und AfD zwei – und die Grünen einen. Für diem Ausschuss:
    "Ich glaube die Briten sagen: Best of both worlds. Man muss eben versuchen, bei unterschiedlichen Interessenslagen, das jeweils beste rauszuverhandeln. Ist ja auch klar, dass die Länderinteressen darin bestehen, möglichst viel Geld vom Bund zu bekommen, für eine gewisse Umsetzung vor Ort. Und der Bund hat natürlich immer auch ein Interesse, dass er weiß, was mit dem Geld gemacht wird. Ein Kompromiss sinnvoller Teil einer demokratischen Entscheidungsfindung."
    Michael Grosse-Brömer, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
    Michael Grosse-Brömer sitzt für die Union im Ausschuss (dpa-Bildfunk / Kay Nietfeld)
    32 Mitglieder sitzen im Vermittlungsausschuss
    Wird ein Konsens gefunden, gilt für Bundestag und Bundesrat: Ergebnis annehmen oder ablehnen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Was die 32 Mitglieder jedoch zuvor aushandeln und wie sie das tun: streng vertraulich, der Ausschuss tagt hinter verschlossenen Türen. Nur so sei es möglich, Kompromisse auszuhandeln, sagen Befürworter. Jedes Mitglied im Vermittlungsausschuss darf innerhalb einer Wahlperiode daher auch nur viermal ausgewechselt werden. Bei den Sitzungen mit dabei sind außerdem Geschäftsführer Georg Kleemann und seine Mitarbeiter sowie je ein Vertreter pro Ministerium und Kanzleramt.
    Scherf: "Man muss sich ertragen – auch in seiner Unterschiedlichkeit"
    Tagesordnung aufrufen, die Punkte abarbeiten, Arbeitsgruppen einberufen. Den Ablauf der Sitzungen hat der ehemalige Ausschussvorsitzende Scherf noch gut in Erinnerung:
    "Dann reden sie alle und dann muss der Vorsitzende sehen, dass sie bitte irgendwann mal aufhören zu reden. Warum halten Sie hier so lange Reden? Die kennen wir doch alle schon. Nun kommen Sie doch mal zu Potte. Also der Vorsitzende muss darauf drängen, dass das nicht so ausartet. Man darf nie kränken, man muss es fröhlich halten. Man muss sich ertragen – auch in seiner Unterschiedlichkeit."
    Bildnummer: 58074736 Datum: 29.05.2012 Copyright: imago/Michael Bahlo Henning Scherf, der ehemalige Bürgermeister und Senator von Bremen am 29.05.2012 ist u.a. Autor des Buches Grau ist bunt: Was im Alter möglich ist und lebt auch heute noch in einer Wohngemeinschaft.
    Henning Scherf erzählt aus dem Vermittlungsausschuss
    Der Bremer SPD-Politiker Henning Scherf war von März 2003 bis zum Ende seiner Amtszeit Vorsitzender des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat. Für das Dlf-Magazin blickt er Hinter die Kulissen und erzählt exklusiv aus dem Vermittlungsausschuss.

    Am Schluss wird abgestimmt - die einfache Mehrheit entscheidet. Gerade in Zeiten gegensätzlicher Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat kommt dem Vermittlungsausschuss eine entscheidende Rolle zu. Die Zahl seiner Anrufungen ist dann oft ein Indiz für die Härte der politischen Auseinandersetzung.
    Strittige Gesetzesvorhaben wie Hartz IV auf der Agenda
    Ein Rückblick: Von 2002 bis 2005 wurde der Vermittlungsausschuss gemessen an der Zahl der Gesetzesvorhaben bisher am häufigsten angerufen: 102 Mal. Um 100 Gesetze ging es dabei, beschlossen vom Bundestag mit seiner rot-grünen Mehrheit unter Kanzler Gerhard Schröder, oft gestoppt vom schwarz-gelb-dominierten Bundesrat. Jedes vierte der knapp 400 vom Bundestag beschlossenen Gesetze landete im Vermittlungsausschuss. Was auch daran lag, dass strittige Gesetzesvorhaben auf der Agenda standen. Stichwort Hartz IV, sagt Henning Scherf:
    "Bei den Hartz-Gesetzen musste ich alles vermitteln, oh Gott. Da haben wir eine Woche jede Nacht bis morgens um halb fünf getagt. Die waren völlig k. o.. Die Journalisten draußen, die uns belagert hatten, die schliefen alle auf dem Fußboden. Das war wie so ein Heerlager."
    Besprochen wurde damals viel hinter den Kulissen. Die Unionsmehrheit des Bundesrates hatte die Arbeitsmarktreform der rot-grünen Bundesregierung in ihrer ersten Form zu Fall gebracht – das Gesetzespaket ging in den Vermittlungsausschuss. Das hieß: Nachtsitzungen. So konnte die Union an den Gesetzen mitschreiben, erinnert sich Henning Scherf:
    "Frau Merkel war als Fraktionsvorsitzende im Vermittlungsausschuss. Und Westerwelle war als Fraktionsvorsitzender der FDP im Vermittlungsausschuss. Die haben sich für die Hartz IV-Gesetze in den Vermittlungsausschuss wählen lassen. Das war ihnen so wichtig. Das war schon unglaublich."
    Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber (r) und der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle (l) werden am 14.12.2003 in Berlin vor Beginn der Sitzung des Vermittlungsausschusses von Journalisten interwievt. 
    Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber (r) und der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle (l) geben Antworten vor Beginn des Vermittlungsausschusses im Jahr 2003 (Zentralbild)
    Keine klassische Blockbildung mehr
    Im Vergleich zu den 90er-Jahren und der Zeit der Hartz-Reformen tagt der Vermittlungsausschuss heute nicht mehr so regelmäßig. Was auch daran liegt, dass es die klassische Blockbildung früherer Zeiten nicht mehr gibt. Von 1990 bis 1998 gab es im Bundestag zum Beispiel eine schwarz-gelbe Mehrheit unter Kanzler Helmut Kohl, im Bundesrat dominierte rot-grün. Knapp 16 Prozent aller Gesetzesvorhaben landeten so im Vermittlungsausschuss – oft ohne finale Einigung. Heute sei die Lage ganz anders, sagt Juristin Schönberger:
    "Dazu ist es natürlich so, dass sich die Parteienlandschaft differenziert hat. Dass der Bundesrat auch bunter zusammengesetzt ist und gar nicht mehr so klar ist, wo eigentlich die Blöcke sind. Das führt dann zu dem interessanten Effekt, dass der Bundesrat heute vielleicht sogar näher an seiner ursprünglichen Idee ist als früher und stärker wieder föderale Interessen und nicht parteipolitische Interessen vertritt."
    Ein gutes Beispiel dafür laut Schönberger: die Grundgesetzänderung rund um den Digitalpakt. Was sich aber bis heute nicht verändert hat: Auch die kommenden Sitzungen des Vermittlungsausschusses könnten sich wieder einmal bis spät in die Nacht ziehen.