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Vernachlässigt, vergessen, verhungert

Die Schlagzeilen der vergangenen Wochen suggerieren eine Zunahme von Kindestötungsdelikte. Doch ein Blick auf die Kriminalstatistik zeigt, dass das nicht stimmt. Gestiegen sind hingegen die Fallzahlen von Kindesmisshandlung und -vernachlässigung. Inwieweit taugen zum Beispiel verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen bei Kinderärzten als Kontrollinstrument? Reichen die Mittel von Jugendämtern aus oder genügt eine neue "Kultur des Hinsehens"?

Eine Sendung von Katja Bigalke, Christoph Gehring | 18.12.2007
    "Jetzt habe ich die Mama gesehen. Kam sie selber? Oder war sie geschickt? Zuerst hatte die Oma angerufen, also
    ihre Mama, und hat gesagt, dass sie sich um ihre beiden Enkelkinder Sorgen macht, dass die Mama es nicht ausreichend hinkriegt."
    Ein Mal in der Woche treffen sich die acht Mitarbeiter des Kinderschutzzentrums München, um sich auszutauschen. Der Leiter der Beratungsstelle, Michael Nitsch, bespricht mit seiner Kollegin Kerstin Dawin den Fall einer jungen Mutter, die mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert scheint. Wie so oft kam der erste Kontakt über die Großeltern zustande; manchmal rufen auch Nachbarn an; häufig wendet sich eine Kindergärtnerin oder Lehrerin an das Kinderschutzzentrum und bittet um Hilfe.

    "Die Mama findet ihre Kinder einfach schwierig, weil es bei den Hausaufgaben oft eskaliert und sie den Großen da schon ein paar Mal geschlagen hat."

    Im Fall der allein erziehenden Mutter ist die wichtigste Hürde genommen: Der Kontakt ist geknüpft, ein erstes Beratungsgespräch hat stattgefunden. Sozialpädagoge Nitsch ist froh um jede so genannte Risikofamilie, von der er und seine Mitarbeiter wissen.

    "Gemeint sind Multiproblemfamilien; Familien, in denen sich eine Vielzahl von Belastungen anhäufen, es geht um die Finanzen, es geht um eine Perspektivlosigkeit, wo die Familien es nicht mehr schaffen, täglich, auch in der Versorgung ihrer Kinder, ihren Kindern gerecht zu werden. 90 Prozent aller Familien, in denen schwere Vernachlässigung stattfindet, sind arme Familien."
    Der Kinderschutzbund schätzt, dass in Deutschland rund 2,5 Millionen Kinder unter Soziahilfeniveau leben. Selbst im "reichen" München kennt das städtische Sozialreferat 27.000 Haushalte, die ihren Alltag ohne fremde Hilfe nicht mehr in den Griff bekommen. In mehr als der Hälfte davon leben Kinder unter 15 Jahre. Allein in den letzten drei Jahren - also nach Einführung von Hartz IV - hat die Zahl der Haushalte, die betreut werden müssen, um zehn Prozent zugenommen.

    "Wir haben pro Jahr etwa zwischen 800 und 1.000 Familien, die sich an uns wenden. Wir haben immer so im Schnitt 350 Langzeitfälle, die wir hier betreuen können, die anderen sind die Telefonberatungen. Insgesamt steigt der Bedarf. Und es steigt vor allem der Bedarf der Familien, die langfristig intensive Betreuung brauchen."
    Vernachlässigte, misshandelte, auch missbrauchte Kinder - in immer mehr Familien spitzen sich die Probleme zu. Für den Blick hinter die Kulissen braucht es viel Erfahrung. Nach 20 Berufsjahren weiß Michael Nitsch, wovon er spricht. Er kann unterscheiden zwischen der Mutter, die der Tochter im Affekt mal eine Ohrfeige verpasst und dem Mutter-Kind-Verhältnis, das schon chronisch gestört ist.

    "Chronisch heißt, dass bei der Mutter spürbar war, das geht schon wirklich über eine lange, lange Zeit. Da war von Anfang an die Geschichte, wo es zwischen der Bindung Mutter und Tochter nicht so wirklich geklappt hat und sie innerlich schon eher in Vorwürflichkeiten hin zu ihrer kleinen Tochter gerät und sie gar nicht mehr als ein bedürftiges kleines Kind sehen kann, sondern nur mehr als den kleinen Tyrannen, der aus Fleiß, mit Absicht versucht, sie fertigzumachen und dass so eine Eskalationskurve sich entwickelt hat: Entweder überlebe ich oder du überlebst."

    Die Hilfen, die das Kinderschutzzentrum bieten kann, reichen von der Haushaltshilfe bis zur Hausaufgabenbetreuung, vom Erziehungstipp bis zur Vermittlung eines Krippenplatzes. Aber - es gibt auch Krisensituationen, bei denen es besser ist, das Kind zum eigenen Schutz vorübergehend aus der Familie zu nehmen.

    "Es können sehr unterschiedliche Situationen sein: Massive Beziehungskonflikte, wo die Kinder hin und her gerissen sind. Kann sein, dass jemand aufgefallen ist, dass die Kinder immer wieder ohne Socken zur Schule kommen, obwohl es Winter ist. Dann können die Eltern aufgrund von Arbeitslosigkeit, wenig Geld, Alkoholproblemen oder so in so schwierige Situationen kommen, dass sie völlig überfordert sind und selber Angst davor haben, den Kindern auch was anzutun."

    Kerstin Schwäbisch, ist Familientherapeutin und leitet das Kinderschutzhaus in München, ein altes, bunt gestaltetes Gebäude, gelegen in einer ruhigen Straße nahe dem Schloss Nymphenburg, das Platz für neun Kinder bietet.

    "Seit Herbst letzten Jahres kann man sagen, sind wir voll belegt. Ich denke, letztes Jahr dieser Fall Kevin, dass das schon auch eine Rolle spielt, also dass man aufmerksamer guckt. Im Moment ist das jüngste Kind vier und das älteste 13."

    Die Kinder sollen weiterhin regelmäßig Kontakt zu ihren Eltern haben. Denn: Ziel ist es, die Kinder nach spätestens sechs Monaten wieder nach Hause zu schicken.

    "Das passiert nicht plötzlich von einem auf den anderen Tag, sondern es gibt als erstes die Besuche, vielleicht manchmal sogar begleitete Besuche im Haus. Dann kommen Wochenendbesuche mit Übernachtungen. Dann gehen sie auch mal von zuhause aus in die Schule. Das sind ganz kleine Schritte, die aufbauen bevor so ein Kind in die Familie zurückgeführt wird. Und trotzdem bleibt die Angst, klappt es oder klappt es nicht. Und die Kinder fragen auch, wenn es nicht klappt, was soll ich dann machen?"

    In Berlin gibt es für Fälle wie diese einen eigenen Notruf und ein Kommissariat, das sich speziell um "Delikte an Schutzbefohlenen" kümmert. Die Beamten von Dezernatsleiter Hans Joachim Blume sind immer häufiger im Einsatz:
    Manchmal ist es Rettung in letzter Minute. 1.600 Kinder - unterernährt, weggesperrt, mit schlimmen Verletzungen - wurden von den Polizisten allein in diesem Jahr in Berliner Wohnungen gefunden.

    Haben solche Delikte zugenommen? Nimmt man die öffentliche Meinung als Maßstab, scheinen Kinder in Deutschland immer häufiger gefährdet zu sein. Die Kriminalstatistik ist differenzierter. Waren im Jahr 2000 noch 290 Kinder Opfer von Tötungsdelikten, so sank deren Zahl im vergangenen Jahr auf 202.
    Gestiegen sind hingegen die Fallzahlen von Kindesmisshandlung und -vernachlässigung. Sie haben sich in den letzten drei Jahren in Berlin fast verdreifacht. Diese Zahlen sind jedoch auch ein Resultat verstärkter Aufklärung und Sensibilisierung, meint Hans Joachim Blume:

    "Rein statistisch registrieren wir mehr Fälle, ich wage es aber zu bezweifeln, dass die absolut zugenommen haben. Auch in den letzten 14 Tagen hat die Zahl von Anzeigen von Misshandlung überproportional zugenommen. Das heißt, immer dann, wenn spektakuläre Fälle auftauchen, ändert sich das Aufmerksamkeitspotential der Bevölkerung und man entschließt sich dann die Polizei einzubinden."

    In Berlin war es die Polizei selbst, die die Bevölkerung zur Mithilfe mobilisierte. Vor zwei Jahren startete eine mit privaten Spenden finanzierte Kampagne mit Plakaten, auf denen Holzkreuze und Babyflaschen zu sehen waren, dazu zwei Zeilen: "Geboren, gequält, gestorben. Täglich werden Kinder misshandelt." Die Plakate hängen heute in Polizeidienststellen, Ämtern, Schulen. Und die dort aufgedruckte Telefonnummer, wo man solche Verdachtsmomente der Polizei mitteilen kann, wird immer häufiger gewählt.

    "Wenn man alle miteinander betrachtet, dann sind es unbeteiligte Dritte, die nicht von Amts wegen damit zu tun haben oder von der Familie sind. Nachbarn, die sagen, hier stimmt was nicht. Ein typischer Anruf ist: "In der Wohnung über mir lebt eine Familie, da wird ständig gebrüllt, da weinen die Kinder viel"."

    Die viel geforderte neue "Kultur des Hinsehens" - in Berlin scheint sie langsam Gestalt anzunehmen. Doch eigentlich ist es nicht Aufgabe der Polizei, so genannte Risikoeltern -
    sozial schwach, alkohol- oder drogenabhängig, vom Leben überfordert - und ihre gefährdeten Kinder aufzuspüren. Dafür sind in erster Linie die Gesundheits- und Jugendämter der Kommunen zuständig. In sozialen Brennpunkten wie dem Berliner Bezirk Neukölln ist diese Aufgabe mit den vorhandenen Ressourcen kaum noch zu bewältigen. Stefanie Vogelsang, für den KinderJugendGesundheitsdienst zuständige Stadträtin von Neukölln, hat aus der Not eine Methode gemacht:

    "Wir machen das jetzt schon so, dass wir gucken nach bestimmten Straßenzügen, da ziehen die Leute oft um, da gibt es keine Stabilität. Wenn ein Neugeborenes gemeldet ist mit einer bestimmten Adresse, dann gehen wir da hin."
    In Berlins Problembezirk Neukölln leben 313.000 Menschen, 44.000 davon sind unter 15 Jahren. Im Moment schaffen es Vogelsangs Mitarbeiter gerade mal, ein Drittel der Familien zu besuchen. Beim Jugendamt liegt die Quote noch niedriger. Wie soll man da verhindern, dass Problemfälle durchs Raster fallen? Stefanie Vogelsang befürwortet deshalb verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen, wie sie auch Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen fordert. Diese Untersuchungen bis ins sechste Lebensjahr des Kindes sind bislang freiwillig. Künftig sollen Kinderärzte Auskunft darüber geben, welche Eltern die Termine nicht wahrnehmen. Für die Stadträtin hieße das, ihr Dienst hätte ein zusätzliches Instrument, um gezielt Risikofamilien zu erkennen.

    "Wenn wir den Datenschutz dem Kinderschutz unterordnen würden und ich Mitteilung darüber bekäme, dann könnten wir uns exakt um die Kinder kümmern, die keinen Kinderarzt sehen. Dann würden wir die auffordern zu kommen oder hingehen. Dann gucken wir uns genau die Kinder an, die nicht beim Arzt waren. Für mich ist das eine Möglichkeit, beschränkte Ressourcen zielgenauer einzusetzen."

    Ansonsten hält die Stadträtin nicht viel von der derzeitigen Aufgeregtheit, den vielen gut gemeinten Vorschlägen. Über Jahre seien funktionierende Strukturen dem Sparzwang geopfert worden, sagt sie mit leichter Bitterkeit. Nun muss man sich nicht wundern, wenn die Probleme unbeherrschbar werden.
    "Zum Beispiel gab es früher den fachlichen Standard, dass der Kinder- und Jugendgesundheitsdienst im Kinderwagenradius dezentral in den Bezirken verortet werden muss. Wir hatten vierzehn Dienststellen ganz kleinteilig in den einzelnen Wohngebieten, jetzt haben wir noch drei - das führt zu einer Abnahme der Erreichbarkeit."

    Vorort-Sein, ansprechbar - das ist ein zentrales Kriterium für einen vorbeugenden Kinderschutz. Hebammen haben diese Nähe von Berufs wegen. Deswegen werden immer mehr Stimmen laut, sie noch stärker in die Prävention einzubinden. Ulrike von Haldenwang, Vorsitzende des Berliner Hebammenverbandes:

    "Ich glaube, das Gute ist, dass wir vor der Geburt kommen. Schon in der Schwangerschaft gehen wir in Familien, gucken, wie die wohnen, können sehen, wo wird Unterstützung gebraucht. Diese Zeitspanne kann keine andere Berufsgruppe abdecken. Man ist überrascht wie viel Vertrauen uns entgegengebracht wird. Die Eltern erzählen uns viel - wir verstehen uns als Türöffner, können Probleme nicht alleine lösen, können auch nur verweisen an andere Instanzen, und das tun wir auch."
    Wichtig wäre es, auf das Angebot einer Geburts- und Elternbegleitung verstärkt aufmerksam zu machen. In Dänemark und Norwegen gehören Familienhebammen, die bis zu einem Jahr zu Besuch kommen, bereits zum Alltag. In Berlin nehmen 70 Prozent der Gebärenden diese professionelle Hilfe in Anspruch - aber im Schnitt nur acht Wochen. Von Haldenwang plädiert deshalb dafür, das Modell der Familienhebamme auch in Deutschland politisch zu fördern. Die Begleitung durch eine Hebamme solle so normal werden wie der Mutterpass, den immerhin 98 Prozent der werdenden Mütter haben.
    Ein weiterer wichtiger Knotenpunkt in diesem "Netz der Hilfe", das nach Willen der Politiker noch engmaschiger werden soll, sind die Kinderärzte. In einem deutschen Nachrichtenmagazin wurde ihnen Anfang der Woche Versagen auf der ganzen Linie vorgeworfen. Sie würden Kindesmisshandlung nur unzureichend diagnostizieren und kaum Verdachtsmomente an die Behörden weiterleiten.
    Um in solchen Situationen angemessen zu helfen, bildete sich vor einem Jahr am Klinikum Neukölln die "Kinderschutzgruppe". Ein loser Verbund von Kinderärzten, Chirurgen, Psychologen und Aufnahmeschwestern, die sich gegenseitig unterrichten, wenn ein Verdacht auf Kindesmisshandlung besteht. Unbürokratisch und schnell besprechen sie dann gemeinsam die Einzelfälle und das weitere Vorgehen. Wenn nötig holen sie das Jugendamt mit an Bord. Die Krisengespräche mit den Eltern finden immer in einer größeren Runde statt. Es geht, sofern keine akute Gefährdung des Kindes vorliegt, um eine möglichst konfliktfreie Lösung, nur im Ausnahmefall wird die Polizei informiert. Christoph Hertzberg, Leiter des sozialpädiatrischen Dienstes am Krankenhaus Neukölln, hält diese von ihm als "Grauzone" bezeichnete ärztliche Vertrauenssphäre für unbedingt schützenswert.

    "Der Kinderarzt ist ein Heilender, ein Helfender, er kann nicht der Kontrolleur sei. Es ist auch unklar, wie die Art der Verfolgung dann gehandhabt werden könnte, wenn man den Kinderarzt mit so einer Aufgabe betreuen würde. Die Vertrauensbasis wäre gefährdet, so dass viele Eltern viele Äußerungen nicht mehr machen würden. Auch bei akuter Bedrohung sind wir hier noch in einer Grauzone, wo noch Gespräche stattfinden, die oft die Situation bessern."
    Deshalb hält er auch wenig von verpflichtenden Vorsorgeuntersuchungen als Kontrollinstrument. Die Abstände seien einfach zu groß, meint er. Viel wichtiger sei es, die Zusammenarbeit der bestehenden Hilfestrukturen zu verbessern, von der Hebamme über die Ärzte, vom Kindergesundheitsamt über KiTAs hin zum Jugendamt.
    Aber auch private Initiativen können eine wichtige Rolle bei der Prävention spielen. Das zeigt sich in Mainz: In der Zwerchallee steht - eingeklemmt zwischen zwei Bahnlinien, einem Autobahnzubringer und der Glasfabrik Schott - die so genannte "Obdachlosensiedlung", eine Ansammlung von heruntergekommenen 60er-Jahre-Bauten, in denen die Stadtverwaltung solche Familien unterbringt, die ihre reguläre Wohnung verloren haben. Problemfamilien, die von Hartz IV leben und meist mehr Kinder haben, als sie versorgen können. Die Wohnungen sind klein und primitiv, nicht einmal Badezimmer gibt es, nur Gemeinschaftsduschen im Keller. Ein typischer "sozialer Brennpunkt".

    "Man weiß, in sozial benachteiligten Familien ist mehr Aggressivität auch den Kindern gegenüber. Aber wenn der Wohnraum zu eng ist, wenn ich zu wenig Geld zur Verfügung habe, das ist eine ganze Reihe von Stressfaktoren, die dann auch dazu führen, dass Aggressionen zunehmen,"

    sagt Professor Gerhard Trabert. Der Sozialmediziner ist Gründer des Vereins "Armut und Gesundheit in Deutschland", der sich seit vier Jahren intensiv um die Menschen in der Zwerchallee kümmert - vor allem um die Kinder und deren typische Armutssymptome:
    "Die Zahnkrankheiten sind sehr dominierend, das hat etwas mit Zuckerprodukten zu tun, auch mit fehlender Zahnhygiene. Dann die Fettleibigkeit, Adipositas, mit all den Folgeerkrankungen: Bluthochdruck, Diabetes Mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen."
    Die Unterstützung für die Menschen in der Zwerchallee kommt alleine vom Verein "Armut und Gesundheit", seit die Stadt Mainz vor drei Jahren den letzten Sozialarbeiter aus der Siedlung abgezogen hat. Mit zwei Mitarbeitern, deren Gehalt aus Spenden bezahlt wird, bemüht sich der Verein, die Kinder in der Zwerchallee vor körperlicher und seelischer Verwahrlosung zu bewahren:

    "Wir haben hier den Schwerpunkt auf drei Modulen liegen: Ernährung, Bewegung und Entspannung. Im Ernährungsbereich machen wir hier vor allem mit den Müttern einiges. Mit den Jugendlichen wird gemeinsam gekocht, Sport getrieben, und dann haben wir im Bereich Entspannung hier einen Entspannungsraum, einen so genannten "Snoozel-Raum", hauptsächlich weil die Kinder hier so beengt wohnen, die haben ja gar keinen Rückzugsraum hier in den kleinen Wohnungen. Und was wir in letzter Zeit auch machen: Mit der Kindertagesstätte zusammen wird quasi ein Sprach- und Leseförderprogramm in diesem Raum auch durchgeführt,"

    erklärt Gisela Bill, die Koordinatorin des Projekts "Gesundheit jetzt!", das der Verein vor vier Jahren ins Leben gerufen hat. Es ist der Versuch, Eltern und Kinder gemeinsam aus dem Kreislauf von Selbstaufgabe, Gleichgültigkeit und Aggression zu befreien, der - so Gerhard Trabert - nur erfolgreich sein kann, wenn zwischen denen, die Hilfe brauchen, und denen, die helfen wollen, persönliche Bindungen entstehen:

    "Vertrauen und Kontinuität ist etwas ganz Wichtiges. Und das muss man erst mal aufbauen. Und dann erfährt man wesentlich mehr über die Lebenssituation, und dann wird sich auch geöffnet, denn es ist ja nicht einfach zu sagen "Ich komm' nicht mehr zurecht, ja, ich weiß nicht mehr, was ich mit meinen Kindern tun soll" und dann vielleicht auch zuzugeben "Ich schlag' sie". Diese Offenheit, die aber wichtig ist, um etwas zu ändern, die erreichen Sie nur durch Vertrauen, durch Kontinuität, durch Beziehung."
    Auch die Beziehungen der Siedlungsbewohner untereinander versucht der Verein "Armut und Gesundheit" zu stärken. Und scheint damit Erfolg zu haben. So ist ausgerechnet in der Zwerchallee ein soziales Gefüge entstanden, das der viel beschworenen "Kultur des Hinschauens" ziemlich nahe kommt. Projektkoordinatorin Gisela Bill:

    "Hier ist eine ziemlich gute soziale Kontrolle. Die Leute rücken hier zusammen und wenn man das unterstützt, dass sie zusammenrücken, dann ist die soziale Kontrolle relativ gut, dass die wissen, was hier und da vorgeht, und dass man da auch so ein bisschen danach gucken kann, dass nix Schlimmes passiert."