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Vernachlässigter Klimafaktor

Die borealen Wälder Kanadas, Sibiriens und Skandinaviens gelten als gigantische Kohlenstoffspeicher. Vor allem ihre Böden halten das Treibhausgas CO2 von der Atmosphäre fern. Doch nun haben schwedische Forscher beobachtet, dass ein Großteil des Kohlenstoffs gar nicht als abgestorbenes Material in den Boden gelangt, sondern über mikroskopisch kleine Pilze. Diese Beobachtung, über die die Forscher nun in "Science" berichten, könnte die Rechnung der Klimaforscher gewaltig durcheinanderbringen.

Von Christine Westerhaus | 03.04.2013
    Ohne Mykorrhiza hätten viele Gewächse in borealen Nadelwäldern ein Versorgungsproblem. Diese mikroskopisch kleinen Pilze leben an und in den Wurzeln vieler Bäume und Sträucher. Sie helfen ihnen, Stickstoff und andere Nährsalze aus dem Boden aufzunehmen. Als Gegenleistung schicken die Pflanzen Zucker und weitere Kohlenstoffverbindungen zu den Wurzeln. Und das sogar in großen Mengen, wie Björn Lindahl und seine Kollegen von der Universität für Landwirtschaft im schwedischen Uppsala berechnet haben. 50 bis 70 Prozent des im Boden gespeicherten Kohlenstoffs entdeckten die Pilzforscher in den Wurzeln der dort lebenden Gewächse und in den verbündeten Mykorrhizapilzen.

    "Wir haben beobachtet, dass der Kohlenstoff im Boden deutlich jünger ist, als man es erwarten würde, wenn er durch heruntergefallene Nadeln dorthin gelangt wäre. Auch unsere DNA- und chemischen Analysen deuten darauf hin, dass der Kohlenstoff über die die Mykorrhiza Pilze in den Boden eingetragen wird und nicht durch abgestorbenes organisches Material. Insgesamt ergibt sich daraus das Bild, dass diese Pilze eine wichtige Rolle beim Aufbau der Kohlenstoffschichten in Waldböden spielen."

    Diese Beobachtung wirft ein neues Licht auf bisherige Klimamodelle. Darin galten boreale Nadelwälder als riesige Kohlenstoffsenken, die das schädliche Treibhausgas CO2 aus der Atmosphäre fernhalten. Die dort lebenden Bäume und Sträucher nehmen Kohlendioxid aus der Luft auf und speichern es in ihren Geweben. Verlieren die Gewächse ihre Nadeln, wird der darin enthaltene Kohlenstoff in den Boden eingetragen und dort langfristig gespeichert. So die Theorie. Lindahls Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass nur ein geringer Teil des Kohlenstoffs länger dort verweilt. Der größte Teil wird offenbar permanent von (den) mikroskopisch kleinen Pilzen umgesetzt. Diese Beobachtung sollte unbedingt in den jetzigen Klimamodellen berücksichtigt werden, so der Forscher.

    "Es ist sehr wichtig zu verstehen, wie Kohlenstoff in den Boden eingetragen und von dort wieder freigesetzt wird. Nur so lassen sich richtige Modelle darüber entwickeln, ob der Boden als Kohlenstoffspeicher funktioniert und wie er auf zukünftige Klimaveränderungen und einen erhöhten Kohlendioxid Gehalt in der Luft reagieren wird. Das ist eine der großen Unsicherheiten in den jetzigen Klimamodellen."

    Klimatische Veränderungen könnten auf lebende Pilze einen stärkeren Effekt haben, als auf totes organisches Material. Deshalb sei es wichtig zu verstehen, wie sich ihr Wachstum durch menschliche Einflüsse verändert.

    "Mykorrhizapilze reagieren zum Beispiel sehr stark auf Nitratdüngung. Auch ein erhöhter Kohlendioxidgehalt in der Luft wird sich auf das Wachstum der Pilze auswirken. Bisher ist sehr wenig darüber bekannt, wie diese Pilze auf erhöhte Temperaturen und mehr CO2 in der Luft reagieren. Man darf aber spekulieren, dass das Kohlendioxid die Fotosynthese der Pflanzen ankurbelt und deshalb mehr Kohlenstoffverbindungen in die Wurzeln zu den Pilzen transportiert wird."

    Diesen Zusammenhang wollen die Forscher noch genauer untersuchen. Schon jetzt sieht es aber so aus, als reagierten die Pilze anders auf gute Wachstumsbedingungen, als man es erwarten würde.

    "Eines unserer Ergebnisse war, dass die Mykorrhiza Pilze am wenigsten Kohlenstoff in den Boden eintragen, wenn sie am besten wachsen. Und wenn sie langsamer wachsen, speichern sie mehr Kohlenstoff. Das ist eigentlich widersprüchlich, aber es stimmt gut mit den Ergebnissen anderer Studien überein. Wenn man in experimentellen Systemen den Kohlendioxidgehalt erhöht, wird mehr Kohlenstoff in die Wurzeln transportiert aber weniger im Boden gespeichert. Das ist ein sehr interessantes Phänomen, das viele Forscher untersuchen."

    Noch wagt Lindahl nicht zu spekulieren, ob dieser Effekt den Klimawandel weiter beschleunigen wird. Immerhin bedeckt der von ihm untersuchte Waldtyp große Teile Kanadas, Sibiriens und Skandinaviens und trägt damit entscheidend zur weltweiten Kohlenstoffbilanz bei. Doch im Waldboden leben noch viele andere Mikroorganismen. Sie alle können den Kohlenstoffkreislauf in die eine oder andere Richtung lenken, gibt der Forscher zu bedenken.

    "Wir können nicht sagen, in welche Richtung unsere Ergebnisse die jetzigen Klimamodelle beeinflussen werden. Auf alle Fälle sollten wir aber mehr berücksichtigen, welche Rolle Mikroorganismen im Kohlenstoffkreislauf spielen. Denn es ist nicht so, dass sie Kohlenstoff nur abbauen und wieder in die Atmosphäre bringen. Das hat man früher gedacht. Doch unsere Ergebnisse zeigen, dass sie auch Kohlenstoff in den Boden eintragen und speichern können."

    Bisher haben Lindahl und seine Kollegen jedoch nur Wälder untersucht, die von menschlichen Einflüssen weitgehend verschont geblieben sind. Deshalb wollen sich die Forscher als nächstes Nadelwälder ansehen, die forstwirtschaftlich genutzt werden. Denn auch der Mensch beeinflusst den Mikrokosmos im Boden.